Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Verteidigu­ng des Kinos gegen den Angriff der Pixel

Regisseure Christophe­r Nolan, Steven Spielberg und Jean-Luc Godard aüßern sich bei den Filmfestsp­ielen zum Netflix-Streit

- Von Rüdiger Suchsland

CANNES - „Kinofilm ist eine Analogie dessen, was unsere Augen sehen“, erklärte Christophe­r Nolan, der Regisseur von „Dunkirk“und „Interstell­ar“. Der Oscar-Preisträge­r war noch nie in Cannes. Dort läuft gerade die 71. Ausgabe dieses wichtigste­n Filmfestiv­als des Weltkinos, und man hatte Nolan eingeladen, um eine „Leçon du Cinema“, also eine Masterclas­s zu halten, und um die restaurier­te Version von Stanley Kubricks Klassiker „2001“vorzustell­en. „Wir müssen das Kino im Taumel der Algorithme­n bewahren – zumindest alte Filme sollten so vorgeführt werden, wie sie gedreht wurden.“

In diesem Jahr versucht Cannes, sich neu zu erfinden. Neben vielen anderen Veränderun­gen war da vor allem die Netflix-Debatte – und sie war vermutlich ein Grund, Nolan einzuladen. Der Regisseur hatte wiederholt Kritik am Streaming-Dienst geübt. Netflix habe eine „bizarre Abneigung dagegen, Kinofilme zu unterstütz­en“, sagte Nolan bei einem Interview.

Es gab Streit mit dem StreamingD­ienst Netflix, nicht weil Cannes Netflix nicht mag, sondern weil Netflix seine Filme im Gegensatz zur Konkurrenz – Kinofilme von Amazon oder Mubi laufen an der Croisette problemlos – dem Kino vorenthält, und exklusiv haben will. Als Startrampe und Werbeplatt­form wollen die Amerikaner den steuerfina­nzierten roten Cannes-Teppich aber gern ausnutzen. Diesem faulen Deal hat sich Cannes jetzt verweigert, und Filme, die ausschließ­lich für Streaming-Dienste produziert werden, in Zukunft aus dem Wettbewerb verbannt. Eine ungemein wichtige Nachricht, die die ganze Filmszene angeht.

Wie kann man Filme bewahren?

Auch Regisseur Steven Spielberg unterstütz­t den Kurs von Cannes und forderte vor einigen Wochen in einem Interview, Netflix-Filme auch vom Oscar auszuschli­eßen: „Bist du für das Format eines Fernsehers gemacht, bist du ein Fernsehfil­m,“sagte Spielberg. Für solche Filme gebe es die Emmys. „Ich denke nicht, dass Filme, die als symbolisch­e Qualifikat­ion weniger als eine Woche lang in ein paar Kinos gelaufen sind, für eine Oscar-Nominierun­g infrage kommen sollten.“Ob das Kalkül auf- geht, ist noch unklar: Denn auf lange Sicht war Cannes immer ein Festival der Film-Autoren. Hier sollen die Besten der Besten laufen. Wenn aber bedeutende Regisseure, darunter auch eigenwilli­ge Autorenfil­mer, mit Netflix arbeiten wollen, und dort anscheinen­d genau jene exzellente­n Bedingunge­n und künstleris­chen Freiheiten bekommen, die ihnen die Förderer und öffentlich­rechtliche­n Sender Europas sowie das von Controllin­g und Effizienzö­konomie beherrscht­e Hollywood zunehmend verweigern – kann und will man sich ihnen dann auf Dauer verschließ­en?

Anderersei­ts muss es um die Frage gehen: Wie kann man nach dem „Visual Turn“, seitdem man Filme immer und überall sehen kann, jene Werke sichern, die nur auf der großen Leinwand und in der Gemeinsamk­eit vieler Menschen ihre volle Wirkung entfalten?

Auch der älteste aktive Regisseur im Wettbewerb, der 87-jährige JeanLuc Godard, formuliert­e eine Verteidigu­ng des Kinos: Sein neuer Film „Das Buch des Bildes“erzählt sperrig und genial von unser aller Verhältnis zu den Bildern, und von der allmählich­en Transforma­tion unserer Wirklichke­it in der Gegenwart des digitalen Vergessens. Kein Abgesang, sondern ein Akt des Widerstand­s.

„Man kann von Stanley Kubrick vieles lernen“, sagte Nolan in Cannes. „Das Wichtigste: Er weigerte sich, sich an Regeln zu halten.“Ein Plädoyer für Anarchie und Ausbruch aus der digital verwaltete­n Welt.

 ?? FOTOS: DPA/AFP ?? Drei Regisseure aus drei Generation­en (von links) Christophe­r Nolan, der per Handy zugeschalt­ete Jean-Luc Godard und Steven Spielberg.
FOTOS: DPA/AFP Drei Regisseure aus drei Generation­en (von links) Christophe­r Nolan, der per Handy zugeschalt­ete Jean-Luc Godard und Steven Spielberg.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany