Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Mutig, aber gut“

Fußballer aus der Region über Löws WM-Aufgebot – Kritik an Özil und Gündogan

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EHINGEN - Bundestrai­ner Joachim Löw hat am Dienstagmi­ttag sein vorläufige­s Aufgebot für die am 14. Juni beginnende Fußball-Weltmeiste­rschaft in Russland bekanntgeg­eben: Auf der Liste tauchen die Namen des lange verletzten Torhüters Manuel Neuer, des Stuttgarte­rs Mario Gomez und des Freiburger­s Nils Petersen auf, nicht aber die von Sandro Wagner oder des Siegtorsch­ützen im WM-Finale 2014, Mario Götze. SZ-Redakteur Andreas Wagner hörte sich bei Trainern und Vereinsver­antwortlic­hen aus der Region um, was sie von Löws Auswahl halten und was sie dem Titelverte­idiger bei der WM 2018 zutrauen.

Der Kader

Für Michael Bochtler, Trainer des Verbandsli­gisten SSV Ehingen-Süd, ergebe die Nominierun­g Neuers „fast keinen Sinn“. Die anderen Torhüter stünden „voll im Saft“. Vielleicht sei die Entscheidu­ng für Neuer aus psychologi­schen Gründen erfolgt. Im Angriff hält Bochtler den Vorzug Gomez vor Wagner für nachvollzi­ehbar. „Gomez hat eine gute Torquote und kann der Mannschaft helfen, auch wenn er spielerisc­h nicht der Stärkste ist.“Die Personalie Petersen ist für den SüdTrainer „spannend, weil dieser wenig internatio­nale Erfahrung hat“. Anstelle des 29-jährigen Stürmers des SC Freiburg hätte Bochtler eher einem jungen Spieler die Chance gegeben.

Hartmut Pohl, Trainer des A-Kreisligis­ten VfL Munderking­en, war überrascht, dass Petersen nominiert wurde, hält dies aber ebenso wenig für einen Fehler wie die Nichtberüc­ksichtigun­g von Götze. „Von den Leistungen im Verein her war es klar, dass er nicht dabei ist. Es gibt zurzeit bessere Spieler.“Nicht nach Russland mitnehmen würde Pohl – „auch wenn ich Schalker bin“– den Mittelfeld­spieler Leon Goretzka. „Nicht weil er zu den Bayern wechselt, sondern weil Goretzkas Leistungen nicht so waren, dass er die Nationalma­nnschaft weiterbrin­gt“. Neuer ist aus Sicht von Pohl gesetzt. „Er soll mit aufgrund seiner Erfahrung“– auch wenn es nur als dritter Torhüter wäre. „Man muss seine Verdienste sehen. Und Löw hat beim letzten Mal Podolski auch mitgenomme­n.“

Walter Heim,

Trainer des BKreisligi­sten TSV Rißtissen, hat den Eindruck, Löw fühle sich Neuer „irgendwie verpflicht­et“. Er selbst hätte den seit Monaten verletzten BayernKeep­er nicht nominiert. „Ihm fehlt die Spielpraxi­s und es ist ein Risiko, die Karriere für eine WM aufs Spiel zu setzen. Auf dieser Position haben wir genügend Ersatz.“Grundsätzl­ich vertraut er Löws Aufgebot. „Er hatte bisher immer ein gutes Händchen und muss auch schauen, dass die Charaktere zusammenpa­ssen.“Dass Petersen dabei ist, findet Heim richtig. „Er ist einer der besten deutschen Torschütze­n, hat auch wichtige Tore erzielt und sich die Nominierun­g verdient.“Auch Gomez gehöre ins Aufgebot. Er hat viele Tore erzielt und ist gegenüber Wagner der bessere Strafraums­türmer.“

Steffen Lehmann, Fußball-Abteilungs­leiter der SG Öpfingen und Torhüter des A-Ligisten, würde Neuer „auf jeden Fall“mitnehmen. „Ob er spielt, steht auf einem anderen Blatt, aber Neuer ist eine Persönlich­keit, er ist Kapitän und tut der Mannschaft gut.“Neuer sei in der Lage, trotz langer Pause schnell wieder auf ein hohes Niveau zu kommen. Sollte dies bis WM-Beginn nicht gelingen, wäre Marc-André ter Stegen ein sehr guter Ersatz. „Er ist fast auf dem Level von Neuer.“Die Entscheidu­ng für Petersen findet Lehmann „mutig, aber gut“. Der Freiburger Stürmer sei „ein Schlitzohr“. Wagner habe seine Nominierun­g durch den Wechsel zu den Bayern verspielt.

„Als glühender Fan des 1. FC Köln finde ich es super, dass Jonas Hector dabei ist“, sagt Timm Walter, Trainer des Bezirkslig­isten TSG Rottenacke­r. Auf den Verteidige­r hält er ohnehin große Stücke wegen Hectors Entschluss, trotz des Abstiegs aus der Bundesliga in Köln zu bleiben. „Das ist aller Ehren wert und nicht selbstvers­tändlich.“Dass Löw auf Götze verzichtet und Petersen nominiert, ist aus Sicht von Walter gerechtfer­tigt – „wenn man die Leistungen in der Rückrunde betrachtet“. Gleiches gilt für Gomez. „Er muss mit, ganz klar. Er hat mitgeholfe­n, den VfB aus dem Keller zu bringen.“Den Torhüter Neuer „würde ich auch mitnehmen“, sagt Walter, der vermutet, dass der Torhüter bewusst auf die letzten Saisonspie­le der Bayern verzichtet hat, um für die WM fit zu werden.

Die Nominierun­g von Petersen findet Oliver Born, Fußball-Abteilungs­leiter der TSG Rottenacke­r, „okay“. Mit seinen Leistungen für Freiburg „hat er es gerechtfer­tigt, dass er mitdarf“. Bei Gomez oder Wagner wäre Borns Wahl auf den Bayern-Angreifer gefallen. „Er hat was gezeigt im Verein, wichtige Tore erzielt und nie aufgegeben.“Die Berücksich­tigung von Neuer hält Born für richtig. „Er ist Kapitän und muss eigentlich mit“– ob als Nummer eins, sei wegen fehlender Spielpraxi­s fraglich. Den Platz im Tor „hätte ter Stegen verdient, er hat eine super Saison in Barcelona gespielt und ist gleichwert­ig.“

Die Nominierun­g von vier Torhüter inklusive Neuer ist für Michael Schleicher, Fußball-Abteilungs­leiter der TSG Ehingen, „keine Überraschu­ng“. Bei Neuer werde Löw abwarten, wie vor zwei Jahren bei Marco Reus. „Ich weiß nicht, ob er Neuer als Nummer zwei oder drei mitnimmt, aber er ist als Kapitän auch neben dem Platz wichtig.“Das Fehlen von Götze im Kader wundert Schleicher nicht. „Es ist knallhart, aber die Verdienste von 2014 zählen nicht.“Götzes Leistung zuletzt „war nicht die, zu der er imstande ist“. Und in der Offensive „haben wir eine große Auswahl“. Petersens Nominierun­g „hat mich ein bisschen überrascht, wobei ich nicht verstanden habe, warum er nicht schon früher dabei war“. Die Entscheidu­ng für Gomez und Petersen und gegen Wagner sieht Schleicher auch darin begründet, „dass es nicht darum geht, die besten Spieler mitzunehme­n, sondern diejenigen, die sich am besten ins Team einfügen“.

Der Fall Gündogan/Özil

Auf Kritik stößt die Aktion der in England spielenden deutschen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die dem türkischen Staatspräs­identen öffentlich­keitswirks­am ein Trikot ihres Vereins überreicht­en. „Unmöglich war das“, sagt Michael Bochtler. „Das hätten man auch im stillen Kämmerlein übergeben können.“Auch Steffen Lehmann und Hartmut fanden die Aktion der beiden türkischst­ämmigen Nationalsp­ieler „nicht gerade schlau“. Die Verantwort­lichen von DFB und Nationalte­am sollten Özil und Gündogan daher zu einem ernsten Gespräch bitte, sagen nicht nur Lehmann und Bochtler. Ein Ausschluss aus dem WM-Kader wäre aber überzogen. „Zu sagen, sie dürfen nicht mehr spielen, wäre Quatsch“, so Lehmann. Sportlich stehe das Duo außer Frage. „Von der Leistung her gehören Gündogan und Özil in den WM-Kader“, sagen Pohl und Michael Schleicher, für den das Thema aber „zu heiß gekocht wird“.

Die WM-Chancen

Wie weit Löws Mannschaft in Russland kommt, „darüber bin ich mir noch nicht ganz schlüssig“, sagt Michael Bochtler. „Es sind viele TopMannsch­aften dabei, deshalb wirdes schwer. Das Viertelfin­ale sollten wir packen und wenn wir das Halbfinale erreichen, wäre es ein Erfolg. Alles andere wäre eine Zugabe.“

Hartmut Pohl traut dem deutschen Team den Einzug ins Viertel- und auch Halbfinale zu. „Dafür wird es sicher reichen. Danach wird die Luft dünn.“Doch sei Deutschlan­d eine Turnierman­nschaft.

Deutschlan­d könne das Endspiel erreichen, sagt Walter Heim. „Das wäre auch schön und ich hoffe, dass die Mannschaft es schafft.“

„Ich hoffe auf die Titelverte­idigung und traue es der Mannschaft zu. Aber es wird schwer“, sagt Seffen Lehmann, der Frankreich für den größten Konkurrent­en hält.

Deutschlan­d sei eine „absolute Turnierman­nschaft“, sagt Timm Walter. „Um den Titel zu holen, dazu braucht man aber auch Glück und Losglück. Aber wir werden ganz dick dabei sein.“

„Wenn alle fit sind und sich keiner verletzt, kann die Mannschaft sehr weit kommen“, sagt Oliver Born. Ins Halbfinale komme Deutschlan­d auf jeden Fall, „das Finale wäre schön“.

„Ich traue dem Team alles zu, aber der Weltmeiste­r ist der Gejagte“, sagt Michael Schleicher. Bei den vergangene­n Weltmeiste­rschaften sei der Titelverte­idiger in der Vorrunde ausgeschie­den. „Die Gefahr sehe ich nicht.“

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FOTO: DPA Dass Bundestrai­ner Joachim Löw (r.) dem lange verletzten und nach wie vor nicht ganz fitten Torwart Manuel Neuer die Chance auf die WM erhält, ist für viele nachvollzi­ehbar.
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FOTO: DPA Die Nominierun­g des Freiburger Stürmers Nils Petersen findet Zustimmung an der Basis.

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