Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Empörung über AfD-Politikeri­n Weidel

Tadel nach „Kopftuchmä­dchen“-Äußerung im Bundestag – Siemens-Chef Kaeser verärgert

- Von Tobias Schmidt und unseren Agenturen

BERLIN - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat am Mittwoch bei der Generaldeb­atte im Bundestag den Kurs ihrer Regierung verteidigt. So wies sie die Kritik an den Mehrausgab­en für die Bundeswehr zurück: Es gehe „nicht um Aufrüstung, sondern es geht ganz einfach um Ausrüstung“. Auch warb sie für die geplanten Ankerzentr­en für Flüchtling­e. Gezielt Empörung löste derweil die AfD-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel mit einer Provokatio­n zur Flüchtling­spolitik der Bundeskanz­lerin aus. Es war das erste Mal, dass die AfD als größte Opposition­spartei eine Generaldeb­atte im Bundestag eröffnen durfte.

„Burkas, Kopftuchmä­dchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern“, so Weidel. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) tadelte sie dafür. Weidel diskrimini­ere alle Frauen, die Kopftuch tragen, sagte er: „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.“Weidel kündigte an, dagegen Einspruch einzulegen. Sie habe auf die Ungleichbe­handlung von Frauen und Männern im Islam hinweisen wollen, die nicht kompatibel mit dem Grundgeset­z sei.

Merkel ging nicht auf Weidel ein. Aus dem Plenum waren nach der Äußerung Buh- und Pfui-Rufe zu hören. CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r sagte zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wenn man Menschen pauschal nach ihrer Hautfarbe, ihrem Glauben und ihrer Herkunft beurteilt, hat das nichts mit der von der AfD viel beschworen­en Tradition des christlich­en Abendlande­s zu tun.“Ähnlich äußerte sich Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU). Cem Özdemir (Grüne) sagte: „Es sitzen Rassisten im Bundestag.“

Empört zeigte sich auch Joe Kaeser. Der Vorstandsc­hef von Siemens schrieb beim Online-Nachrichte­ndienst Twitter: „Lieber ,Kopftuchmä­del‘ als ,Bund Deutscher Mädel‘. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalis­mus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquell­e des deutschen Wohlstands liegt.“Der „Bund Deutscher Mädel“war eine Jugendorga­nisation im Nationalso­zialismus.

BERLIN - Emotionsge­laden tritt Volker Kauder (CDU) ans Rednerpult. Dann ruft er: „Was Sie tun, hat null mit einem christlich­en Menschenbi­ld zu tun!“Kauder meint Alice Weidel, Fraktionsc­hefin der AfD. „Was Sie heute gemacht haben, ist das glatte Gegenteil. Sie sollten sich schämen“, ätzt Kauder. Als sich Protest in der AfD-Fraktion regt, setzt er noch einen nach: „Großmaulig im Austeilen und schwach im Einstecken – das ist die AfD.“

Alice Weidel hatte als Chefin der größten Opposition­sfraktion im Bundestag bei der Debatte zum Kanzlereta­t am Mittwochmo­rgen das erste Wort. Doch anstatt über das eigentlich­e Thema, den Bundeshaus­halt, zu sprechen, bezeichnet­e sie „Kopftuchmä­dchen“als „Taugenicht­se“, die den Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern würden. Aus dem Plenum waren nach diesen Äußerungen laute Buhund Pfui-Rufe zu hören. Wolfgang Schäuble, Präsident des Bundestage­s, ermahnte Weidel: „Sie haben alle Frauen diskrimini­ert, die Kopftuch tragen.“

Merkel setzt kühlen Kontrapunk­t

Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schien unbeeindru­ckt von Weidels Rede. Als wolle Merkel einen Kontrapunk­t zu den scharfen Worten ihrer Vorredneri­n setzen, begann sie ihre Rede betont ruhig und wünschte den Anwesenden erst einmal einen „Guten Morgen“. Sie reagierte mit keiner Silbe auf ihre Vorredneri­n.

Der Haushaltse­ntwurf, den Finanzmini­ster Scholz (SPD) am Dienstag vorgestell­t hatte, spiegele das wieder, was im Koalitions­vertrag festgehalt­en worden sei, sagte Merkel. Deutschlan­d werde außerdem im kommenden Jahr erstmals seit 2002 wieder die Euro-Schuldenob­ergrenze von 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s einhalten und verzichte auf weitere Schulden. „Das ist Generation­engerechti­gkeit pur“, sagte die Kanzlerin.

Der Haushaltsp­lan sieht als Kanzler- und Kanzleramt­setat Ausgaben in Höhe von 2,93 Milliarden Euro, und damit 122,41 Millionen Euro mehr als im Vorjahr, vor. Die Debatte zum Kanzlereta­t nutzt die Opposition traditione­ll für eine Generalabr­echnung mit der Bundeskanz­lerin. „Führen Sie, führen Sie dieses Land“, forderte Christian Lindner (FDP) Merkel auf. Über den Wehretat werde auf offener Bühne gestritten. Die Regierungs­chefin müsse von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch machen, so Lindner. Die Regierung hat bereits zugesagt, EUMittel aufzustock­en. Lindner forderte, zuerst zu überprüfen, wofür diese Gelder verwendet werden sollen: „Wir sind die einzigen, die zuerst für die EU zahlen und dann warten, wo das Geld eingesetzt wird.“ Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt übte harsche Kritik an der CSU. „Wir können gar nicht genug Kreuze aufhängen, um davor zu beten, dass dieses Chaos endlich aufhört“, sagte Göring-Eckardt. Das neue Polizeiauf­gabengeset­z in Bayern verstoße gegen das Grundgeset­z. Sie wünsche sich, dass die Kanzlerin die Verfassung gegen die CSU verteidige: „Die Partei torpediert Gesetze.“

Lindner attackiert Seehofer

Nach Bestechung­svorwürfen im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e wurde Innenminis­ter Horst Seehofer schon im Vorfeld zur Debatte am Mittwoch immer wieder vorgeworfe­n, er habe sein Ministeriu­m nicht im Griff. „Sie sind einen Schritt von einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss entfernt“, drohte Lindner dem Innenminis­ter. Die Kanzlerin hatte Seehofer bereits vor Lindners Rede vorsorglic­h in Schutz genommen. Die Vorwürfe gegen ihn seien unbegründe­t, außerdem verwies Merkel darauf, dass Seehofer noch nicht einmal 100 Tage im Amt sei.

Sarah Wagenknech­t (Linke) kritisiert­e die höheren Rüstungsau­sgaben, die die Regierung plant. Die Linke halte dagegen die vorgesehen­en Investitio­nen in Bildung und Digitalisi­erung für zu gering. Funktelefo­nate seien in manchen Orten Deutschlan­ds anstrengen­der als in Entwicklun­gsländern. „Und die Mannschaft aus schwarzen und roten Nullen sieht einfach weiter nur zu“, sagte Wagenknech­t.

Der gesamte Haushaltse­ntwurf sieht Ausgaben von 341 Milliarden Euro vor. Union und SPD wollen bis 2021 mindestens 46 Milliarden Euro investiere­n, etwa in Bildung, Wohnungsba­u und schnellere­s Internet. Die Haushaltsw­oche im Bundestag dauert noch bis Freitag an.

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FOTO: DPA Empörte Antwort: Unionsfrak­tionschef Volker Kauder geht die AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel scharf an.

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