Erdogan schießt sich auf Deutschland ein
T● erroristen-Show, Heuchelei, Komplott: Vier Wochen vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei prangert die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit diesen Etiketten angebliche Einmischungsversuche Deutschlands an. Erdogan und seine Anhänger werfen der Bundesrepublik vor, die Regierung in Ankara von der Macht verdrängen zu wollen. Die Kritik entzündet sich daran, dass die deutschen Behörden am Samstag eine Kundgebung der Kurdenpartei HDP in Köln erlaubt hatten, während Wahlveranstaltungen der Regierungspartei AKP verboten werden. Aber auch die Verantwortung für den jüngsten Kursverfall der Lira wird dem Westen angelastet. Vom viel beschworenen Neuanfang in den Beziehungen ist keine Rede mehr. Obwohl die HDP eine „Frontorganisation“der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK sei, dürfe die Partei in Deutschland um Stimmen werben, so Erdogan. „Der AKP geben sie keinen Saal“, fügte er hinzu. Deutschland denke offenbar: „Je mehr wir sie behindern, desto besser für uns.“In Köln hatten am Samstag mehrere hundert Kurden gegen den türkischen Militäreinsatz im syrischen Afrin protestiert. Die Kölner Polizei untersagte jedoch laut WDR wegen des Verbots ausländischer Wahlkampfveranstaltungen den Auftritt von HDP-Politikern bei der Kundgebung. EU-Minister Ömer Celik sprach dennoch von einer „Terroristen-Show“. Das Außenministerium warf Berlin „Heuchelei“vor.
Einen Schritt weiter ging Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Er warf den Deutschen vor, sie wollten die Türkei zu einer Kreditaufnahme mit hohen Zinsen zwingen und damit „versenken“. Auch andere Regierungspolitiker machen angebliche Ränkespiele des Auslands für den drastischen Wertverlust der Lira in den vergangenen Wochen verantwortlich. Erdogan kritisierte bei einer Wahlkampfrede am Samstag unter anderem den Milliardär George Soros sowie die „Zins-Lobby“. Der Präsident rief die Türken auf, etwaige Dollar-Ersparnisse in Lira umzuwandeln, um die Landeswährung zu stützen und damit das angebliche Komplott des Auslands auszuhebeln: „Wir werden dieses Spielchen durchkreuzen.“
Die Lira hat innerhalb eines Monats rund 16 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Kritiker werfen der Regierung vor, mit ihren Klagen über das angeblich feindliche Ausland von der eigenen Verantwortung für die Währungsturbulenzen ablenken zu wollen. Einer der Auslöser für den Kurssturz war Erdogans Ankündigung, nach der Wahl im Juni mehr Verantwortung für die Finanzpolitik an sich zu ziehen. Dies verstärkte die Sorgen von ausländischen Investoren.