Berlins schöne Schwester
Ein Wochenende in Potsdam reicht kaum aus, um alle Schlösser, Villen und Parks der Stadt zu besichtigen
Wer Potsdam hört, denkt an Schlösser und Gärten, an Kultur und Seen, auch an Fernsehmoderator Günther Jauch oder Modedesigner Wolfgang Joop, die beide in der Stadt wohnen. Vielleicht auch an das Potsdamer Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Glienicker Brücke, auf der Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht wurden. Doch nach wie vor verbindet sich der Name der brandenburgischen Landeshauptstadt vor allem mit Schloss Sanssouci. Wer ein Wochenende in Potsdam verbringt, steuert meist zuerst diesen größten Park- und Schlosskomplex nördlich der Alpen an.
In der Küche von Sanssouci
Freitag: Köchin Charlotte Retzloff ist Feuer und Flamme: „Nu kieken Se mal diese Küche an – allet vom Feinsten!“Sie zeigt auf einen geschlossenen Herd mit eingebautem Backofen, auf kupferne Töpfe und Pfannen, auf eine Grillstation mit Spieß fürs Spanferkel. „Und hamse die Pumpe jesehn? Die bringt uns det Wasser direkt inne Küche, nur leider funktioniert det nich immer.“Die resolute Charlotte gab es tatsächlich. Sie hat sich 1842 im Schloss Sanssouci von der Magd zur Köchin hochgearbeitet und war dem königlichen Hofkoch Andrea Tamanti unterstellt. Schauspielerin Astrid Heiland-Vondruska schlüpft regelmäßig in deren Rolle und führt die Besucher durch Küche, Schlossanlage und Park. Sie erzählt vom Alltag am Hof und den kulinarischen Vorlieben des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. Dass ihm Kaffee zu feminin war und er deshalb lieber Tee trank, dass er Austernsuppe und Wachholderdrosseln liebte und dass seine Tafelrunden das Küchenteam an seine Grenzen brachte. Auch ihr Geheimrezept, das gegen die Kinderlosigkeit seiner Frau Elisabeth aus Bayern helfen sollte, verrät sie: Petersilie. Genützt hat’s allerdings nicht.
Samstag: Preußenkönig Friedrich II., in die Geschichte als Friedrich der Große eingegangen, hat Schloss Sanssouci, diese Perle des Rokoko, bauen lassen. Doch Berlins schöne Schwester hat auch andere Gesichter, die sich während einer samstäglichen Radtour entdecken lassen. Stadtführer Robert Freimark gehört zu den Potsdamern, die die Stadt nie losgelassen hat. Das kann man gut verstehen. Anders als im hektischen Berlin geht es hier gemütlich zu. Herausgeputzte historische Viertel wechseln sich mit renovierten Plattenbauten aus DDR-Zeiten ab. Der Verkehr hält sich in Grenzen und man kann wunderbar radeln, obwohl einen das Kopfsteinpflaster bisweilen gewaltig durchschüttelt. Und wenn beim Abschied das Gefühl der Wehmut aufkommt, dann ist das vor allem Robert zu verdanken, der es übernommen hat, unsere Gruppe auf der Radtour in und um Potsdam zu begleiten.
Erster Stopp ist die russische Kolonie Alexandrowka: 14 Blockhäuser stehen inmitten des einstigen königlichen Apfelgartens. Russische Offiziere und Soldaten waren hier Anfang des 19. Jahrhunderts mit ihren Familien zwangsangesiedelt worden und sollten sich selber versorgen. „Das Sumpfgebiet war aber schwierig zu bewirtschaften, und das Leben der Leute damit alles andere als ein Idyll“, erzählt Robert. Die Häuser sind heute in Privatbesitz, doch nach wie vor wachsen auf dem Gelände 365 verschiedene Apfelsorten, darunter auch sehr seltene. Ein kleines Museum gibt Einblick in den harten Alltag der ehemaligen Bewohner. Die russische Teestube im Garten lädt zum Zwischenstopp ein.
Zum Grillen in den Volkspark
Weiter geht es auf dem Rad den Hügel hinauf zum Schloss Belvedere auf dem Pfingstberg. Die Anstrengung lohnt sich, denn von hier aus hat man den schönsten Blick auf Potsdam, die Havel und ihre Seen bis hinüber nach Schloss Babelsberg. Solche Sichtachsen haben die Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné und Fürst von Pückler-Muskau im 18. und 19. Jahrhundert bewusst inszeniert, um ein romantisches Gesamtkunstwerk zu schaffen. Heute hält die Unesco ihre schützende Hand über die drei großen Schloss- und Landschaftsparks der Stadt. Entsprechend streng sind die Vorschriften. Das Betreten der Rasenflächen ist verboten, mit dem Fahrrad darf man nur auf entsprechend gekennzeichneten Wegen fahren. Die Einheimischen treffen sich in ihrer Freizeit zum Würstchengrillen, Ballspielen, Sonnenbaden oder Inlineskaten deshalb im neuen Volkspark, den die Bundesgartenschau 2001 hinterlassen hat.
Potsdam ist in. Frisches Leben haben auch die rund 24 000 Studenten in die Stadt gebracht. Ihr Treff ist heute das Jahrzehnte vom Militär besetzte Gebiet zwischen Neuer Garten und Babelsberger Park – das Erlebnisquartier Schiffbauergasse. Eine aktive Kunst- und Kulturszene hat sich hier direkt am Ufer des Tiefen Sees entwickelt.
Von ihrer mondänen Seite zeigt sich die Stadt auf der anderen Seite der Havel, in der Villenkolonie Neubabelsberg. An der früheren Kaiserstraße, heute Karl-Marx-Straße, siedelte sich ab 1870 die Hautvolee Deutschlands an: Großindustrielle, Theater- und später auch UFA-Filmstars. Zu DDR-Zeiten waren die Gebäude in miserablem Zustand, ihre Gärten verwildert, direkt dahinter verlief mitten durchs Wasser die Grenze zum Westen. Erst nach der Wende wurden die Villen schrittweise renoviert und ihr Zugang zum Griebnitzsee geöffnet. Wie einst residieren hier wieder die Schönen und Reichen aus Kultur und Wirtschaft. „Öffentlich zugängliche Stellen zum malerischen See gibt es leider nur ganz wenige“, sagt Robert.
Sonntag: Heute wäre Zeit, das berühmte Film- und Medienzentrum Babelsberg zu besichtigen. Bei schönem Wetter macht es aber deutlich mehr Laune, durch das Zentrum Potsdams zu schlendern. Zuerst geht es auf den Alten Markt. Hier wurde zum Beispiel das in der Bombennacht 1945 zerstörte Stadtschloss vor vier Jahren im historischen Stil wieder aufgebaut und ist heute Sitz des Brandenburger Landtags. Gegenüber befinden sich die Nikolaikirche mit ihrer mächtigen Kuppel sowie das neu eröffnete Kunstmuseum Barberini. Seine rekonstruierte Fassade im klassizistisch-barocken Stil ist an den gleichnamigen Palazzo in Rom angelehnt, dahinter verbirgt sich ein moderner Bau. Stifter des Hauses ist SAP-Gründer Hasso Plattner.
Fast wie in Amsterdam
Mitten in Potsdam sind aber auch die Niederlande ganz nah. Rot geklinkerte Häuser, weiße Holzfenster, geschwungene Dächer: Im Holländischen Viertel fühlt sich der Besucher wie in Amsterdam. Das Karée gehört zu den schönsten Winkeln der Altstadt. Nicht weit davon entfernt stoßen wir auf den alten Stadtkern mit seinen hübschen Giebelhäusern und romantischen Hinterhöfen. In den vielen Seitengassen finden sich kleine Boutiquen, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte. Köchin Charlotte vom Schloss Sanssouci hätte hier sicher gerne eingekauft.