Verteidiger kritisiert Ermittlungen
Erbacher Angelsee-Mord könnte weitere Kreise ziehen, als bisher gedacht.
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ERBACH/ULM - Vor der großen Strafkammer des Ulmer Landgerichts ist der vierte Verhandlungstag im Angelseemord von Erbach vorbeigegangen. Sachverständige und Ermittler rekapitulierten dabei ihre Beweismitteluntersuchungen und beantworteten Fragen zu ihren Ermittlungsergebnissen. Verteidiger Dirk Meinicke kritisierte die Vorgehensweise der Beamten teils scharf, schon viel zu früh hätten diese sich auf seinen Mandanten als Täter festgelegt.
Besonders eine Begebenheit sorgte im Gerichtssaal und im Zuschauerraum, der an diesem Verhandlungstag mit Schulklassen sehr gut gefüllt war, für erstaunte Mienen. So habe sich aus dem Protokoll eines Handymasten ergeben, dass zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt ein Albaner mit seinem Handy in der Nähe des Tatorts eingeloggt gewesen sei. Nach einem Telefonanruf bei dem Mann mit Hilfe eines Dolmetschers habe die Polizei diesen aber als unbeteiligt eingestuft. Dieser sei nach eigenen Angaben Reifenhändler, der gebrauchte Autoreifen kaufe und exportiere. „Ein Zeuge mit entsprechendem Hintergrund bei dem von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Tatmotiv nicht weiter zu befragen, sondern dessen Aussagen einfach so hinzunehmen und nicht einmal zu überprüfen, zeugt davon, dass die Ermittler sich offensichtlich schon deutlich auf meinen Mandanten als Täter eingeschossen haben“, sagte Verteidiger Dirk Meinicke.
Mehrfach griff der Verteidiger die von den Beamten und Sachverständigen vorgebrachten Indizienbeweise an, fragte bei Sachverhalten genau nach und versuchte bei der Kammer Zweifel an den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft, die an diesem Tag von Jennifer Seeburger vertreten wurde, zu wecken – auch was die Anfahrt zu den Seen und dem mutmaßlichen Tatort anging. Meinicke kritisierte, dass die Beamten nur vier Zufahrten als Videofahrten dokumentiert haben und auf welcher Grundlage die Beamten gerade diese Strecken ausgewählt hatten. „Von den zahlreichen Möglichkeiten habe ich die ausgewählt, die am gängigsten und einfachsten zu dem See führen, an dem die Leiche gefunden wurde“, erklärte der Ermittler auf Nachfrage. Auch wenn Meinicke äußerte, dass er als Ortsunkundiger nach der Betrachtung der Videos schnell zu den Seen finden würde, zeigten die unterschiedlichen Anfahrtsrouten doch, dass in dem Wirrwarr aus Feldwegen, Kiesgrube und Seen doch eine gewisse Ortskenntnis erforderlich ist, um an einen speziellen Ort zu kommen - selbst mit einer detaillierter Wegbeschreibung und den Varianten mit den wenigsten Abbiegungen.
Mögliche Verstrickungen bis in albanische Regierungskreise
Erstmals gelangte auch ein wenig Licht in den verworrenen Hintergrund der vorausgegangenen Blutrache-Morde in Albanien. Ein Ermittler hatte Nachforschungen zu einer in die Tötungen verstrickten Familie angestellt. „Ich habe leider nur im Internet recherchiert, weil mir keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung standen“, so der Beamte. Die Familie, die in der Vorgeschichte möglicherweise eine Rolle spielt, sei groß im Baugeschäft in Albanien tätig und manche Familienmitglieder hätten Beziehungen bis in höchste Regierungskreise und ins Parlament. Auf privaten Internetseiten von Deutsch-Albanern fand der Beamte jedoch auch Vorwürfe gegen die Familie, die dieser organisierte Kriminalität oder mafiöse Strukturen vorwerfen. Da es sich um Internet-Ermittlungen handle, müssten die Ergebnisse ohnehin zuerst verifiziert oder falsifiziert werden, so Richter Gerd Gugenhan, der die Aussagen relativierte. Trotzdem führte auch dieser Sachverhalt die Kammer zu einem bereits länger diskutierten Organisationsproblem. Sollten in Albanien lebende oder inhaftierte Zeugen in Ulm gehört werden müssen, sollte dies zeitnah organisiert werden, da sich ohnehin schon abzeichnet, dass der Prozess lange dauern wird.
„Wir haben die Möglichkeit, die albanischen Zeugen per Videokonferenz zu vernehmen, hier vorzuladen oder durch Beamte dort vernehmen zu lassen“, so Gugenhan, der sich bei dem Verteidiger nach dessen Einschätzung erkundigte, ob dies nötig sein werde. Meinicke entgegnete jedoch, dass dies eher an der Staatsanwaltschaft liege. Halte diese an dem Mordmotiv der Blutrache fest, „möchte ich die Vorwürfe und Aussagen der Zeugen schon hier vis-avis hören“, so Meinicke.
Was den Antrag des Vertreters der Nebenklage, die Mutter und den Sohn unter Ausschluss des Angeklagten, der Öffentlichkeit oder in einer Videokonferenz zu vernehmen angeht, zeigte sich der Verteidiger durchaus gesprächsbereit. Einen Ausschluss seines Mandaten könne er aufgrund des verfassungsmäßigen Konfrontationsrechts nicht gut heißen. Zudem liege laut Verteidigung keine Gefährdung der Zeugen vor. Was die Mutter angehe, könnte eine Videovernehmung durchaus genügen, um die Zeugin nicht über Gebühr zu strapazieren. Bei dem Bruder sehe er diesen Punkt jedoch nicht, so Meinicke, der sich abschließend jedoch noch mit seinem Kollegen besprechen will.
Mit diesen Erkenntnissen sagte Richter Gerd Gugenhan: „Dann müssen wir wohl das große Programm fahren“und beendete den Verhandlungstag. Die Verhandlung wird am 18. Juni fortgesetzt.