Experte: Gewalt gegen Kinder hat Riesendimension
Ulmer Professor Fegert entwickelt E-Learning-Programme für Lehrer, die sich zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern informieren
ULM (lsw) - Kinder und Jugendliche sind nach Auffassung des Ulmer Experten Jörg Fegert häufig Opfer von sexueller Gewalt. Die Schule sei oft Tatort, aber auch der Schutzort für die Kinder, erläuterte der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Ulm. Er arbeitet seit Jahren zum Thema Misshandlung und Missbrauch
Wie groß ist das Problem?
Gewalt gegen Kinder hat eine Riesendimension, in vielen Fällen kombiniert mit sexuellem Missbrauch. Nach aktuellen Umfragen haben 13 Prozent der Menschen sexuelle Übergriffe erlebt und zwei Prozent sehr massive und fortgesetzte Gewalttaten, etwa mit Penetration. Für Lehrer heißt das, dass sie in jeder Klasse mit einem Kind rechnen müssen, das sexuellen Missbrauch erlebt hat oder gerade erlebt. Die Schule ist die zentrale Lebenswelt für Kinder. Sie vertrauen sich oft Lehrern oder Mitschülern an.
Was können Lehrer tun?
Lehrer können als Ansprechpartner dienen, schnell auf Übergriffe durch Gleichaltrige reagieren und traumatisierten Kindern Schutz bieten. Zunächst müssen sie aber die Hinweise auf sexualisierte Gewalt auch wahrnehmen können. Da Fortbildungen nicht ausreichend angeboten werden und für Lehrerinnen mit Kindern zeitlich schwer zu realisieren sind, entwickeln wir im Auftrag des Landes Baden-Württemberg gerade ein E-Learning-Programm von 40 Stunden: Dabei werden die Fakten vermittelt sowie rechtliche und psychologische Fragen behandelt. Auch der Umgang mit Übergriffen durch Mitschüler gehört zum Programm. Dies ist in der Schule der häufigste Fall.
Welche Tatorte gibt es?
Insgesamt haben 1,5 Prozent der Bevölkerung als Kind oder Jugendlicher sexuelle Übergriffe in Institutionen und Organisationen wie der Schule erleben müssen; häufig sind hier auch Mitschüler und Gleichaltrige die Täter — die meisten Taten ereignen sich aber in der Familie oder im sozialen Umfeld.
Ist das Thema den Eltern eigentlich wichtig?
Dazu sage ich klar Ja: Denn 90 Prozent der Mütter und Väter wollen, dass die Schule diese Thematik behandelt. Ich habe das nicht so erwartet. Zumal ich von vielen Lehrern gehört habe, sie würden sich mit dem Thema nicht gerne auseinandersetzen, sonst gäbe es Ärger mit den Eltern.
Angesichts emotionaler Debatten um Sexualerziehung an der Schule ist es vielen Pädagogen möglicherweise zu heikel, sexuelle Gewalt zu thematisieren. Dabei wäre eine vernünftige Medien- und Sexualerziehung sehr hilfreich für die Gewaltprävention.