Regierung auf Bewährung
Eine Eskalation im Asylstreit ist für zwei Wochen abgewendet – aber weiterhin möglich
Vo n Andreas Herholz und Tobias Schmidt
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BERLIN - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zieht am Montag die rote Linie. Sie macht klar, dass sie keinen Alleingang ihres Innenministers Horst Seehofer (CSU) im Streit um die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze akzeptieren werde – und ihn in einem solchen Fall als Bundesinnenminister entlassen würde. „Wenn die Maßnahme in Kraft gesetzt würde, dann würde ich sagen, ist das eine Frage der Richtlinienkompetenz“, warnt die Kanzlerin nach München, wo Seehofer fast zeitgleich vor die Presse tritt.
Es ist ein Fernduell zwischen den zerstrittenen Chefs der Schwesterparteien. Die Botschaft: Handelt Seehofer auf eigene Faust und ordnet eigenmächtig die von ihm geplanten Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge an der Grenze an, würde er sein Ministeramt verlieren.
Das Ultimatum ist verlängert
Die CSU stellt sich am Montag zwar geschlossen hinter ihren Parteichef, den Bundesinnenminister und seinen „Masterplan Migration“, doch sie verlängert auch das Ultimatum an die Kanzlerin. Gelingt es Merkel nicht, bis zum EU-Gipfel Ende des Monats eine Europäische Lösung in der Asylpolitik zu erreichen, Rücknahmeabkommen mit Italien, Griechenland und Co. zu schließen, dann will Seehofer nicht mehr länger warten. Dann will er bereits in anderen Ländern registrierte Asylbewerber an der Grenze zurückweisen.
Die Kanzlerin lehnt dies weiter ab. „Es gibt keinen Automatismus“, stellt sie am Montag klar, dass auch bei einem Scheitern einer europäischen Lösung Seehofers
Plan nicht direkt umgesetzt werden müsse und setzt auf weitere Beratungen. Am Wochenende hatten sich Merkel und Seehofer in einem Telefonat auf diesen Kompromiss verständigt. Merkel bleibt stur, Seehofer macht weiter Druck. Der Asylstreit schwelt weiter, aber Merkel hat zehn Tage gewonnen. Wer erwartet hatte, dass die Kanzlerin abschwören und im Streit mit der Schwesterpartei einlenken würde, sieht sich getäuscht. Stattdessen arbeitet sie mit Hochdruck an bilateralen Abkommen. Sie habe „Rückendeckung“und „ein starkes Verhandlungsmandat“bekommen, berichtet die CDU-Chefin am Montag nach der Sitzung von Präsidium und Vorstand im Konrad-Adenauer-Haus. Scheitert Merkel beim EU-Gipfel, droht der Union eine Eskalation bis hin zum Ende der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag und dem Bruch der Großen Koalition. Gefragt, ob Merkel noch Vertrauen zu Seehofer habe, antwortet sie nüchtern und kühl: „Eine Bundeskanzlerin und ein Bundesinnenminister müssen zusammenarbeiten und gesprächsfähig sein.“Mehr aber auch nicht. Ob sie noch die Richtlinienkompetenz habe und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der CSU in der Regierung überhaupt noch möglich sei, wird Merkel gefragt und antwortet wie aus der Pistole knapp: „Zweimal Ja.“
Vom CDU-Führungspersonal erhält sie am Montag hinter verschlossenen Türen breite Unterstützung. Die CDU sei eine Partei, die sich nicht von außen diktieren lasse, wer ihr Vorsitzender sei, heißt es trotzig. Mag man in der Sache auch nahe bei der CSU sein, so rücken die CDU-Spitzen doch zusammen, wenn es darum geht, die Kanzlerin zu stützen.
Seehofer bleibt hart: „Es geht neben der Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates auch um die Glaubwürdigkeit unserer Partei“, so der CSUChef nach der Vorstandssitzung seiner Partei, die ihm Rückendeckung gab. „Ich bin jedenfalls fest entschlossen, dass dies dann realisiert wird, wenn die europäischen Verhandlungen keinen Erfolg haben.“Im Klartext: Nur wenn Merkel liefert, bläst Seehofer den nationalen Alleingang ab. Aber würde er tatsächlich so weit gehen und damit den Bruch der Fraktionsgemeinschaft riskieren? „Reden ist eine Frage des Anstandes“, sagt er.
Seehofer schafft Fakten
Am Montag schafft Seehofer bereits Fakten. Asylbewerber mit Einreiseverbot, etwa Straftäter oder diejenigen, deren Asylbescheid schon abgelehnt worden war, will der Innenminister ab sofort an den Grenzen abweisen, erteilt der Bundespolizei eine entsprechende Anweisung. Und auch die Zurückweisung derjenigen, die schon in einem anderen EU-Land registriert sind, wird vorbereitet. In Bayern soll das die neue, eigene Grenzpolizei erledigen.
„Es ist gut, dass der zugespitzte Konflikt ein Stück weit entschärft werden konnte“, reagiert CDU-Innenpolitiker Philip Amthor am Montag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“mit Erleichterung auf die „gute Kompromisslinie“. Dass Seehofer nun mit ersten Zurückweisungen beginne, sei „ein richtiges Signal“. Die Abweisung von DublinFlüchtlingen zumindest vorzubereiten, „entspricht dem Mehrheitswillen der Bevölkerung“, stellt sich Amthor auf die Seite des CSU-Chefs.
Dass Seehofer Merkel in die Enge treibe, sieht er nicht. „Die Kanzlerin hat sich selbst ziemlich unter Druck gesetzt, indem sie sich das Ziel gesetzt hat, auf europäischer Ebene schnelle Erfolge einzufahren“, sagt Amthor. Und macht klar: „Wenn dies scheitert, diskutieren wir sicher nicht mehr nur über die Beibehaltung des Status quo.“Sollte die Kanzlerin mit leeren Händen aus Brüssel zurückkommen, werden auch aus der CDU die Rufe nach dem nationalen Alleingang lauter werden.