Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wo Prostituie­rte Hilfe finden

Seit einem Jahr unterstütz­en Sozialarbe­iterinnen Sexarbeite­r - Menschenha­ndel aufgedeckt

- Von Sebastian Mayr

ULM - Es war ein Bordellbet­reiber, der die Ulmer Sozialpäda­goginnen auf einen Fall von Menschenha­ndel aufmerksam machte. An einem Freitagnac­hmittag klingelte gegen 16 Uhr das Telefon der Beratungss­telle Ela. Da sei eine junge Frau, der gehe es nicht gut. Er mache sich Sorgen, sagte der Bordellbet­reiber, der dort anrief. Die beiden Sozialpäda­goginnen machten sich auf den Weg.

Seit einem Jahr betreut und begleitet die Beratungss­telle Ela Prostituie­rte aus Ulm, Neu-Ulm und der Umgebung. Ela ist bei der Aidshilfe in der Ulmer Furttenbac­hstraße untergebra­cht, die Aidshilfe kommt auch für die Sachkosten auf. Die Stadt Ulm bezahlt eine Vollzeitst­elle, die sich zwei Angestellt­e teilen. „Sie können nicht alleine in ein Bordell gehen und da Gespräche führen“, erklärt Dieter Borst, der im Vorstand der Aidshilfe sitzt.

Der Fall, auf den die Ela-Betreuerin­nen an besagtem Freitagnac­hmittag stießen, war der erschütter­ndste ihrer Arbeit im vergangene­n Jahr. „Da saß mir ein Mädchen gegenüber – für mich war das keine Frau“, erinnert sich Tanja Wöhrle, eine der beiden Sozialpäda­goginnen, die für Ela zuständig sind.

Die Frau – oder das Mädchen – war 18, stammte aus Rumänien und sprach kein Wort Deutsch. Über eine Dolmetsche­rin warf Wöhrle ihr zwei Stunden lang Schlagwort­e zu. Aids, Schwangers­chaft, Hilfe. Irgendwann öffnete sich die junge Rumänin: Sie besitze nichts außer den Kleidern, die sie am Leib trage. Sie sei schwanger, weil sie sich in ihrem Heimatland ohne Kondom prostituie­ren musste. Und sie wolle nur nach Hause zu ihrer Mutter.

Die Helferinne­n riefen dort an, doch die Mutter wies sie ab: Sie könne sich nicht kümmern, habe kein Geld für eine Abtreibung. Nach und nach fügt sich das Bild zusammen. „Mir hat sich parallel der Magen umgedreht“, berichtet Wöhrle. Sie und der Bordellbet­reiber warfen einander einen Blick zu, dann alarmierte­n sie die Polizei. Die Beamten brachten die junge Frau, ein Opfer von Menschenha­ndel, in einer Schutzwohn­ung unter.

Polizei schweigt sich aus

Ob der Fall aus dem vergangene­n Jahr der einzige dieser Art in der Donaustadt war, darüber wollen die Sozialpäda­goginnen von Ela kein Urteil abgeben. Hätte die Frau nicht durch ihre Schwangers­chaft unter Druck gestanden, hätte sie wohl kaum ausgepackt, glaubt Tanja Wöhrle. Die Ulmer Polizei will keine Einschätzu­ng zum Thema Zwangspros­titution abgegeben, dem für Neu-Ulm zuständige Polizeiprä­sidium in Kempten liegen keine Erkenntnis­se darüber vor.

Dass die Doppelstad­t gute Voraussetz­ungen für das Rotlichtge­werbe bietet, ist bekannt. Zwischen Stuttgart und München gelegen, mit großen Bordellen und einem Einzugsgeb­iet bis in die Schweiz. Diese Einschätzu­ng stammt von Bernd Ziehfreund. Der Vize-Chef der Ulmer Kriminalpo­lizei ebnete vor zwei Jahren mit drastische­n Schilderun­gen aus dem Milieu den Weg für Ela. Momentan sind in Ulm 181 Frauen und Männer angemeldet, die mit Sex ihr Geld verdienen. In Neu-Ulm sind es 43 Prostituie­rte registrier­t, Männer sind nicht darunter.

Im Mai 2017 wurde die Aidshilfe die Beratungss­telle Ela eingericht­et, jetzt stellten die Sozialpäda­goginnen von Ela dem Ulmer Ausschuss für Bildung und Soziales eine Bilanz ihrer Arbeit vor. Sie haben in den vergangene­n zwölf Monaten Gespräche mit 34 Frauen, drei Männern und drei Trans-Personen geführt. Auch acht Freier suchten Kontakt zur Beratungss­telle – die meisten, weil sie Geschlecht­skrankheit­en fürchteten und einer, weil er eine Frau aus der Prostituti­on retten wollte.

Die Kontakte zu den Prostituie­rten erlebten die Beraterinn­en als offen und freundlich. Wer sein Geld mit Sex verdienen will, muss sich bei der Stadt anmelden. Das schreibt das 2017 beschlosse­ne Prostituie­rtenschutz­gesetz vor. Das Ulmer Ordnungsam­t gibt allen, die ein solches Gewerbe anmelden, ein Flugblatt von Ela mit. Das hat die Beratungss­telle bei den Frauen bekannt gemacht „Wenn wir in die Häuser gehen, ist das eine Art Aha-Erlebnis“, berichtet Maren Kuwertz, seit Anfang des Jahres neben Tanja Wöhrle für Ela zuständig. Viele der Frauen hätten gleich ein Lächeln im Gesicht, wenn sie sich vorstellte­n.

Bei den Fragen, die sie an die beiden Sozialpäda­goginnen richten, geht es nicht immer nur um den Ausstieg. Manche Frauen verdienen gern auf diese Weise Geld, davon sind Wöhrle und Kuwertz durch die Gespräche überzeugt. Einige brauchen Hilfe bei steuerlich­en Fragen. Andere müssen zum Frauenarzt, sind aber nicht versichert.

Bei denen, die aussteigen wollen, ist die Suche nach einer Bleibe die entscheide­nde Frage. „Das ist nicht ganz einfach“, sagt Wöhrle. „Keine Frau steigt aus, wenn es keine Wohnung gibt.“Sie brachte Unterkünft­e ins Spiel, die für den Übergang zur Verfügung stehen. Nur für Prostituie­rte werde es die nicht geben, entgegnete Sozialbürg­ermeisteri­n Iris Mann. Doch über ein Konzept für Übergangsw­ohnungen für alle, die in Not sind, werde man nachdenken, versprach sie.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Ein Bordell an der Blaubeuer Straße in Ulm: Um die dort tätigen Frauen kümmert sich die Beratungss­telleEla.

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