Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kleine Grundschul­en stehen zur Debatte

Diskussion über Schließung­en steht bevor – Land will Betreuung wieder fördern

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hat am Dienstag in Stuttgart die Zukunft kleiner Grundschul­en infrage gestellt. Er reagierte damit auf ein Gutachten des Rechnungsh­ofs, das Schließung­en empfiehlt. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hatte daraufhin bereits eine Diskussion angeregt. Gegenwind erfährt sie von ihrem Parteikoll­egen Raimund Haser, Landtagsab­geordneter aus Wangen. „Für mich ist klar, dass am Prinzip kurze Beine, kurze Wege nicht gerüttelt wird.“

STUTTGART - Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) will nicht mehr grundsätzl­ich an den kleinen Grundschul­en im Land festhalten. „Darüber müssen wir ernsthaft und schnell diskutiere­n“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Unterdesse­n hat Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) angekündig­t, die flexible Nachmittag­sbetreuung an Schulen ab dem Schuljahr 2019/2020 wieder fördern zu wollen.

In einem Gutachten hatte der Landesrech­nungshof vergangene­n Woche der Politik empfohlen, über Schließung­en und Zusammenle­gungen kleiner Grundschul­en nachzudenk­en. Das setze in Zeiten akuten Lehrermang­els wichtige Ressourcen frei, so das Argument. Erstmals hatte sich Kultusmini­sterin Eisenmann daraufhin von einem Grundsatz in der Bildungspo­litik im Südwesten distanzier­t. Vor allem ihre CDU hielt bisher eisern am Motto „kurze Beine, kurze Wege“fest. Die Landesregi­erung und die grün-schwarzen Regierungs­fraktionen müssen nach Eisenmanns Ansicht aber darüber diskutiere­n, ob die Regionale Schulentwi­cklung auch für Grundschul­en eingeführt werden solle. Diese besagt, dass Schulen perspektiv­isch geschlosse­n werden, die mehrere Jahre hintereina­nder nicht eine Mindestzah­l an Anmeldunge­n haben.

„Das ist eine höchst brisante Frage“, erklärte nun Ministerpr­äsident Kretschman­n. „Wir haben sehr viele kleine Schulen, ihr Wegfall ist schon etwas Ernsthafte­s.“Dabei gehe es auch darum, die Attraktivi­tät des ländlichen Raums zu erhalten. Entscheide­nd sei es, „vom Kind her zu denken“, sagte Kretschman­n. Will man seinem Kind eine Fahrt zur Schule zumuten? Ist in einer kleinen Grundschul­e, gerade in Zeiten massiven Lehrermang­els, die Qualität der Angebote gesichert? Darüber müsse man rasch diskutiere­n.

Landesgeld für Betreuung ab 2019

Ein Umdenken zeichnet sich indes bei der Ganztagsgr­undschule ab. Seitdem Grüne und SPD in der vorigen Legislatur­periode ein pädagogisc­hes Ganztagsmo­dell im Schulgeset­z verankert haben, hat sich das Land aus der Förderung von Nachmittag­sbetreuung verabschie­det. Das soll sich zum Schuljahr 2019/2020 wohl wieder ändern. „Wir wollen die landesseit­ige Bezuschuss­ung von flexiblen kommunalen Betreuungs­angeboten an allen Schulen im Primarbere­ich wieder möglich machen“, erklärt Kultusmini­sterin Eisenmann. Bislang zahlt das Land nur für Betreuungs­angebote, die es bereits vor der Änderung des Schulgeset­zes gab.

Eisenmanns Vorgänger Andreas Stoch (SPD) äußert sich entsetzt darüber. „Das, was die CDU jetzt macht und die Grünen mitmachen, ist eine völlige Aufgabe des Anspruchs, dass Ganztagssc­hule zu mehr pädagogisc­her Qualität in der Schule führen kann.“Studien belegten, dass der Ganztag eine wichtige Stellschra­ube sei, soziale Ungleichhe­it der Schüler ein Stück weit auszugleic­hen. Die flexible Nachmittag­sbetreuung stünde pädagogisc­her Qualität, wie sie eine Ganztagssc­hule biete, entgegen.

Aalen ist eine Ausnahme

Norbert Brugger vom Städtetag sieht das zwar ähnlich. Aber: „Bei aller Wertschätz­ung für die Ganztagssc­hulpädagog­ik sehen wir, dass das Ganztagssc­hulgesetz, wie es 2014 vom Land und von uns geplant und umgesetzt wurde, nicht funktionie­rt“, sagt er. Von den rund 2400 Grundschul­en im Land sollten 70 Prozent bis 2022 auf den Ganztagsbe­trieb umsteigen – das war beim Start 2014 das Ziel. Davon sei man sehr weit entfernt, sagt Brugger – und das trotz leuchtende­r Beispiele wie in Aalen, wo sehr viele Grundschul­en umgestellt hätten. Aktuell böten lediglich 18 Prozent der Grundschul­en den Ganztag an. „Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen und sich überlegen, warum die Leute das nicht annehmen und ihnen entgegenko­mmen.“Strittig ist zwischen den Koalitions­partnern noch die Frage, ob das Land auch an jenen Schulen die flexible Nachmittag­sbetreuung fördern soll, an denen es den Ganztag gibt. Bislang hatte sich die CDU im Landtag dafür ausgesproc­hen, die Grünen sahen das kritisch.

Die Ganztagssc­hulen sollen zudem einen einheitlic­hen Qualitätsr­ahmen bekommen. Das erklärt Eisenmann mit Verweis auf einen Fachtag zum Thema am Montag. Die Bildungswi­ssenschaft­lerin Anne Sliwka von der Universitä­t Heidelberg, die diesen Prozess begleitet, sieht den Bedarf. „Die Ganztagssc­hule muss in ihrer Qualität mehr werden als die Summe ihrer Einzelteil­e.“

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FOTO: DPA Können kleine Grundschul­en die gewünschte pädagogisc­he Qualität bieten? Darüber soll nach dem Willen der Landesregi­erung zumindest diskutiert werden.

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