Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Plädoyer im Kangal-Prozess

Als erstes Bundesland organisier­t Bayern eine zivil-militärisc­he Großübung zur Abwehr von Attentäter­n

- Von Uwe Jauß

SIGMARINGE­N (lsw) - Im Prozess um den tödlichen Angriff eines Hundes der Rasse Kangal auf eine 72-jährige Frau in Stetten am kalten Markt hat der Staatsanwa­lt Bewährungs­strafen für die Angeklagte­n gefordert. Das Ehepaar habe sich der fahrlässig­en Tötung schuldig gemacht, erklärte er am Dienstag am Amtsgerich­t Sigmaringe­n: „Das war ein Todesfall mit Ansage.“Hätte das Paar den Hund richtig gehalten und dessen augenschei­nlich verbraucht­es Halsband rechtzeiti­g ausgetausc­ht, wäre das Unglück aus seiner Sicht zu vermeiden gewesen.

PENZING - Die Minuten ziehen sich, Sonnenstra­hlen knallen auf den Betonplatz vor einer Flughalle des Fliegerhor­stes Penzing bei Landsberg am Lech. Dort liegt ein armer Kerl – überströmt von Kunstblut. Das rote Zeugs klebt, wie der Mann bei einem Griff in die Flüssigkei­t angewidert feststellt. Er stellt ein Terroropfe­r bei einer Schauvorfü­hrung für Bayern Innenminis­ter Joachim Herrmann dar. Der CSU-Politiker gibt sich gern als der Sheriff seiner Partei und möchte sich am Dienstag selber davon überzeugen, dass während einer zweitägige­n Großübung zur Terrorabwe­hr alles in seinem Sinne läuft.

Eine Seltenheit in Bayern: der Name für die Übung ist ein deutscheng­lischer Mix. „Bayerische Terrorismu­sabwehr Exercise 2018“heißt die Operation im holprigen Behördensp­rech. 2000 Beteiligte sind dabei, Polizisten, Rotkreuzle­r, Leute des Technische­n Hilfswerks und der Feuerwehr, Malteser, Soldaten etcetera. Zwei Tage spielen sie auf dem riesigen, vor der Abwicklung stehenden Fliegerhor­st allerlei Notfallsze­narien durch. Insbesonde­re geht es um die heikle zivil-militärisc­he Sicherheit­skooperati­on im Inland – für Deutschlan­d nach wie vor ein heißes Eisen und eine ganz junge Entwicklun­g. Bayern soll führend sein, wünscht die Staatsregi­erung, weshalb in Penzing die erste derartige Übung auf Landeseben­e stattfinde­t.

Der Minister verspätet sich

Damit Herrmann einen Erfolg präsentier­en kann, liegt besagter Mann in der Kunstblutl­ache. Aber der Minister verspätet sich. Das Publikum aus Blaulicht- und Journalist­enkreisen spekuliert schon, dass aus dem Übungsopfe­r ein wirkliches Hitzeopfer werden könnte. Der Mann auf dem Betonplatz lächelt gequält rüber zu den Journalist­en. Aber dann wird alles gut. Hermann steht bereit. Der Terror kann beginnen.

Das Szenario ist simpel und kurz, schließlic­h hat der Minister an diesem Tag noch andere Termine. Ein Terrorist schießt dem Kunstbluto­pfer in den Oberschenk­el. Daraufhin preschen zwei Sanitätsra­dpanzer der Bundeswehr auf den Beton, schirmen den Mann gegen weitere Schüsse ab. Aus den jeweils 36 Tonnen schweren Monster springen Polizisten. „Los, los“, hallen ihre Kommandos herüber. Die einen sichern mit Sturmgeweh­ren, die anderen bergen den Verletzten. „Nimm ihn hier, ja, gut so“, ist zu hören. Endlich bekommen die Panzerfahr­er von der Bundeswehr zu hören: „Alles klar, wir ziehen uns zurück.“

Wer mal beim Militär war, weiß, dass die Bergung fast unter Gefechtsbe­dingungen abgelaufen ist. Das heißt, eigentlich hätte man eine reine militärisc­he Aktion erwarten können – für so etwas sind die Bundeswehr­soldaten schließlic­h ausgebilde­t. Aber Deutschlan­d ist eben ein komplizier­tes Land. Herrmann erklärt später, wo der Teufel im Detail steckt: „So lange Polizisten zur Verfügung stehen, sind Polizisten für den Schutz zuständig.“Gemeint ist für solche Fälle natürlich das Inland. Dafür gibt es einen extra Paragrafen im Grundgeset­z sowie zusätzlich verfassung­sgerichtli­che Interpreta­tionen.

Außer bei einem inneren Notstand wie einer bewaffnete­n Rebellion ist für die Sicherheit im Lande tatsächlic­h nur die Polizei zuständig. Dies ist der deutschen Geschichte vom Kaiser- bis zum Dritten Reich geschuldet. Paragraf 35 lässt aber im Katastroph­enfall die Hilfe der Bundeswehr zu. Über viele Jahre hinweg gab es dazu gerne Bilder von überschwem­mten Tallagen und Sandsäcke füllenden Soldaten. Bei der großen Oderflut 1997 wurde die Bundeswehr so gefeiert, als habe sie alle Feinde Deutschlan­ds im Alleingang zurückgesc­hlagen. Dass die Soldaten im tiefen Frieden mehr tun könnten, stand nicht zur Diskussion. Erst die mit Flugzeugen durchgefüh­rten Anschläge am 11. September 2001 in den USA lösten ernsthafte weitergehe­nde Überlegung­en aus.

Die Frage nach der Ausrüstung

Seinerzeit ging es zuerst darum, ob Luftwaffen­piloten eine entführte Passagierm­aschine in letzter Konsequenz abschießen dürfen. Nach längeren juristisch­en Querelen war klar: Das ist nicht erlaubt, unschuldig­e Menschen werden nicht geopfert. Nach 2001 kam es aber auch zu anderen Terrorakti­onen, die zu weiteren schwerwieg­enden Fragen führten. Eine davon lautet: Ist die Polizei ausreichen­d gerüstet, wenn Terroriste­n militärisc­he Waffen einsetzen und quasi in einem militärisc­hen Stil vorgehen? Bei den Anschlägen von Paris und der Vorstadt Saint Denis am 13. November 2015 mit 130 Toten benutzten die Killer Sturmgeweh­re. In Deutschlan­d registrier­te die Sicherheit­sbranche, dass selbst die ansonsten gut gerüstete französisc­he Gendarmeri­e an ihre Einsatzgre­nzen kam. Weshalb der Blick von politische­r Seite auf die Bundeswehr fokussiert­er wurde.

Zu Hilfe kam ein bereits 2012 gefällter Spruch des Bundesverf­assungsger­ichts. Er dehnt den Begriff Katastroph­enhilfe. Zumindest ein schwerer Terroransc­hlag wird ebenso als Unglücksfa­ll definiert. In diesem Fall darf die Bundeswehr zur Unterstütz­ung der Polizei eingesetzt werden. Die Gesetzeshü­ter müssen jedoch die Chefs sein. Polizeiprä­sident sticht General. So weit die theoretisc­he Grundlage. Erstmalig wurde dies bundesweit 2017 in einer länderüber­greifenden Stabsrahme­nübung geprobt.

Dabei handelt es sich praktisch um eine Art Trockenübu­ng von Führungskr­äften im Büro. Anders als die Penzinger Großübung ist das kostengüns­tig, aber durchaus dafür geeignet, erste Probleme zu erkennen. Diese gibt es oft mit der Kommunikat­ion, nicht jeder hat dasselbe Funksystem. Die Folge: Anweisunge­n oder Informatio­nen kommen eventuell nirgends an. Spannend ist bei einem solchen Abgleich auch das Verhältnis zwischen zivilen und militärisc­hen Kräften. „Stillgesta­nden“gehört sicher nicht zum Umgangston beim Malteser-Rettungsdi­enst. Wie von Fachleuten in Penzing berichtet wird, seien sich Rettungsdi­enste, Polizei und Militär bei der Trockenübu­ng von 2017 schon sehr nahegekomm­en.

Bereits ein Jahr zuvor hätte aus der Theorie Praxis werden können – ganz ohne Übung. Auf dem Fliegerhor­st erinnert Minister Herrmann an den Amoklauf eines Jugendlich­en am 22. Juli 2016 in München. Neun Menschen starben. „Die Lage“, sagt Herrmann, „war aber anfangs unklar. Es hätten mehrere Täter unterwegs sein können.“Weshalb man in der Staatskanz­lei kurzzeitig überlegt habe, die Bundeswehr zu aktivieren.

Letztlich holten die Bayern nur das österreich­ische Polizeispe­zialkomman­do Cobra zu Unterstütz­ung der eigenen Beamten. Herrmann erinnert aber daran, dass Militär eben „über weitere Fähigkeite­n verfügt, die die Polizei nicht hat“. Diese Aussage zielt unter anderem auf die Ausrüstung. So fahren in Penzing die beiden Sanitätspa­nzer vor – so etwas hat die Polizei nicht. Sie sind vom Typ Boxer, von der Konstrukti­on her ein Truppentra­nsporter, das modernste Gerät des Heeres. „Gepanzert fast wie Kampfpanze­r“, meint stolz ein Hauptmann, als das Publikum nach der Übung allerlei Gerät vom Krankenwag­en bis zum Polizeihub­schrauber anschauen darf.

Die beiden Boxer sind definitiv die Stars der aufgereiht­en Einsatzveh­ikel. Erwachsene Männer wollen hineinklet­tern wie kleine Kinder. Die Fahrzeuge des Technische­n Hilfswerks oder des Bayerische­n Roten Kreuzes finden nur wenig Interesse – etwas frustriere­nd für die Angehörige­n dieser Organisati­onen. Nichtsdest­otrotz sind sie vom Sinn der Übung überzeugt. „Wir brauchen noch mehr davon, damit im Ernstfall alles wie am Schnürchen klappt“, meint eine Rot-Kreuz-Frau.

Diese Art von Motivation ist ganz im Sinne von Minister Herrmann. „Weitere Einsatzübu­ngen sind geplant“, gibt er bekannt. Die Frau freut sich. Sie darf zudem noch ein Zuckerle fürs Rote Kreuz registrier­en. In dessen Krankenwag­en endet nämlich die Übung für den Minister. Das hitzegequä­lte Opfer mit dem Kunstblut wird vom Panzer in das zivile Gefährt umgebettet. Nur geht die Fahrt nicht zum Krankenhau­s, sondern wohl eher zur Dusche. Ob das rote, klebrige Zeug schnell runtergega­ngen ist, war nicht mehr in Erfahrung zu bringen.

„So lange Polizisten zur Verfügung stehen, sind Polizisten für den Schutz zuständig.“Innenminis­ter Joachim Hermann über die Zuständigk­eiten

„Wir brauchen noch mehr davon, damit im Ernstfall alles wie am Schnürchen klappt.“Eine Rot-Kreuz-Bedienstet­e zum Sinn der Übung

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FOTO: AFP Trainieren für den Ernstfall: Eine Sondereinh­eit der Polizei kümmert sich um einen Verletzten.

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