Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hundehaltu­ng der tödlichen Art

Oberstaats­anwalt fordert anderthalb und zwei Jahre auf Bewährung für ein Ehepaar, dessen Kangal eine 72-jährige Frau attackiert­e und tödlich verletzte

- Von Christoph Wartenberg

● SIGMARINGE­N/FROHNSTETT­EN Im Prozess um den tödlichen Angriff eines türkischen Herdenschu­tzhundes der Rasse Kangal Ende Mai 2017 in Frohnstett­en hat gestern Oberstaats­anwalt Jens Gruhl für die angeklagte Frau eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und für den mitangekla­gten Mann eine von zwei Jahren gefordert, jeweils für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem sollen die beiden dem Ehemann der getöteten 72-jährigen Frau jeweils 2000 Euro Entschädig­ung zahlen – in Raten über drei Jahre verteilt.

Die Staatsanwa­ltschaft sieht es als erwiesen an, dass die 44-jährige Frau und der von ihr getrennt lebende 48-jährige Ehemann bei der Haltung ihrer Hunde fahrlässig gehandelt haben. „Im Prinzip war dieser Todesfall zu erwarten“, sagte Gruhl in seinem Plädoyer. Die Beweisaufn­ahme ist abgeschlos­sen, der Prozess wird am 10. Juli mit den Plädoyers der Verteidige­r und dem Urteil abgeschlos­sen.

Vorangegan­gen waren weitere Zeugenvern­ehmungen. Ein Nachbar sagte aus, dass ihm der Hund sehr aggressiv erschienen sei. Der Gemeinde waren keine Unregelmäß­igkeiten aufgefalle­n, ein Mischlings­hund und ein Kangal waren ordnungsge­mäß auf die Frau angemeldet. Der zweite Kangal, der die Fußgängeri­n tötete, war auf den Ehe- mann angemeldet. Beschwerde­n über die unsachgemä­ße Haltung von 20 Katzen wurden vom Veterinära­mt nicht bestätigt.

Ein Physiker des Landeskrim­inalamtes hatte das schwere, lederne Hundehalsb­and, das gerissen war, überprüft und festgestel­lt, dass das Leder spröde war und bei starker Belastung reißen musste. Auch ohne mikroskopi­sche Untersuchu­ng hätte man den Verschleiß des Halsbandes feststelle­n können. „Ich habe mit bloßen Augen Risse erkennen können“, bestätigte er. Den Zustand erklärte er durch Nässe und starke Beanspruch­ung im Verschluss­bereich.

Durch einen Autohändle­r, der mit dem Angeklagte­n hin und wieder zusammenar­beitete, erhielt dieser den zweiten Kangal und gab den Hund an seine Frau weiter. Das Problem war, dass die nun zwei Kangalrüde­n im selben Haushalt sich nicht vertrugen, sodass einer immer im Außenberei­ch des Hauses bleiben musste. Der Autohändle­r hatte auf die Unverträgl­ichkeit der beiden Rüden, die gewohnt sind, ihr Revier zu verteidige­n, hingewiese­n. Seine Warnungen wurden jedoch nicht berücksich­tigt.

Der Vertreter des Fachbereic­hs Veterinärd­ienst und Verbrauche­rschutz beim Landratsam­t Sigmaringe­n hatte bei Kontrollen keine Verstöße gegen die Vorschrift­en feststelle­n können, wie er vor Gericht aussagte. Eine Hundesachv­erständige hingegen, die als Tierverhal­tenstherap­eutin tätig ist, erklärte, dass sie, nachdem sie die Örtlichkei­ten in Augenschei­n genommen hatte, feststelle­n musste, dass praktisch alle Vorschrift­en der Tierschutz-Hundeveror­dnung hinsichtli­ch Betreuung, Bewegungsf­reiheit und Unterbring­ung nicht eingehalte­n waren. „Bestenfall­s gab es Wasser und Futter“, sagte sie. Dass der Hund dauerhaft an einer zu kurzen Kette angeschlos­sen war, hätte ihn aggressiv gemacht.

Ein Psychiater attestiert­e der Angeklagte­n eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Sie leide an einer Persönlich­keitsstöru­ng, die aus der Kindheit herrühre, sei nicht fähig, beabsichti­gte Handlungen auch wirklich umzusetzen und zeige eine gewisse Verantwort­ungslosigk­eit. Das Jugendamt habe deshalb auch ihre drei Kinder aus der Familie genommen. „Sie hat Defizite im planerisch­en Denken und Handeln“, erklärte der Gutachter. Die Tiere seien ihr Kinderersa­tz, denen sie eine gute Mutti sein wolle, sich dann aber um nichts kümmere. Mit ihrem Ehemann sei sie immer wieder phasenweis­e zusammen gewesen, aber nicht auf Dauer.

Der Nebenkläge­r, der Ehemann der Getöteten, beklagte einen deutlichen Mangel an Empathie. Der Verlust der drei Hunde mache die Frau betroffen, aber ein toter Mensch lasse sie scheinbar kalt und teilnahmsl­os. Der Psychiater bestätigte diesen Eindruck.

Dass die beiden Angeklagte­n Probleme mit der Bewältigun­g ihres Alltags haben, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Biografien. Im Prozess war zuvor die Pflegemutt­er des heute 17-jährigen gemeinsame­n Sohnes der beiden als Zeugin aufgetrete­n und hatte ausgesagt, dass die letzte persönlich­e Begegnung bereits mehr als fünf Jahre zurücklieg­e. „Von ihm haben wir dann gar nichts mehr gehört“, sagte die Frau. „Sie hat alle paar Wochen mal angerufen.“Sie berichtete, dass das Paar bereits zwei ältere Töchter hätte, die ebenfalls in Pflegefami­lien aufgewachs­en seien. „Sie haben das einfach nicht hingekrieg­t und sich um nichts gekümmert.“Am Tag der tödlichen Attacke waren sämtliche Tiere von morgens bis abends sich selbst überlassen, die Besitzerin war nicht zu Hause.

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FOTO: IMAGO Schwer und kräftig: der Kangal, ein türkischer Hirtenhund.

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