Hundehaltung der tödlichen Art
Oberstaatsanwalt fordert anderthalb und zwei Jahre auf Bewährung für ein Ehepaar, dessen Kangal eine 72-jährige Frau attackierte und tödlich verletzte
● SIGMARINGEN/FROHNSTETTEN Im Prozess um den tödlichen Angriff eines türkischen Herdenschutzhundes der Rasse Kangal Ende Mai 2017 in Frohnstetten hat gestern Oberstaatsanwalt Jens Gruhl für die angeklagte Frau eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und für den mitangeklagten Mann eine von zwei Jahren gefordert, jeweils für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem sollen die beiden dem Ehemann der getöteten 72-jährigen Frau jeweils 2000 Euro Entschädigung zahlen – in Raten über drei Jahre verteilt.
Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass die 44-jährige Frau und der von ihr getrennt lebende 48-jährige Ehemann bei der Haltung ihrer Hunde fahrlässig gehandelt haben. „Im Prinzip war dieser Todesfall zu erwarten“, sagte Gruhl in seinem Plädoyer. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen, der Prozess wird am 10. Juli mit den Plädoyers der Verteidiger und dem Urteil abgeschlossen.
Vorangegangen waren weitere Zeugenvernehmungen. Ein Nachbar sagte aus, dass ihm der Hund sehr aggressiv erschienen sei. Der Gemeinde waren keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen, ein Mischlingshund und ein Kangal waren ordnungsgemäß auf die Frau angemeldet. Der zweite Kangal, der die Fußgängerin tötete, war auf den Ehe- mann angemeldet. Beschwerden über die unsachgemäße Haltung von 20 Katzen wurden vom Veterinäramt nicht bestätigt.
Ein Physiker des Landeskriminalamtes hatte das schwere, lederne Hundehalsband, das gerissen war, überprüft und festgestellt, dass das Leder spröde war und bei starker Belastung reißen musste. Auch ohne mikroskopische Untersuchung hätte man den Verschleiß des Halsbandes feststellen können. „Ich habe mit bloßen Augen Risse erkennen können“, bestätigte er. Den Zustand erklärte er durch Nässe und starke Beanspruchung im Verschlussbereich.
Durch einen Autohändler, der mit dem Angeklagten hin und wieder zusammenarbeitete, erhielt dieser den zweiten Kangal und gab den Hund an seine Frau weiter. Das Problem war, dass die nun zwei Kangalrüden im selben Haushalt sich nicht vertrugen, sodass einer immer im Außenbereich des Hauses bleiben musste. Der Autohändler hatte auf die Unverträglichkeit der beiden Rüden, die gewohnt sind, ihr Revier zu verteidigen, hingewiesen. Seine Warnungen wurden jedoch nicht berücksichtigt.
Der Vertreter des Fachbereichs Veterinärdienst und Verbraucherschutz beim Landratsamt Sigmaringen hatte bei Kontrollen keine Verstöße gegen die Vorschriften feststellen können, wie er vor Gericht aussagte. Eine Hundesachverständige hingegen, die als Tierverhaltenstherapeutin tätig ist, erklärte, dass sie, nachdem sie die Örtlichkeiten in Augenschein genommen hatte, feststellen musste, dass praktisch alle Vorschriften der Tierschutz-Hundeverordnung hinsichtlich Betreuung, Bewegungsfreiheit und Unterbringung nicht eingehalten waren. „Bestenfalls gab es Wasser und Futter“, sagte sie. Dass der Hund dauerhaft an einer zu kurzen Kette angeschlossen war, hätte ihn aggressiv gemacht.
Ein Psychiater attestierte der Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit. Sie leide an einer Persönlichkeitsstörung, die aus der Kindheit herrühre, sei nicht fähig, beabsichtigte Handlungen auch wirklich umzusetzen und zeige eine gewisse Verantwortungslosigkeit. Das Jugendamt habe deshalb auch ihre drei Kinder aus der Familie genommen. „Sie hat Defizite im planerischen Denken und Handeln“, erklärte der Gutachter. Die Tiere seien ihr Kinderersatz, denen sie eine gute Mutti sein wolle, sich dann aber um nichts kümmere. Mit ihrem Ehemann sei sie immer wieder phasenweise zusammen gewesen, aber nicht auf Dauer.
Der Nebenkläger, der Ehemann der Getöteten, beklagte einen deutlichen Mangel an Empathie. Der Verlust der drei Hunde mache die Frau betroffen, aber ein toter Mensch lasse sie scheinbar kalt und teilnahmslos. Der Psychiater bestätigte diesen Eindruck.
Dass die beiden Angeklagten Probleme mit der Bewältigung ihres Alltags haben, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Biografien. Im Prozess war zuvor die Pflegemutter des heute 17-jährigen gemeinsamen Sohnes der beiden als Zeugin aufgetreten und hatte ausgesagt, dass die letzte persönliche Begegnung bereits mehr als fünf Jahre zurückliege. „Von ihm haben wir dann gar nichts mehr gehört“, sagte die Frau. „Sie hat alle paar Wochen mal angerufen.“Sie berichtete, dass das Paar bereits zwei ältere Töchter hätte, die ebenfalls in Pflegefamilien aufgewachsen seien. „Sie haben das einfach nicht hingekriegt und sich um nichts gekümmert.“Am Tag der tödlichen Attacke waren sämtliche Tiere von morgens bis abends sich selbst überlassen, die Besitzerin war nicht zu Hause.