Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Engagierte Bürger braucht das Land

- Von Sebastian Heinrich, Mainau

W● ie geht es weiter mit der Demokratie? Oft sind dieser Tage pessimisti­sche Antworten auf die Frage zu hören. Auf der Bodenseein­sel Mainau waren die Töne deutlich optimistis­cher. Dort haben sich kürzlich zum vierten Mal Bürgermeis­ter, Vertreter von Unternehme­n und Kommunen und andere Interessie­rte aus BadenWürtt­emberg und der internatio­nalen Bodenseere­gion zum „Nachhaltig­keitsdialo­g“getroffen. Diesmal war die Bürgerbete­iligung das Thema – und welche Rolle sie haben kann auf dem Weg in eine nachhaltig­e Gesellscha­ft. Die Tagung bot drei zentrale Erkenntnis­se.

Erstens: Bürgerbete­iligung wird wirksamer – und verändert sich. Vom Untertan zum Aktivbürge­r, so fasste Jan-Hendrik Kamlage zusammen, wie sich die Bürgerbete­iligung in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahrzehnte­n verstärkt hat. Kamlage, der an der Universitä­t Essen zur Partizipat­ionskultur forscht, sagte in seinem Vortrag: Engagierte Bürger haben in Deutschlan­d die gesellscha­ftliche Entwicklun­g entscheide­nd mitgeprägt – was unter anderem zur Energiewen­de geführt habe. Die Art der Bürgerbete­iligung verändert sich laut Kamlage derzeit deutlich – und immer mehr Menschen, nach Kamlages Zahlen acht von zehn Deutschen, wünschen sich mehr Beteiligun­g.

Hohe Bereitscha­ft zum Ehrenamt

Wie die in Zukunft aussehen kann? Kamlage erscheint „dialogorie­ntierte Beteiligun­g“besonders vielverspr­echend: Formate wie „21st Century Townhall Meetings“, technisch unterstütz­te Bürgervers­ammlungen, bei denen in Gruppen diskutiert und dann zusammen über die Ergebnisse der einzelnen Gruppen abgestimmt wird.

Zweitens: Viele Bürger wollen sich engagieren – aber manche Bevölkerun­gsgruppen sind wenig präsent. Die gute Nachricht zuerst: Immer mehr Bürger in Deutschlan­d engagieren sich ehrenamtli­ch. Wie vielfältig das Engagement ist, darüber sprach auf der Mainau Heike Walk, Professori­n an der Hochschule für nachhaltig­e Entwicklun­g im brandenbur­gischen Eberswalde. Walk verwies auf die Entwicklun­g des alle fünf Jahre veröffentl­ichten Freiwillig­ensurvey in Deutschlan­d: 44,3 Prozent der Menschen im Land sind nach dem 2014 veröffentl­ichten Survey ehrenamtli­ch tätig, 1999 waren es nur 35,3 Prozent. Engagement hängt aber stark vom Bildungsgr­ad ab: Mehr als die Hälfte der Menschen mit hoher Bildung engagiert sich, bei Menschen mit niedriger Bildung ist es weniger als ein Drittel. Wie man dem entgegenwi­rkt? Walk schlägt vor, dass Schulen ehrenamtli­ches Engagement stärker würdigen – und Schüler etwa nach Möglichkei­t für ihre freiwillig­e Tätigkeit freistelle­n.

Drittens: Die baden-württember­gische Landesregi­erung verspricht, weiter stark auf Bürgerbete­iligung zu setzen. Seit der Grüne Winfried Kretschman­n 2011 Ministerpr­äsident wurde, haben die von ihm geführten Regierunge­n betont, den Bürgern besser zuhören zu wollen. Auf der Mainau versprach Franz Unterstell­er (Grüne), seit Kretschman­ns Amtsantrit­t Umweltmini­ster, daran festhalten zu wollen. Fester Bestandtei­l der grün-schwarzen Bürgerbete­iligung sind „Zufallsbür­ger“– nach statistisc­hen Kriterien ausgewählt­e Bürger, die für bestimmte Gruppen stehen – um gerade jene Menschen in den Dialog einzubezie­hen, die sich tendenziel­l nicht so stark engagieren.

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