Engagierte Bürger braucht das Land
W● ie geht es weiter mit der Demokratie? Oft sind dieser Tage pessimistische Antworten auf die Frage zu hören. Auf der Bodenseeinsel Mainau waren die Töne deutlich optimistischer. Dort haben sich kürzlich zum vierten Mal Bürgermeister, Vertreter von Unternehmen und Kommunen und andere Interessierte aus BadenWürttemberg und der internationalen Bodenseeregion zum „Nachhaltigkeitsdialog“getroffen. Diesmal war die Bürgerbeteiligung das Thema – und welche Rolle sie haben kann auf dem Weg in eine nachhaltige Gesellschaft. Die Tagung bot drei zentrale Erkenntnisse.
Erstens: Bürgerbeteiligung wird wirksamer – und verändert sich. Vom Untertan zum Aktivbürger, so fasste Jan-Hendrik Kamlage zusammen, wie sich die Bürgerbeteiligung in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt hat. Kamlage, der an der Universität Essen zur Partizipationskultur forscht, sagte in seinem Vortrag: Engagierte Bürger haben in Deutschland die gesellschaftliche Entwicklung entscheidend mitgeprägt – was unter anderem zur Energiewende geführt habe. Die Art der Bürgerbeteiligung verändert sich laut Kamlage derzeit deutlich – und immer mehr Menschen, nach Kamlages Zahlen acht von zehn Deutschen, wünschen sich mehr Beteiligung.
Hohe Bereitschaft zum Ehrenamt
Wie die in Zukunft aussehen kann? Kamlage erscheint „dialogorientierte Beteiligung“besonders vielversprechend: Formate wie „21st Century Townhall Meetings“, technisch unterstützte Bürgerversammlungen, bei denen in Gruppen diskutiert und dann zusammen über die Ergebnisse der einzelnen Gruppen abgestimmt wird.
Zweitens: Viele Bürger wollen sich engagieren – aber manche Bevölkerungsgruppen sind wenig präsent. Die gute Nachricht zuerst: Immer mehr Bürger in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. Wie vielfältig das Engagement ist, darüber sprach auf der Mainau Heike Walk, Professorin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde. Walk verwies auf die Entwicklung des alle fünf Jahre veröffentlichten Freiwilligensurvey in Deutschland: 44,3 Prozent der Menschen im Land sind nach dem 2014 veröffentlichten Survey ehrenamtlich tätig, 1999 waren es nur 35,3 Prozent. Engagement hängt aber stark vom Bildungsgrad ab: Mehr als die Hälfte der Menschen mit hoher Bildung engagiert sich, bei Menschen mit niedriger Bildung ist es weniger als ein Drittel. Wie man dem entgegenwirkt? Walk schlägt vor, dass Schulen ehrenamtliches Engagement stärker würdigen – und Schüler etwa nach Möglichkeit für ihre freiwillige Tätigkeit freistellen.
Drittens: Die baden-württembergische Landesregierung verspricht, weiter stark auf Bürgerbeteiligung zu setzen. Seit der Grüne Winfried Kretschmann 2011 Ministerpräsident wurde, haben die von ihm geführten Regierungen betont, den Bürgern besser zuhören zu wollen. Auf der Mainau versprach Franz Untersteller (Grüne), seit Kretschmanns Amtsantritt Umweltminister, daran festhalten zu wollen. Fester Bestandteil der grün-schwarzen Bürgerbeteiligung sind „Zufallsbürger“– nach statistischen Kriterien ausgewählte Bürger, die für bestimmte Gruppen stehen – um gerade jene Menschen in den Dialog einzubeziehen, die sich tendenziell nicht so stark engagieren.