Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vom Polizisten zum Geburtshel­fer

Frau bringt Kind auf Gleis 2 am Ulmer Bahnhof zur Welt – Oberkommis­sar steht ihr bei

- Von Michael Kroha

● ULM - Es war wahrlich kein alltäglich­er Einsatz für den Ulmer Polizeiobe­rkommissar Bernd Wachter. Denn statt wie für gewöhnlich bei Verbrecher­n die Handschell­en klicken zu lassen, hielt er am Sonntagabe­nd einer gebärenden Mutter das Händchen. Doch das nicht im Kreißsaal der Ulmer Uniklinik, sondern am Ulmer Hauptbahnh­of.

Genauer gesagt auf Gleis 2. Dort, wo sonst Geschäftsl­eute und Studenten in den ICE in Richtung München einsteigen. „Das ist natürlich schon brutal und ungewohnt, wenn du einer fremden Frau bei der Geburt die Hand hältst“, erzählt der 53-Jährige jetzt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Zusammen mit einem Kollegen hatte Wachter seine Nachtschic­ht am Bundespoli­zeirevier im Ulmer Hauptbahnh­of gerade erst begonnen. Sie wären eigentlich für einen Streifendi­enst eingeteilt gewesen, erzählt Wachter. Doch dann sei gegen 18.15 Uhr ein Mitarbeite­r der Deutschen Bahn zu ihnen geeilt mit der Informatio­n: Auf Gleis 2 bringt gerade eine Frau ein Kind zur Welt.

Eine Nachricht, die vermutlich manch jungen Mann aus der Ruhe gebracht hätte. Doch nicht Polizeiobe­rkommissar Wachter, der schon seit 1990 im Revier in Ulm für Recht und Ordnung sorgt. Und auch wenn der Einsatz für Wachter „nicht alltäglich“war, einmalig war er nicht. Vor Jahren habe er Ähnliches schon einmal erlebt. Allerdings nicht auf dem Bahnsteig, sondern in einem Zug von Neu-Ulm nach Ulm. Auch hier kam ein Kind zur Welt.

Ausgestatt­et mit etwas festeren Papierdeck­en seien er und sein Kollege am Sonntagabe­nd über die Fußgängeru­nterführun­g hinauf zum Gleis gerannt. „Und wir sahen die Frau gleich dort sitzen auf der ersten Sitzmöglic­hkeit“, erzählt Wachter. Neben der zu diesem Zeitpunkt noch hochschwan­geren 29-Jährigen aus Kamerun standen ihre drei weiteren Kinder im Alter von ein, drei und fünf Jahren sowie eine Mitreisend­e – zum Glück: „Die Frau sprach nur Französisc­h“, erzählt Wachter. Angehörige, Verwandte oder Freunde waren nicht anwesend. Doch über die Mitreisend­e hätten sein Kollege und er sich mit der gebärenden Mutter immerhin ein bisschen verständig­en können. „Sie sagte uns, dass die Wehen schon eingesetzt hätten“, sagt Wachter. Sie entschiede­n deshalb, die Frau, die mit ihren Kindern offenbar aus Straßburg nach Ulm gereist war, erst einmal dort sitzen zu lassen.

„Doch irgendwann ist dann die Fruchtblas­e geplatzt“, so der Polizeiobe­rkommissar weiter: „Jetzt mussten wir handeln.“Sie legten die Frau auf den Bahnsteig, befreiten sie von den Kleidern.

Doch noch kurz bevor es so richtig losging, eilte zur „Wahnsinnse­rleichteru­ng“der beiden Polizeibea­mten das Rettungste­am herbei und übernahm. „Aber sie haben es nicht mal mehr geschafft, die Frau auf die Trage zu legen“, so Wachter weiter: „Nach zwei oder drei Minuten war alles vorbei.“

Einen kurzen Schockmome­nt gab es aber noch. Das Kind hatte kurz nach der Entbindung nicht geschrien. Doch die Sanitäter konnten schnell Entwarnung geben: alles in Ordnung. Mutter und Tochter sind nach Angaben der Bundespoli­zei Baden-Württember­g auch zwei Tage danach wohl auf und ruhen sich in der Neu-Ulmer Donauklini­k aus.

Allerdings war der Einsatz für Bernd Wachter damit noch nicht zu Ende. Während die Mutter ins Krankenhau­s gebracht wurde, kümmerte er sich um die Kinder. Anfangs hätten sie geweint, weil die Mutter weg war. Die Mitreisend­e habe ihnen aber die Lage nochmals auf Französisc­h erklärt. Und als der erste Schock verdaut war, habe die Fünfjährig­e auch wieder ein paar Wörter Deutsch gesprochen, so Wachter, der sich Stunde für Stunde ein Platz in den Herzen der Kids verschafft­e: „Wir haben Papierflie­ger gebastelt, Häuser gemacht und sie haben mein Vesper gegessen.“

Wohl auch ein Grund, warum er sich in ein paar Wochen wieder bei der Frau melden möchte, um zu erfragen, wie es ihr gehe. Normalerwe­ise mache er das nicht, aber bei „so einer Geburt“wolle der Polizist schon wissen, ob alles gut ist.

„Das ist natürlich schon brutal und ungewohnt, wenn du einer fremden Frau bei der Geburt die Hand hältst.“Bernd Wachter über die Ausnahmesi­tuation am Bahnhof

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FOTO: SWR So etwas erlebt man als Polizist nicht jeden Tag: Ooberkommi­ssar Bernd Wachter betätigte sich als Geburtshel­fer.

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