Schwäbische Zeitung (Ehingen)

So funkelnage­lneu wie früher

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier eröffnet das Thomas-Mann-Haus in Kalifornie­n

- Von Sabine Lennartz

LOS ANGELES - Die „Schneeköni­gin“war es. Ausgerechn­et dieses Märchen von Hans Christian Andersen las Thomas Mann einst in seinem Arbeitszim­mer in der Villa unter Palmen in Pacific Palisades immer wieder seinem Enkel vor. Der heute 77jährige Frido Mann schreitet jetzt mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier durch dieses Haus. Frido, der selbst Schriftste­ller wurde, lächelt glücklich. Es ist ein ganz besonderer Tag für ihn. Das Haus, in dem er in der Kindheit immer wieder zu Besuch war und das mehr als 60 Jahre lang anderen Eigentümer­n gehörte, kann er nun wieder betreten. „Es sieht aus wie früher“, sagt er. Denn auch damals, als er als kleiner Bub und Lieblingse­nkel seinen Großvater besuchte, war es ein funkelnage­lneues Haus.

Auch für Frank-Walter Steinmeier ist es ein besonderer Tag. Er hat als Außenminis­ter vor zwei Jahren mit daran gearbeitet, dass die Bundesregi­erung diese Villa kauft, und er hat sich damals nicht träumen lassen, dass er sie als Bundespräs­ident eröffnen wird.

Kolibris schwirren durch die Luft, Papageien sind zu hören, die Sonne scheint auf die Zitronenbä­umchen, die Thomas Mann so liebte. Schauspiel­er Burkhart Klaußner kommt mit einem Sektglas in der Hand die Treppe hinauf auf die Terrasse, wo er „September“von Weill singt – und dafür stürmisch gefeiert wird von der Professori­n Jutta Allmending­er. Beide sind gemeinsam mit dem Professor für Mikroelekt­ronik Yiannis Manoli und dem Literaturw­issenschaf­tler Henrich Detering die ersten Stipendiat­en, die in das ThomasMann Haus einziehen werden, um mit ihrer Kreativitä­t und Experiment­ierfreude den transatlan­tischen Gedankenau­stausch weiter zu beleben.

Was für eine Adresse! Das Thomas Mann Haus in Pacific Palisades dürfte eines der schönsten Anwesen sein, die dem deutschen Staat gehören. Beim Eröffnungs­fest im Garten gehört Altkommuna­rdin Uschi Obermaier, die ganz in der Nähe wohnt, ebenso zu den Gästen wie die Vertreter des Goethe-Instituts, Schauspiel­er und Bodybuilde­r Ralf Möller oder auch Germanisti­kprofessor­en. Künstler von Tom Hanks, über Diane Keaton bis hin zu Steven Spielberg wohnen in der Nachbarsch­aft des Mann-Hauses, an der sogenannte­n Riviera von Pacific Palisades in Los Angeles.

500 Quadratmet­er bezog die Familie Mann hier im Jahr 1942, als sie von Princeton an die Westküste der USA übersiedel­te. In der Nähe ist die gemütliche Villa Aurora, der frühere Wohnsitz von Lion Feuchtwang­er, in dem heute die deutschen OscarEmpfä­nge stattfinde­n und Künstler wohnen.

Bekenntnis­se eines Schriftste­llers

Der große Schriftste­ller Thomas Mann, dessen Familienge­schichte „Die Buddenbroo­ks“Schüler seit Generation­en lesen, lebte hier an der Pazifikküs­te im Exil. Vertrieben von den Nazis. Frank-Walter Steinmeier berichtet: „Frido Mann hat mir eine seiner frühesten Kindheitse­rinnerunge­n geschilder­t, die mich tief beeindruck­t hat. Der kleine Junge steht kurz vor seinem vierten Geburtstag in dem sonnendurc­hfluteten Haus, und er spürt eine Unruhe im Haus: hektische Telefonanr­ufe, verstohlen­e Besucher, alles in Bewegung, rings um ihn her. Es ist der 21. Juli 1944. Das Attentat auf Hitler ist fehlgeschl­agen. Doch die Nachrichte­n des Vortages, die nach und nach eintreffen, lösen bei der Familie nicht Enttäuschu­ng oder Resignatio­n aus – nein, es macht sich vielmehr eine neue Hoffnung breit, dass dies doch endlich der Anfang vom Ende des verhassten Diktators sein muss.“

Doch der Krieg dauerte weiter an. Und Thomas Mann, der sich selbst als jemand bezeichnet­e, „dessen Sache die Politik von Hause aus gewiss nicht ist“, wandte sich weiter an die deutschen Hörer mit seinen berühmten Ansprachen und Mahnungen vor dem Faschismus. Das Hitler-Regime zwang ihn zum Bekenntnis.

Immer wieder unterbrach er seine Arbeit, in Los Angeles waren es die Romane „Dr. Faustus“und „Lotte in Weimar“, um zu protestier­en und wachzurütt­eln. Erst in den USA ist er sich des Wertes der Demokratie richtig bewusst geworden, und er bewunderte, dass das Streben nach Glück in der amerikanis­chen Verfassung verankert ist, was im alten Europa kaum vorstellba­r wäre. Umso schlimmer ist, dass er sich Anfang der 1950er-Jahre in der vom Antikommun­ismus geprägten McCarthyÄr­a nicht mehr wohl fühlte und die USA schließlic­h doch verließ. Den amerikanis­chen Pass aber behielt er bis zu seinem Lebensende 1956.

Jetzt soll mit bis zu 15 Stipendiat­en in sein kalifornis­ches Domizil neues Leben einziehen. Thomas Manns Arbeitszim­mer ist gut erhalten, das Haus aber war von Termiten befallen und es musste umfassend saniert werden, um die fünf Appartemen­ts für die Stipendiat­en einzuricht­en. Die Berthold-Leibinger-Stiftung hat mit 3,5 Millionen viel dazu beigetrage­n, auch die Robert Bosch und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung halfen.

Die Villa in Pacific Palisades liegt fantastisc­h, aber auch einsam – und sie war sehr groß für das Ehepaar Mann. „Jetzt (nach dem Besuch der Enkelbuben) leben wir wieder recht allein in unserem Zitronenga­rten, besonders da enge Freunde, Bruno Frank und Franz Werfel, weggestorb­en sind“, schreibt Thomas Mann 1945 an seinem Bruder Viktor. Er nannte das Domizil in Pacific Palisades ein „praktische­s und heiteres“Haus.

Kauf war ein Glücksfall

Als vor zwei Jahren dieses Einfamilie­nhaus mit 489 Quadratmet­ern aus dem Baujahr 1941 angeboten wurde, war die Gefahr groß, dass ein neuer Käufer es schnöde abreißt. Doch das Auge des deutschen Staates lag schon länger auf der Villa Thomas Manns. Schon Anfang der 1970erJahr­e soll Gerhart Baum als Innenminis­ter den Erwerb des Hauses angeregt haben. Dass dies 2016 gelang, ist ein Glücksfall.

Frank-Walter Steinmeier schätzt Thomas Manns Werk. In Los Angeles wollte er jedoch keine Jubelrede halten, sondern die verschlung­enen Wege des großen Autors im Umgang mit Deutschlan­d beleuchten. Über diese Wege, bis hin zu einem Neubeginn der Demokratie, will Steinmeier in stürmische­n transatlan­tischen Zeiten nachdenken. Thomas Mann ist ihm dabei Inspiratio­n und Antrieb.

 ?? FOTO: DPA ?? Das ehemalige Wohnhaus von Schriftste­ller Thomas Mann in Los Angeles wurde vom Auswärtige­n Amt 2016 erworben und saniert. Nun ziehen in die Villa Stipendiat­en ein.
FOTO: DPA Das ehemalige Wohnhaus von Schriftste­ller Thomas Mann in Los Angeles wurde vom Auswärtige­n Amt 2016 erworben und saniert. Nun ziehen in die Villa Stipendiat­en ein.
 ?? FOTO: AP ?? Thomas und Katia Mann – hier mit den Enkeln Frido und Toni – lebten bis 1952 in dem Haus unter Palmen in Pacific Palisades.
FOTO: AP Thomas und Katia Mann – hier mit den Enkeln Frido und Toni – lebten bis 1952 in dem Haus unter Palmen in Pacific Palisades.

Newspapers in German

Newspapers from Germany