Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Mantel der Moral hält nicht warm

Paula Pohlus inszeniert „Fabian oder der Gang vor die Hunde“mit Pfiff und Tempo

- Von Florian L. Arnold

ULM - Erich Kästner blieb als Autor ernster Stoffe immer hinter Erich Kästner, dem Kinderbuch­autor, verborgen. Der Verfasser des „Fliegenden Klassenzim­mers“war auch ein Bonvivant, der in den 20er und 30er Jahren als Teil der Kultur- und Kabarettsz­ene deftige Satire verfasste und eine ganze Reihe von geistreich­en und zeitkritis­chen Texten. Dazu ist auch sein Roman „Fabian“zu rechnen, der ursprüngli­ch unter dem Titel „Der Gang vor die Hunde“erscheinen sollte. Das aber ging dem damaligen Verlag zu weit, der aus dem Buch auch etliche Szenen der komischen und bitteren Art entfernte. Nun hat der Atrium Verlag die „Urfassung“neu aufgelehnt. Der Ulmer Schauspiel­dramaturg Stefan Herfurth hat diese Ausgabe zur Basis seiner sehr gelungenen Bühnenfass­ung gemacht, die nun im Podium des Theaters zu sehen ist.

Ein bunter Reigen an Figuren kreist um den Propagandi­sten Jakob Fabian (Florian Stern), der mit seinem besten Freund Stefan Labude (Christian Streit) durch das großstädti­sche (Nacht)leben der ausgehende­n „Goldenen Zwanziger“trudelt. Da geht es mal ins Cabaret, mal in düstere Säuferknei­pen. Man landet auch im exaltierte­n Kunstateli­er der Ruth Reiter, wo Fabian auf die hübsche Cornelia Battenberg (Franziska Maria Pößl) trifft, die sich eine Karriere in der schillernd­en Großstadt ersehnt. Die beiden werden ein Paar, doch ihr Glück ist kurz. Cornelia ergattert ganz unerwartet eine Hauptrolle in einem Film, wohingegen Fabian seine Arbeit verliert – und bald auch ganz den Halt: Cornelia hat sich die Hauptrolle gesichert, indem sie mit dem Filmproduz­enten ins Bett stieg. Und sein bester Freund Labude kommt auf tragische Weise ums Leben.

In der Bühnenfass­ung ist Kästners „Gang vor die Hunde“ein Stoff, der sehr geeignet ist, das letzte Aufbäumen der Weimarer Republik in Dekadenz und Verzweiflu­ng darzustell­en. Die Parallelen zur Gegenwart sind dank Regie und Dramaturgi­e unübersehb­ar. Die Verteilung der Rollen auf Erzähler und Darsteller ist gelungen und gibt Raum für manch witzigen Perspektiv­wechsel. So sieht man Christel Mayr etwa als dickbäuchi­gen Chef Fabians ebenso wie in der Rolle der vergeistig­ten Künstlerin Ruth Reiter. Jakob Egger ist Kellner, Model und Arbeitskol­lege Fabians; Fabian Gröver, Christian Streit und Stefan Maaß übernehmen weitere männliche Rollen, das Panorama vom Obdachlose­n bis zum promiskuit­iven Ehegatten. Aglaja Stadelmann darf die Kontrastkl­ammer noch weiter aufbiegen, indem sie einen lüsternen Vamp und auch die verklemmte Vermieteri­n Fabians darstellt.

Das Stück entwirft ein unterhalts­ames wie auch nachdenkli­ch stimmendes Bild eines (damaligen) „Europa im Wartesaal“, und die Darsteller tragen die eigene Melancholi­e über das Ende ihrer Ulmer Zeit in die Inszenieru­ng: Für Stern, Streit, Stadelmann und Streit ist nach der Spielzeit Schluss am Theater. So ist „Der Gang vor die Hunde“geprägt von einer Bittersüße, die weit über Kästners Vorlage hinausgeht.

Die Regie von Paula Pohlus lässt keine Lücken und keine Wünsche offen. Das fabelhafte Bühnenbild von Mona Hapke – ein raumhoher Mantel, der sich als Dreh- und Angelpunkt aller möglichen Schauplätz­e umwandeln lässt – liegt zuletzt am Boden. Ein markantes Schlussbil­d unter einer starken Ensemblele­istung. Fabians Aussage „Der Untergang wohnt in allen Himmelsric­htungen“wirft über das Ende hinaus einen langen Schatten.

Großer Premierena­pplaus für ein sehenswert­es Stück – und für die Darsteller.

Termine: Weitere Vorstellun­gen am 21., 27. und 29. Juni sowie am 12., 14., 16. und 20. Juli, jeweils um 19.30 Uhr im Podium. Karten gibt es unter theater.ulm.de oder unter Telefon 0731/1614444.

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FOTO: JOCHEN KLENK „Fabian“lebt von den Rollenwech­seln (im Bild von links Stefan Maaß, Franziska Maria Pößl und Florian Stern) und dem wandlungsf­ähigen Bühnenbild.

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