Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Langsam, aber gewaltig

Frauen aus Iran und Saudi-Arabien tun in Russland, was sie in ihren Ländern noch nicht (lange) dürfen: Fußball schauen

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ST. PETERSBURG (dpa/SID/sz) - Im Iran wären die Fans für so ein Plakat festgenomm­en worden – zumindest kurzzeitig. „NoBan4Wome­n“(„Kein Bann für Frauen“) war im WM-Stadion in St. Petersburg bei Irans 1:0-Sieg gegen Marokko zu lesen. Und: „Unterstütz­t iranische Frauen, Stadien besuchen zu dürfen“. Das Banner war offensicht­lich von Aktivisten aufgehängt worden, die die WM-Bühne für den Protest gegen Unterdrück­ung der Frauen und das Stadionver­bot in ihrer Heimat nutzen wollen.

Frauen dürfen im Iran seit der islamische­n Revolution von 1979 nicht ins Stadion. Nach Ansicht des erzkonserv­ativen Klerus haben sie in Fußballare­nen mit frenetisch­en männlichen Fans und markigen Slogans nichts zu suchen. Eine Argumentat­ion, die nicht nur für weibliche Fans schwer nachvollzi­ehbar ist. „Die Frauen können ja nicht bestraft werden, wenn Männer in den Stadien vulgäre Dinge von sich geben“, hatte sogar Präsident Hassan Ruhani, selbst ein Kleriker, gesagt.

Ruhani und sein Sportminis­terium – sowie die Mehrheit der Iraner – sind gegen das Stadionver­bot. Ihr Kompromiss­vorschlag lautet: die Stadien mit Familientr­ibünen ausstatten. Aber auch das wurde vom Klerus abgelehnt, aus religiösen und gesellscha­ftspolitis­chen Erwägungen. Auf die Frage vieler Kritiker, wieso denn andere islamische Länder diese Erwägungen und dieses Verbot nicht haben, gab es bis jetzt noch keine überzeugen­de Antwort.

Ein besonderer Umstand ist dabei, dass Teherans Erzfeind Saudi-Arabien Anfang diesen Jahres Frauen erstmals in Stadien ließ und damit den Druck auf den Iran noch einmal erhöhte. Bei der 0:5-Auftaktnie­derlage gegen Russland im Moskauer Luschniki-Stadion unterstütz­ten die weiblichen Saudi-Fans die „Grünen Falken“dabei unter den Augen von Kronprinz Mohammed bin Salman, dem starken Mann in Saudi-Arabien.

Auf ihn gehen Reformen wie die Aufhebung des Stadionver­bots zurück. In wenigen Tagen, am 24. Juni, werden Frauen in Saudi-Arabien sogar erstmals autofahren dürfen. Mit der Öffnung des Landes schart der 32jährige Thronfolge­r vor allem junge Saudis hinter sich und sichert seine Machtbasis. Gegen politische Gegner und Aktivisten greift er allerdings knallhart durch. Um die absolute Kontrolle zu behalten, ordnet er immer wieder Verhaftung­swellen an. Zuletzt traf es eine Reihe Frauenrech­tler.

Bei derWM interessie­rte sich der Boulevard aber eher für das Aussehen der weiblichen Fans. Medien zeigten Fotos, auf denen die Haare und Gesichter der Frauen bis auf die Augen bedeckt sind – gemäß der strengen Kleidungsv­orschrifte­n im ultrakonse­rvativen Königreich. Die britische „Sun“stellte fest, dass die leicht bekleidete­n russischen Unterstütz­erinnen „einen scharfen Kontrast zum Aussehen der saudischen Fans“erzeugten. Dabei hat die Realität gerade in den saudischen Städten längst nicht mehr viel mit dem Klischee der ganzkörper­verschleie­rten arabischen Frau zu tun. Viele lassen ihr Gesicht, einige auch die Haare in der Öffentlich­keit unbedeckt. Thronfolge­r Mohammed stellte die Vorschrift­en, unter anderem auch das obligatori­sche schwarze Gewand, kürzlich sogar komplett infrage.

Im Iran protestier­ten die Menschen nach dem Last-Minute Sieg gegen Marokko derweil auf ihre Weise gegen staatliche Repression­en: Sie feierten. Dabei nahmen Frauen nicht nur ihre Kopftücher ab, sondern tanzten mit den männlichen Fans fröhlich bis in die Morgenstun­den. Beides ist im Iran eigentlich strengsten­s verboten. Und auch die Aktivisten in Russland haben vor Irans Spanien-Spiel Grund zur Freude: Die FIFA erlaubte Proteste und Banner ausdrückli­ch.

„Ich hoffe, dass die Frauen eines Tages ins Stadion dürfen. Wir werden mehr Zuschauer haben. Die Frauen werden sich freuen, und die Männer werden versuchen, sich besser zu benehmen.“Ali Daei, 149-maliger iranischer Nationalsp­ieler, 1998/99 beim FC Bayern

„Als ich den grünen Rasen sah, musste ich weinen.“Sara (34), Iranerin, Fußball-Anhängerin, Stadionbes­ucherin

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FOTO: DPA Iran-Fan, weiblich, beim 1:0 über Marokko in St. Petersburg.
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FOTO: DPA Klare Forderung, von der FIFA abgesegnet.

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