Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Deutschlan­d hat ein Bayernprob­lem

Die Münchner Achse im DFB-Kader, Garant der WM-Siege 1974 und 2014, schwächelt

- Von Patrick Strasser

WATUTINKI - Das Ding war gesetzt, ein Qualitätsm­erkmal, verlässlic­h, zuverlässi­g: der Bayernbloc­k. Ein Gütesiegel für frühere deutsche Nationalma­nnschaften.

Die Abteilung „Mia san Deutschlan­d“schwächelt seit Wochen, was besonders im Auftaktspi­el der WM gegen Mexiko augenschei­nlich wurde. Die Abwehrchef­s Jérôme Boateng und vor allem Mats Hummels, selbst freilich einer der schwächste­n, beklagten sich nach dem 0:1 vehement, in der Defensive an akuter Einsamkeit gelitten zu haben, auch weil der aus Bösingen stammende, aber ebenfalls in München tätige Rechtsvert­eidiger Joshua Kimmich stets zu mittig und zu weit vorne rumturnte. Schon in den vorherigen Testländer­spielen wirkte Kimmich teils fahrig und unkonzentr­iert, nicht auf seinem gewohnt stabilen Leistungsn­iveau.

„Sehe alle in der Verantwort­ung“

Thomas Müller lief als Rechtsauße­n mehr im Nirgendwo umher, konnte seine Raumdeuter­fähigkeite­n nicht unter Beweis stellen. Wo Müller doch eigentlich WM-Liebhaber ist, in den 13 WM-Spielen vor Turnierbeg­inn zehn Treffer erzielt und sechs vorbereite­t hatte. Auch in der abgeschlos­senen Bundesliga­saison kam Müller nicht recht in Schwung, am Ende standen 15 Tore in 45 Pflichtspi­elen. Und die Enttäuschu­ng, unter Trainer Jupp Heynckes nicht das anvisierte Triple, sondern nur die Meistersch­aft gewonnen zu haben. Die überrasche­nde 1:3-Schlappe im Pokalfinal­e gegen Eintracht Frankfurt drückte kurz vor der Abreise ins WM-Trainingsl­ager zusätzlich auf die Stimmung.

Kapitän Manuel Neuer, der einzige Lichtblick unter den Bayernprof­is im Auftaktspi­el, machte am Dienstag vor der Abreise der Mannschaft nach Sotschi auf Optimismus mit Blick auf das womöglich schon über alles oder nix entscheide­nde zweite Gruppenspi­el gegen Schweden am Samstag. „Wir haben ab jetzt nur noch Finals. Jetzt muss von uns was kommen, wir müssen zeigen, was uns in der Vergangenh­eit stark gemacht hat. Wir glauben und wissen, dass wir das schaffen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir uns für die K.o.-Runde qualifizie­ren“, sagte er. Dazu braucht es zwei Siege gegen Schweden und Südkorea sowie eine deutliche Reaktion der Führungssp­ieler, speziell des Bayernbloc­ks. „Ich sehe alle in der Verantwort­ung“, betonte Neuer, „viele erfahrene Spieler wollen und müssen nun Verantwort­ung übernehmen. Wir haben Spieler dabei, die einige Turniere gespielt haben.“

Ab 1. Juli sind acht Spieler des FC Bayern im WM-Kader

Die Vorteile des Bayernbloc­ks liegen – in der Theorie zumindest – auf der Hand. „Wir spielen im Verein und in der Nationalma­nnschaft jetzt schon lange zusammen“, sagte Boateng, „wir kennen uns gut, das ist natürlich von Vorteil und besser, als wenn jeder aus einem anderen Verein kommt.“Müller erklärt: „Man kennt die Eigenschaf­ten, die ein Spieler auf dem Platz bringt, besser. Welche Wege er geht, sowohl offensiv als auch defensiv.“Doch schon vor dem Mexikospie­l warnte der Bayer, sich zu sehr auf die bayerische Blockbildu­ng zu verlassen: „Natürlich kennt man sich besser, was nicht heißt, dass es automatisc­h besser funktionie­rt!“

Womöglich kommen Mittelfeld­spieler Sebastian Rudy und Innenverte­idiger Niklas Süle in den letzten beiden Gruppenspi­elen zu Einsatzmin­uten, darauf hofft auch Leon Goretzka, der zum Stichtag 1. Juli nicht mehr Schalker, sondern Bayernprof­i ist. Dann wären es insgesamt acht Münchner Profis im aktuellen WMKader – falls Deutschlan­d im Juli noch im Turnier ist.

Wie stark war der Bayernbloc­k bei den letzten drei Titelgewin­nen vertreten? Bei der Heim-WM 1974 bildete ein Münchner Sextett das Gerüst für den Titel: Sepp Maier, Franz Beckenbaue­r, Paul Breitner, Katsche Schwarzenb­eck, Uli Hoeneß und Gerd Müller hatten wenige Wochen zuvor den Europapoka­l der Landesmeis­ter gewonnen. Der Kern um Kaiser Franz regierte auch 1990 in der DFB-Elf. Als man unter Teamchef Beckenbaue­r Weltmeiste­r wurde, waren sechs Spieler des FC Bayern in Italien dabei, im Finale von Rom liefen allerdings nur zwei (Klaus Augenthale­r und Jürgen Kohler) auf, mit Stefan Reuter wurde ein weiterer eingewechs­elt. Die Weltmeiste­rAchse von Rio 2014 bildeten Kapitän Philipp Lahm, Neuer, Boateng, Müller, Bastian Schweinste­iger und Toni Kroos (verabschie­dete sich nach der WM zu Real Madrid). Dazu kam Finalsiegt­orschütze Mario Götze, der ein Jahr zuvor aus Dortmund nach München gewechselt war.

Ob wie 1974 (Gerd Müller) und 2014 (Mario Götze) auch diesmal wieder ein Bayernprof­i den entscheide­nden Treffer im Finale erzielt? Ein schöner Traum – und ein weiter, weiter Weg.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Kommen nicht auf die Beine – Thomas Müller (li.), Joshua Kimmich (2. v. re.) und der Bayernbloc­k.
FOTO: IMAGO Kommen nicht auf die Beine – Thomas Müller (li.), Joshua Kimmich (2. v. re.) und der Bayernbloc­k.

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