In Stuttgart drohen ab Januar Fahrverbote
Gerüchte um Einschränkungen für Diesel ab 2019 - Experte warnt vor jahrelangen Folgen
STUTTGART/ESSEN (dpa) - BadenWürttemberg möchte bekanntlich mit allen Mitteln verhindern, dass es in der Landeshauptstadt Stuttgart zu Fahrverboten für ältere Diesel-Fahrzeuge kommt. Doch nun kursiert in der grün-schwarzen Landesregierung offenbar ein Plan, der vorsieht, dass es möglicherweise zum 1. Januar 2019 doch dazu kommen könnte – für Diesel bis zur Euronorm 4. Wie mit Diesel der neueren Abgasnorm 5 umgegangen werden soll, ist noch offen. Verbote sollen hier möglichst vermieden werden. Ob dies angesichts des Urteils des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts vom Februar möglich ist, hängt auch von der Wirkung eines Maßnahmenpaketes zur Luftreinhaltung ab, das die Regierung vor der Sommerpause schnüren will.
Heute kommt in Stuttgart wieder eine kleine Koalitionsrunde zusammen. Beraten werden soll über mögliche Ausnahmen von Fahrverboten und konkrete Maßnahmen für saubere Luft. Dazu könnten ein besserer ÖPNV, Radschnellwege, Verkehrsverstetigungen und eine bessere Parkraumbewirtschaftung gehören.
Zugleich stellte am Dienstag der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen, eine pessimistische Prognose. Der Kampf gegen zu hohe StickoxidEmissionen werde einer CAR-Studie zufolge viele deutsche Metropolen noch jahrelang begleiten. Laut der Untersuchung werden neun Städte – neben Kiel, Limburg, Köln, Hamburg, Düren und Düsseldorf auch Stuttgart, München und Reutlingen – noch mindestens bis 2020 stärker belastet sein als gesetzlich erlaubt. Die bisherige Verbesserung der Luftqualität reiche nicht, um bis 2020 weitere Diesel-Fahrverbote auszuschließen, so Dudenhöffer. „Deutschland wird sein Diesel-Problem so schnell nicht loswerden.“
Die Maßnahmen, die Autobauer und Politik ergriffen, seien unzulänglich: „Die Software-Updates zeigen wenig Wirkung, wie unsere Daten zeigen.“Zudem kämen viele Diesel der Abgasnorm 6 auf den Markt, deren Emissionen im realen Betrieb die Verbesserung der Grenzwerte „nicht begünstigen“. „Die Autobauer und die Politiker haben einen Fehler gemacht, indem sie Hardware-Nachrüstungen ausgeschlossen haben“, sagte Dudenhöffer.
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BERLIN - „Deutschland wird sein Dieselproblem so schnell nicht loswerden“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Chef des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen, nach der Auswertung der deutschen Stickstoffmessstationen. Er kommt zu dem Schluss, dass die Maßnahmen, die Autobauer und Politik ergriffen, nicht ausreichten. Kritik übte auch der Deutsche Städtetag im Verkehrsausschuss des Bundestags am Montag.
Der Deutsche Städtetag beklagt Verzögerungen bei den Förderprogrammen des Bundes. Mit einer Milliarde Euro sollen die Kommunen bei der Umrüstung ihrer Busse oder dem Aufbau digitaler Verkehrsleitsysteme unterstützt werden. Die Abwicklung des Sofortprogramms gestalte sich „ausgesprochen sperrig“, erläuterte der Verbandsvertreter Hilmar von Lojewski den Bundestagsabgeordneten im Verkehrsausschuss.
„Es wäre hilfreicher gewesen, anstelle von elf unterschiedlichen Förderrichtlinien einen tatsächlich schnell adressierbaren und aktionsorientierten Sofortfonds einzurichten“, kritisiert er. Als Folge mussten die Kommunen für alle bisherigen Initiativen selbst gerade stehen.
„Es ist noch kein Bundeseuro geflossen“, klagt Lojewski. Das könnte weitere Fahrverbote begünstigen, befürchtet der Städtetag, da Gerichte die kommunalen Maßnahmen nicht mehr als schnell wirksame Instrumente anerkennen und deshalb den Weg für härtere Lösungen freigeben würden.
Derzeit werden die Grenzwerte für Stickoxide noch in 60 Städten überschritten. Hier drohen laut Städtetag strecken- oder zonenbezogene Fahrverbote. In Hamburg sind bereits zwei Straßen gesperrt. In Aachen könnte ähnliches Anfang 2019 geschehen, wie das Verwaltungsgericht dort jüngst urteilte. Weitere fünf Gerichtsentscheidungen in anderen Städten stehen in diesem Jahr wenigstens noch aus. Doch laut Städtetag ist der Vollzug von Dieselsperrungen ohne Kennzeichnung der betroffenen Fahrzeuge kaum kontrollierbar. „Wir erwarten vom Bund die Einführung einer blauen Plakette zur Kennzeichnung abgasarmer DieselPkw“, sagt Lojewksi deshalb.
Gesundheitsrisiken
Über die durch Stickoxide entstehenden Gesundheitsrisiken gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Der Gutachter des Bundes für Umwelt und Naturschutz führt eine ganze Reihe Atemwegserkrankungen an, die durch eine zu hohe Belastung mit dem Schadstoff ausgelöst werden. Dazu gehören chronischer Husten, Bronchitis und Asthma. Allein in Deutschland seien 2014 nahezu 13 000 Menschen vorzeitig an den zu hohen Belastungen gestorben. Das sieht Matthias Klingner vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme ganz anders. „Nicht ein Mensch stirbt in Deutschland an Schadstoffemissionen, die aus den Dieselmotoren deutscher Pkw stammen“, versichert der Wissenschaftler. Er führt natürlich verursachte Luftbelastungen, durch das Wetter bedingte Grenzwertüberschreitungen oder lokale Bedingungen als zusätzlich zu berücksichtigende Faktoren an. Die europäischen Grenzwerte würden nicht mehr dem Stand der Erkenntnisse entsprechen. Klingner fordert daher eine Novellierung der europäischen Richtlinien.
Sowohl die FDP als auch die Linke halten technische Nachrüstungen älterer Diesel auf Kosten der Autoindustrie für unerlässlich. Dies fordern beide Parteien nun in einem Entschließungsantrag. Im Sinne des Verursacherprinzips müsse die Bundesregierung hier die Industrie in die Pflicht nehmen, heißt es. Die Verbände schließen sich der Forderung an. Der ADAC sieht nur wenige Chancen für eine Umrüstung auf Kosten der Industrie. Eine rechtliche Verpflichtung zur Nachrüstung bestehe nicht, stellt der Chef des Autoclubs, Alexander Möller, fest.