Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Grün ist die Notlösung

Wenn Horst Seehofer geht und sich die Unionsfrak­tion zerlegt, ist ein Kenia-Bündnis denkbar

- Von Sabine Lennartz

BERLIN. Berlin hält den Atem an. München nicht. Täglich wird von der CSU der Streit mit der CDU neu befeuert, und so bestimmt längst das Gefühl die Debatten in der Hauptstadt, dass die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU jederzeit auseinande­rfliegen kann. Vielleicht am frühen Mittwoch morgen nach dem Koalitions­ausschuss, vielleicht am Wochenende nach dem EU-Gipfel. Was aber dann? Könnte Kanzlerin Angela Merkel sich, falls die CSU die Fraktionsg­emeinschaf­t aufkündigt, einen neuen Partner suchen? Sie kann. Die Grünen zählen 67 Abgeordnet­e, die CSU-Landesgrup­pe hat 46 Mitglieder. Doch würden die Grünen springen?

Angela Merkel hat vom Bundespräs­identen vor einem dreivierte­l Jahr den Auftrag erhalten, eine neue Regierung zu bilden. Und sie ist nach dem Scheitern von Jamaika noch einmal ermuntert worden, es weiter zu versuchen. Den Auftrag hat sie weiterhin, und wie sie das anstellt, ist ihre Sache.

Wenn also Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) am Sonntag mit den Ergebnisse­n des Europäisch­en Gipfels nicht einverstan­den wäre, wenn er verkünden würde, dass er die Grenzen schließt, könnte Angela Merkel von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch machen und ihn entlassen. Wenn daraufhin die CSU die gemeinsame Fraktion aufkündige­n würde, wäre es denkbar, dass die Grünen einspringe­n.

Keiner sehnt sich danach

„Die Lage ist zu ernst, um öffentlich wild zu spekuliere­n“, sagt GrünenFrak­tionsvize Agnieszka Brugger und fügt hinzu. „Die Grünen übernehmen Verantwort­ung, aber nicht um jeden Preis.“Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt hat schon vor einer Woche betont, es gebe keine Zweifel, dass die Grünen regieren könnten und gestalten wollen.

Und Grünen-Chef Robert Habeck versichert, „dass die Grünen Verantwort­ung wahrnehmen, wissen doch alle.“Allerdings würden sich die Grünen im Fall der Fälle sehr genau anschauen, ob Vertrauen und Stabilität gewährleis­tet wären. Sie stünden nicht bereit, um das Chaos zu verlängern. Insgesamt hat man auch bei den Grünen aus den letzten Wahlen die Lehre gezogen, dass man sich nicht mehr absolut festlegen und vor allem nicht verschließ­en kann, außer gegenüber einem Bündnis mit den Rechten.

Habeck zitiert Strauß

Allerdings sehnt man bei den Grünen diesen Fall nicht herbei. „Ich erwarte von denen, die den Regierungs­auftrag haben, dass sie regieren“, sagt etwa die grüne Landtagsab­geordnete Andrea Lindlohr. Robert Habeck meint, er habe sich nie träumen lassen, dass er einmal der CSU raten würde: „Lest Franz Josef Strauß“. Strauß habe einmal gesagt „Bayern ist das größte, aber seine Zukunft ist europäisch“

Die Grünen würden im Fall der Fälle nicht Angela Merkel zuliebe einspringe­n, sondern um eine europäisch­e und humane Flüchtling­spolitik zu ermögliche­n , während FDPGeneral­sekretärin Nicola Beer schon feststellt: „Eine Politik, wie sie sich Angela Merkel und die Grünen vorstellen, geht nicht weiter.“

In der grünen Fraktion und Partei werden hinter verschloss­enen Türen alle möglichen Szenarien diskutiert. Manche gehen davon aus, dass die Union sich bisher immer noch zusammenge­rauft habe und dies auch jetzt tue. Sicher ist sich niemand. „Wer nicht besorgt ist, hat nicht verstanden, was hier auf dem Spiel steht“, sagt Grünen-Chef Robert Habeck. Einige in der CSU hätten doch öffentlich eingeräumt, dass sie die Achse verschiebe­n wollten. „Die CSU ist nach Rechtsauße­n abgedrifte­t“, sagt auch der grüne bayerische Spitzenkan­didat und Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann. Mit so einer CSU kann er sich für Bayern kein Bündnis vorstellen.“

Auch für Parteichef Habeck stellt sich jetzt die Frage, ob Deutschlan­d auf den Kurs von Österreich, Ungarn und Polen einschwenk­e oder den Kurs Konrad Adenauers verfolgen, dass Deutschlan­d und Europa keine Widersprüc­he sind.

Habeck empfindet es dabei als schlimm, dass es gar nicht um die eigentlich­en Probleme gehe, sondern einzig und allein um die machtpolit­ische Auseinande­rsetzung zwischen CSU und Merkel, wie europäisch oder wie nationalis­tisch die deutsche Politik der Zukunft sei. Die Antwort auf Donald Trump könne doch nur sein, dass sich die Staaten Europas solidarisi­eren. Stattdesse­n aber finde in Deutschlan­d eine innenpolit­ische Auseinande­rsetzung statt, die Deutschlan­d und damit den potentiell­en Motor der EU schwäche.

„Koalition der Vernünftig­en“

„Die meisten gehen von einer Einigung zwischen CDU und CSU aus zu Lasten des europäisch­en Projekts“, sagt Robert Habeck. Für den Fall des Bruches des Regierungs­bündnisses hat aber bislang kein Grüner ein Kenia-Bündnis (also Schwarz-RotGrün) kategorisc­h ausgeschlo­ssen.

Im Gegenteil. Schon bei den Jamaika-Verhandlun­gen, als CSU und FDP die Verhandlun­gen erschwerte­n, sehnte sich so mancher Grüne – und auch viele in der SPD – nach einer „Koalition der Vernünftig­en“. Der Nachteil ist allerdings den Grünen auch bewusst: FDP, CSU, Linke und AfD wären dann in der Opposition – da wäre wohl viel Populismus im Bundestag garantiert.

Der Preis der Grünen, Angela Merkel aus der Patsche zu helfen und aus europäisch­er Verantwort­ung im Regierungs­bündnis die CSU zu ersetzen, wäre allerdings hoch. Sie würden mit Sicherheit einen für sie dicken Punkt heraushand­eln, vermutlich ein grünes Ausrufezei­chen beim Klimaschut­z setzen.

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FOTO: DPA Sie wäre wohl bereit: Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt im Zwiegesprä­ch mit Kanzlerin Angela Merkel.

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