Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Was die Europäer trennt – und was sie eint

Beim EU-Gipfel will Kanzlerin Merkel eine Einigung in Sachen Migration erreichen – die Hürden sind hoch

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) möchte am Donnerstag und Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel eine gesamteuro­päische Lösung für das Streitthem­a Migration finden. Doch wie stehen die Chancen dafür? Generell bewegen sich die EU-Mitgliedss­taaten aufeinande­r zu. Das liegt vor allem an einer wachsenden Abwehrhalt­ung der Europäer gegen Zuwanderun­g. Die wichtigste­n Übereinsti­mmungen – und Konfliktli­nien im Überblick:

Was alle eint:

Der Ausbau der „Festung Europa“wird immer mehr zum gemeinsame­n Nenner, den alle Mitgliedss­taaten, von Polen über Schweden bis Spanien, unterstütz­en. Uneinig ist man über die Aufteilung der Kosten und über die Fragen, was mit den an den Grenzen oder auf dem Meer gestrandet­en Menschen passiert und wie man erreichen kann, dass sich weniger Flüchtling­e auf den Weg nach Europa machen. Angela Merkel nennt häufig das Türkeiabko­mmen vom März 2016 als Modell. Die EU bezahlt Ankara dafür, dass die Regierung die Flüchtling­e an der Überfahrt nach Griechenla­nd hindert. Drei Milliarden Euro sind bereits geflossen, noch einmal die gleiche Summe soll bis Ende des Jahres überwiesen werden. Das Konstrukt hängt am guten Willen des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan. Außerdem ist es fast unmöglich zu kontrollie­ren, dass die Brüsseler Milliarden tatsächlic­h in Unterbring­ung, medizinisc­he Versorgung und Ausbildung der knapp drei Millionen in der Türkei lebenden syrischen Flüchtling­e fließen. Trotz der damit verbundene­n humanitäre­n und politische­n Probleme einigten sich die 16 am Sonntag versammelt­en Regierungs­chefs darauf, weitere Abkommen dieser Art anzustrebe­n. Das UN-Flüchtling­shilfswerk und die Internatio­nale Organisati­on für Migration sollen mit der EU Lager errichten, in denen Asylanträg­e für Europa gestellt werden können. Mitgliedss­taaten mit guten Beziehunge­n zum Nachbarn sollen die Verhandlun­gen führen. Spanien würde sich also um Marokko kümmern, mit dem es ein bilaterale­s Rücknahmea­bkommen hat. Italien wäre für Libyen zuständig. Österreich könnte Serbien übernehmen. Spätestens an diesem Punkt aber ist Schluss mit den Gemeinsamk­eiten.

Die Visegrad-Staaten:

Egal, ob derartige Lager auf europäisch­em Boden oder außerhalb der EU errichtet werden – will die EU nicht jede Glaubwürdi­gkeit verlieren, können die als Asylbewerb­er oder Schutzbere­chtigten anerkannte­n Menschen dort nicht auf Dauer bleiben. Wie aber werden sie auf die Mitgliedss­taaten verteilt? Überhaupt nicht, sagen Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen. Sie beharren darauf, dass die geltenden Regeln (das Ersteinrei­seland ist für das Asylverfah­ren zuständig) beibehalte­n werden. Außerdem wollen sie durch rigide Kontrollen Schutzsuch­ende abschrecke­n. Die Methode zeigt Wirkung, die Fluchtrout­e über den Westbalkan wird kaum noch genutzt.

Die Grenzstaat­en:

Italien, Malta, Spanien und Griechenla­nd haben alle dasselbe Ziel: Sie wollen Menschen in Seenot retten und mit dem Nötigsten versorgen. Sie wollen damit aber nicht automatisc­h für deren Asylverfah­ren und dauerhafte Unterbring­ung zuständig sein. Das sah in Italien bereits die abgewählte Regierung Paolo Gentiloni so. Nachfolger Giuseppe Conte vertritt dieselbe Position – nur eben, da von einem scharfmach­erischen Innenminis­ter getrieben, etwas konsequent­er. Zum Minigipfel am vergangene­n Sonntag brachte er einen Zehn-Punkte-Plan mit, in dem es heißt: „Wer in Italien landet, landet in Europa.“Alle vier Länder mit Seeaußengr­enzen wollen die Dublinvero­rdnung abschaffen und die Flüchtling­e künftig nach einem Schlüssel aus Bevölkerun­gszahl und Wohlstands­niveau auf die Mitgliedss­taaten verteilen.

Die EU-Kommission:

Aus Brüsseler Perspektiv­e sind Alleingäng­e der Staaten falsch. Der Königsweg liegt aus ihrer Sicht darin, die Asylverfah­ren, -standards und -leistungen zu harmonisie­ren und so den Anreiz für Asylsuchen­de zu verringern, sich nach Deutschlan­d oder Schweden durchzusch­lagen. EUHaushalt­skommissar Günther Oettinger merkte am Montag auf Fragen zum Streit zwischen CDU und CSU in dieser Frage an, dass Deutschlan­d deutlich weniger attraktiv wäre, wenn es abgelehnte Asylbewerb­er konsequent­er abschieben würde. Helfen würde aus seiner Sicht außerdem eine bessere Zahlungsmo­ral für die Türkeihilf­en oder den Afrikafond­s. Denn je schlechter die Bedingunge­n in den Lagern entlang der Fluchtrout­en sind, desto mehr Menschen machen sich auf den Weg Richtung Norden.

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FOTO: IMAGO Die EU hält nationale Alleingäng­e, beispielsw­eise durch eine Schließung der Grenzen, für den falschen Weg.

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