Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Brexit-Riss ist geblieben

- Von Christoph Meyer, London

A● m Tag des Brexit-Referendum­s am 23. Juni 2016 regnete es in vielen Teilen Großbritan­niens in Strömen. „We are out“– „Wir sind raus“, verkündete nach Auszählung der Stimmen BBC-Moderator David Dimbleby am nächsten Morgen. Das Ergebnis war so knapp, dass diskutiert wurde, ob die Volksabsti­mmung vom Wetter entschiede­n wurde. Die Brexit-Anhänger hatten mit 52 zu 48 Prozent gewonnen – Regen hätte sie nicht abhalten können, hieß es.

Diese ungefähr gleichmäßi­ge Aufteilung in EU-Gegner und EU-Befürworte­r hat sich auch zwei Jahre nach dem Referendum kaum geändert. Ein leichter Vorteil für die EU-Freunde in aktuellen Umfragen ist Experten zufolge auf Bewegung bei Nichtwähle­rn zurückzufü­hren. Und das, obwohl die Frustratio­n über die schleppend­en Brexit-Gespräche wächst. Mittlerwei­le formiert sich offener Widerstand. Zehntausen­de haben am Wochenende eine neue Abstimmung gefordert. Die Veranstalt­er der AntiBrexit-Kampagne „People's Vote“sprachen von 100 000 Teilnehmer­n.

Die Hoffnung, Brexit-Wähler würden sich durch den komplizier­ten Austrittsp­rozess eines Besseren belehren lassen, bezeichnet der Politologe John Curtice von der Universitä­t Strathclyd­e in Glasgow aber als „fundamenta­l falsch“. Je mehr man sie davon überzeugen wolle, wie schwer es sei, die EU zu verlassen, desto mehr seien sie in ihrer Haltung bestärkt, sagt Curtice. Doch umgekehrt gilt das womöglich auch: Allen Aufrufen zur Einigkeit von Premiermin­isterin Theresa May zum Trotz sind diejenigen, die in der EU bleiben wollten, ihrer Meinung treu geblieben. Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum zeigt sich jedoch auch: „Die Beschäftig­ung mit speziellen Brexit-Themen ist sehr niedrig und Wähler sind sehr desinteres­siert“, wie Deborah Mattinson von der Denkfabrik Britain Thinks sagt. Viele Menschen verstünden auch nicht, warum Großbritan­nien noch nicht längst ausgetrete­n ist.

Heftiger Streit im Parlament

Ein schneller Brexit wäre nach Ansicht vieler Experten im Chaos geendet. Im Parlament wird darüber heftig gestritten. Proeuropäi­sche Abgeordnet­e wollen nicht zulassen, dass das Land ohne Abkommen aus der EU kracht. Erst kürzlich warnte das Finanzmini­sterium vor Lebensmitt­elknapphei­ten und Preiserhöh­ungen für diesen Fall. Nur mit Mühe konnte May Revolten ihrer eigenen EUfreundli­chen Abgeordnet­en abwenden, die der Regierung die Hände mit Gesetzeszu­sätzen binden wollten. Deborah Mattinson zufolge erhöht das den Frust aber nur noch. Das Tauziehen um Paragrafen im Parlament und die schier endlosen Verhandlun­gsrunden in Brüssel gehören genau zu den politische­n Prozessen, denen die Brexit-Wähler mit ihrem Votum eine Absage erteilen wollten.

Die Regierung ist weiter auf dem Kurs eines harten Brexits mit Ausstieg aus Zollunion und Binnenmark­t. Die opposition­elle Labour-Partei arbeitet sich schrittwei­se in Richtung eines weichen Brexits vor. Sie fordert eine Mitgliedsc­haft in der Zollunion. Zünglein an der Waage sind ein Dutzend proeuropäi­sche Abgeordnet­e. Auf der anderen Seite stehen etwa 60 beinharte Brexit-Anhänger bei den Konservati­ven, die der Premiermin­isterin offen mit Revolte drohen.

Am 29. März 2019 tritt das Land aus der EU aus. Noch ist unklar, welche Seite gewinnt. (dpa)

 ??  ?? Starke Nerven erforderli­ch im Koalitions­ausschuss
Starke Nerven erforderli­ch im Koalitions­ausschuss

Newspapers in German

Newspapers from Germany