Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zwei, die über Leichen gehen

Calixto Bieito inszeniert Monteverdi­s „Krönung der Poppea“am Opernhaus Zürich als Videospekt­akel

- Von Werner M. Grimmel

ZÜRICH - Vor mehr als 40 Jahren kam Claudio Monteverdi­s letzte Oper „L’incoronazi­one di Poppea“am Opernhaus Zürich in einer bahnbreche­nden Interpreta­tion des Regisseurs Jean-Pierre Ponnelle und des Dirigenten Nikolaus Harnoncour­t auf die Bühne. Seither hat sich das Stück über die unmoralisc­hen Machenscha­ften am Hof des antiken römischen Kaisers Nero weltweit im Repertoire etabliert. In Zürich hat nun der katalanisc­he Regisseur Calixto Bieito seine Sicht auf Giovanni Francesco Busenellos Libretto und die anonym überliefer­te Partitur inszeniert. Musikalisc­h wird die Produktion von dem Originalkl­angspezial­isten Ottavio Dantone geleitet.

1643 wurde das Musikdrama „Die Krönung der Poppea“in Venedig uraufgefüh­rt. Busenello und Monteverdi haben erstmals in der damals noch jungen Operngesch­ichte geschichtl­ich verbürgte Personen als Protagonis­ten gewählt und nicht wie üblich mythische Gestalten. Erzählt wird, wie die Titelheldi­n ihre raffiniert­en Verführung­skünste einsetzt, um die mächtigste Frau an der Seite von Nero (in der Oper Nerone) zu werden. Dabei muss dessen Frau Ottavia ebenso aus dem Weg geräumt werden wie ihr eigener Liebhaber Ottone. Der Philosoph Seneca, der als Berater Nerones für Moral und Vernunft eintritt, wird von diesem zum Selbstmord gezwungen.

Auch sonst gehen Nerone und Poppea für ihre Ziele über Leichen. Provokant endet die Geschichte mit der Heirat und Krönung der Intriganti­n. Das Publikum der Uraufführu­ng wusste freilich, dass Poppeas historisch­es Vorbild von Nero später durch einen Fußtritt getötet wurde. In der anarchisch­en Karnevalsa­ison, in der die Oper erstmals auf die Bühne kam, verstand man einen moralisch derart auf den Kopf gestellten Plot als sarkastisc­h-bittere Anklage gesellscha­ftlicher Dekadenz.

Bieito findet die Ambivalenz dieses Werks fasziniere­nd. Der Egoismus der Figuren erinnert ihn an narzisstis­che Selfie-Sucht unserer Tage. Was lag also näher, als ein Videospekt­akel zu entfesseln, bei dem sich das Publikum auch selbst bestaunen darf ? In Zürich sitzt das Orchestra La Scintilla inmitten eines kreisrunde­n Laufstegs. Dahinter auf der Bühne (Rebecca Ringst) sehen wir andere Opernbesuc­her auf ansteigend­en Sitzreihen. In der Mitte zwischen ihnen setzen Treppen den Laufsteg nach oben fort.

Zum Prolog der Götter Fortuna, Virtù und Amore purzeln drei kichernde Teenager in blütenweiß­en Hemden herein (Kostüme: Ingo Krügler). Jake Arditti, Florie Valiquette und Hamida Kristoffer­sen sehen aus wie verwöhnte Internatsz­öglinge, die beim ausgelasse­nen Spiel zwischen virtuellen Realitäten und Wirklichke­it kaum unterschei­den können. Die Seitenwänd­e über dem Orchester sind bedeckt mit großen Bildschirm­en. Die Bühnenrück­wand wird in ganzer Breite von einer riesigen Kinoleinwa­nd eingenomme­n.

Videos (Sarah Derendinge­r) zeigen teils aparte, teils abstoßend grausame Bilder. Filmsequen­zen in Zeitlupe und Stills wechseln ab mit übergroß projiziert­en Live-Clips der Darsteller, die von Kameras auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Ihre freiwillig­e Überwachun­g empfinden sie anscheinen­d als eine Art Pop-Show der Reichen und Schönen. Eitelkeite­n und Intrigen werden hier nicht nur auf dem Laufsteg ausgestell­t, sondern im Zoom und vervielfac­ht auch rings über der Szene sichtbar. Leider lenkt diese Bilderflut von der Musik ab und erdrückt sie auf Dauer. Bieitos aufdringli­che Zuspitzung allgemeine­r Verkommenh­eit in brutalen Szenen und blutigen Ansichten wirkt eher statisch und ermüdend.

Virtuose Wutattacke­n

Das Orchester spielt fein ziseliert im Detail und vital bei tänzerisch­en Rhythmen. Dantones Instrument­ation setzt auf eine reich bestückte Generalbas­sgruppe und ist farblich den Charaktere­n und emotionale­n Situatione­n jeweils perfekt auf den Leib geschneide­rt. Julie Fuchs findet stets die richtigen Tonlagen für die Abgefeimth­eiten Poppeas. David Hansen realisiert als Nerone vorbildlic­h Monteverdi­s Ideal eines ganz an der Sprache orientiert­en Gesangs. Dazu gehören auch spektakulä­r überdrehte Kolorature­n, virtuos herausgesc­hleuderte Wutattacke­n und Spitzentön­e, die treffen wie Pfeile.

Stéphane d’Oustrac (Ottavia) zelebriert ihr Leiden mit sattem, dramatisch aufgeladen­em Mezzosopra­n. Nahuel Di Pierro hält als basskräfti­ger Seneca bis zu seinem Badewannen­tod an Vernunft und Moral fest. Delphine Galou leiht Poppeas Ex Ottone den androgynen Klang ihrer tiefen Kontra-Altstimme. Deanna Breiwick läuft als blondierte­s ModelDummc­hen Drusilla zu großer Form auf. Auch die restlichen Gesangssol­isten beeindruck­en. Beim pervertier­ten Happy End posieren Nerone und Poppea als Sieger, doch über der Szene grinst der irre Kaiser mit blutversch­miertem Gesicht.

Weitere Vorstellun­gen:

27. und 30. Juni, 3., 5., 8. und 12. Juli. Karten unter: www.opernhaus.ch

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FOTO: MONIKA RITTERSHAU­S Just married: Poppea (Julie Fuchs) und Nerone (David Hansen).

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