„Manchmal reicht ein Lachen, damit es tröpfelt“
Etwa ein Viertel der Frauen leidet unter Harninkontinenz
MÜNCHEN (sz) - Nicht kontrollieren können, wenn man muss: Jede vierte Frau in Deutschland kennt das Problem. Eine Blasenschwäche ist die am meisten verbreitete chronische Krankheit bei Frauen. Gefährlich ist das nicht, doch sehr unangenehm. Was lässt sich tun gegen das ungewollte Tröpfeln? Andrea Mertes sprach mit Ursula Peschers, Expertin der Deutschen Kontinenz Gesellschaft sowie Chefärztin für Gynäkologie und Leiterin des Bayerischen Beckenbodenzentrums im Isar Klinikum in München.
Inkontinenz ist eine „Alte-LeuteKrankheit", heißt es. Stimmt das?
Nein. Natürlich steigt mit dem Alter die Wahrscheinlichkeit, eine im Alltag belastende Inkontinenz zu entwickeln. Doch es gibt auch viele junge Frauen, die betroffen sind. Blasenschwäche tritt in unterschiedlichen Varianten auf. Da ist zum einen die sogenannte Belastungsinkontinenz. Gründe dafür sind meistens Schwangerschaften, Geburten oder die hormonelle Umstellung in den Wechseljahren, aber auch Bindegewebsschwäche oder Übergewicht. Oft ist auch eine geschwächte Beckenbodenmuskulatur die Ursache. Bei der Belastungsinkontinenz verlieren die Frauen ungewollt Urin. Ein Husten, Niesen oder Lachen kann da schon reichen, damit es tröpfelt.
Welche Formen gibt es noch?
Neben der Belastungskontinenz bei Frauen meist eine Dranginkontinenz – meiner Erfahrung nach liegt bei den meisten Patientinnen eine Mischform vor, wobei die Dranginkontinenz als belastender empfunden wird. Dabei handelt es sich um eine Blasenfunktionsstörung, die mit einem gewissen Kontrollverlust einhergeht. Frauen berichten, dass sie ohne vorherige Anzeichen dringend auf die Toilette müssen. Typisch für diese Form sind viele Toilettengänge und ständiger Harndrang.
Eine Freundin, die auch unter einer Reizblase leidet, trinkt vor dem Schlafengehen nichts mehr, weil sie so den nächtlichen Toilettengang verhindern will. Clever?
Ja, durchaus. Wobei es grundsätzlich normal ist, wenn man nachts auf die Toilette muss. Doch um das zu verhindern oder zu verringern, hilft es tatsächlich, ab 18 Uhr nichts mehr zu trinken. Wichtig ist, dass man die Trinkmenge morgens nachholt, um auf die täglichen anderthalb Liter Flüssigkeit zu kommen.
Ab wann sollte man mit schwacher Blase zum Arzt gehen?
Wenn ein Leidensdruck besteht. Und der ist individuell sehr unterschiedlich. Doch wer 20-malam Tag auf die Toilette geht, sollte doch besser abklären lassen, was da los ist. Wir untersuchen unter anderem, ob die Patientin einen Infekt hat. Für die Diagnose ist es wichtig zu wissen, wann die Betroffenen Urin verlieren. Dafür kann es sinnvoll sein, ein Miktionstagebuch zu führen. Die Patientin protokolliert, wie viel sie trinkt, wann sie Harndrang spürt, wie oft und wann sie die Toilette besucht und ob sie ungewollt Urin verliert. Je nach Befund gibt es verschiedene Therapiemöglichkeiten.
Bei leichter Blasenschwäche wird oft Beckenbodentraining empfohlen. Wie funktioniert das?
Wichtig ist der Aha-Effekt – also erst einmal zu spüren, wo der Muskel sitzt und wie er sich zusammenziehen lässt. Viele Frauen können ihren Beckenboden gar nicht ansprechen. Die kneifen dann den Bauch ein oder wackeln mit dem großen Zeh, aber innendrin passiert nichts. In solch einem Fall empfiehlt sich eine Elektrotherapie. Die elektrischen Impulse bewirken, dass die Scheidenmuskulatur sich zusammenzieht und machen sie dadurch für die Patientin spürbar. Für das Training selbst gibt es spezielle Übungen, die man in Kursen oder bei Physiotherapeuten gezeigt bekommt.
Was hilft noch?
Die Bandbreite konservativer Therapien ist groß. Bei einer Belastungsinkontinenz haben sich etwa spezielle Tampons bewährt, die die Harnröhre stützen, zum Beispiel beim Sport. Bei Frauen in den Wechseljahren ist oft Östrogenmangel die Ursache für die Blasenschwäche. Hier habe ich gute Erfahrungen mit Hormoncremes gemacht, die vaginal aufgetragen werden. Sie mindern die Drangbeschwerden. Wichtig ist außerdem ein vernünftiges Trinkverhalten. Frauen mit Blasenschwäche trinken oft zu wenig, aus Angst, es könnte was daneben gehen. Wird die Blase aber zu wenig gefüllt, verringert sich mit der Zeit ihr Fassungsvermögen. Und das verstärkt wiederum die Inkontinenz.
Welche Ärzte kennen sich mit dem Thema Inkontinenz gut aus?
Gynäkologen und Urologen, die eine spezielle urogynäkologische Ausbildung haben. Eine Liste solcher Ärzte findet man bei der Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenchirurgie wie auch bei der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. Gute Anlaufstellen sind auch Beckenbodenzentren, die es in vielen Großstädten gibt.
Wie viele Toilettengänge pro Tag sind eigentlich normal?
Das kann man so generell nicht sagen. Bei uns müssen Patientinnen einen Fragebogen ausfüllen und ankreuzen, wie oft sie täglich Harndrang verspüren und wie sehr sie darunter leiden. Da gibt es Frauen, die sechsmal am Tag auf die Toilette gehen und das als unnormal empfinden. In solchen Fällen hilft manchmal schon ein gutes Gespräch, um den Leidensdruck zu nehmen.