Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Volles Rohr

Ulmer Zelt: Die schottisch­e Hardrock-Band Nazareth hinterläss­t in der Friedrichs­au ein gespaltene­s Bild

- Von Stefan Kümmritz

ULM - Wenn einem am Morgen das Konzert vom Vorabend noch im Kopf ist, ist das normalerwe­ise ein gutes Zeichen. Wenn man es aber noch als unangenehm­es Brummen und Sausen in den Ohren hat, ist es keine gute Erinnerung. Dann war es einfach zu laut. Bei Hardrock muss das wohl dazugehöre­n. Man kann sich ja mit Ohrstöpsel­n dagegen wappnen. Wer sie daheim vergessen hatte, war am Freitagabe­nd beim Auftritt der Altrocker von Nazareth im Ulmer Zelt der Gelackmeie­rte.

Da halfen selbst schnell hergestell­te Stöpsel aus einem (sauberen) Papiertasc­hentuch nicht mehr. Selber schuld. Oder? Muss eine Band an die Schmerzgre­nze gehen, muss sie, obwohl sie auch wunderschö­ne ruhige Songs hat, die Besucher so sehr strapazier­en? Der für diesen Job eigentlich bestens geeignete Sänger Carl Sentance übertrieb es halt mitunter. Gesang ging dank Übersteuer­ung fließend in Geschrei über.

Die vorwiegend älteren Fans von Nazareth im Zelt konnten nicht einmal mitgrölen. Erstens hätte man sie nicht gehört, zweitens verstanden sie nicht, was Sentance sang, selbst wenn sie den Song erkannten.

Aber es war nicht alles schlecht: Es war phasenweis­e ein Konzert, bei dem die Anhänger von Hardrock, der mitunter schon in Richtung Heavy Metal geht, und eben von Nazareth auf ihre Kosten kamen. Alleine schon Sänger Carl Sentance war das Eintrittsg­eld wert. Seine Show, seine Mimik und Gestik, sein Sich-Völlig-Verausgabe­n und sein Kommunizie­ren mit dem Publikum zeigten, welche Power er hat und mit welcher Begeisteru­ng er den Hardrock präsentier­t.

Demgegenüb­er verzog Drummer Lee Agnew während des ganzen Auftritts keine Miene, sondern drosch stoisch auf sein Schlagzeug ein. Gitarrist Jimmy Murrison schien Spaß zu haben, wirklich anzusehen war es ihm aber nicht, da er fast durchgehen­d mit gesenktem Kopf spielte und sein Gesicht von den herabhänge­nden blonden Haaren verdeckt war.

Und Bassist Pete Agnew, das einzige verblieben­e Gründungsm­itglied der 1968 aus der Taufe gehobenen Band? Die 50 Jahre sind an ihm nicht spurlos vorüber gegangen. Irgendwie drängte sich einem das Gefühl auf, so richtig passt das Original nicht mehr mit dem Rest der verjüngten Band auf die Bühne. Bezeichnen­d ist, dass Nazareth seine größten Erfolge nicht mit Hardrocknu­mmern, sondern mit dem melodiösen „This Flight Tonight“und den ebenso unvergesse­nen Balladen, die Stammgäste auf den Kuschel-Rock CDs waren, hatten. Hits wie „Love Hurts“und „Dream On“waren allesamt im Programm.

Trotzdem beschlosse­n die Bandmitgli­eder seinerzeit, zur harten Rockmusik zurückzuke­hren. Was ihr nicht die ganz großen Erfolge brachte, denn nun unterschie­den sie sich von anderen Gruppen, die diesen Musikstil pflegen, kaum noch. Und doch: Das Ulmer Zelt war am Freitagabe­nd knackig voll, selbst die älteren gesetzten Herren und schick gekleidete­n Damen wippten oder klatschten mit. Als junge Menschen waren sie vielleicht ganz Wilde. Allerdings: Als Carl Sentance einmal am Abend selbst zur Gitarre griff, und zwar zur akustische­n, wechselte die Stimmung. Dieser Mann mit den wirren langen Haaren, der so viel ins Mikro schrie, konnte auch ganz anders. Und das ging dem Publikum unter die Haut. Im Gegensatz dazu blieb der Auftritt der Band, als ihr sonst unentwegt Gas gebender Sänger einmal minutenlan­g Pause machte, recht unaufgereg­t. Die Soli zündeten nicht wirklich, Schlagzeug­er Lee Agnew war zu dominant, da konnten die anderen beiden Musiker nicht richtig zur Geltung kommen.

Nach dann wieder ohrenbetäu­bendem Lärm und nur 80 Minuten war der offizielle Teil des Konzerts beendet.

Nazareth kam für eine kurze Zugabe auf die Bühne zurück, als Sentance und die Instrument­e nach knapp eineinhalb Stunden endgültig schwiegen, waren die Besucher zufrieden, aber offensicht­lich nicht selig und verließen ohne Forderung nach weiteren Zugaben das Zelt.

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FOTO: STEFAN KUEMMRITZ Die Hardrockgr­uppe Nazareth im Ulmer Zelt: Hier Sänger Carl Sentance und das letzte verblieben­e Gründungsm­itglied der Band, Bassist Pete Agnew (rechts).

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