Volles Rohr
Ulmer Zelt: Die schottische Hardrock-Band Nazareth hinterlässt in der Friedrichsau ein gespaltenes Bild
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ULM - Wenn einem am Morgen das Konzert vom Vorabend noch im Kopf ist, ist das normalerweise ein gutes Zeichen. Wenn man es aber noch als unangenehmes Brummen und Sausen in den Ohren hat, ist es keine gute Erinnerung. Dann war es einfach zu laut. Bei Hardrock muss das wohl dazugehören. Man kann sich ja mit Ohrstöpseln dagegen wappnen. Wer sie daheim vergessen hatte, war am Freitagabend beim Auftritt der Altrocker von Nazareth im Ulmer Zelt der Gelackmeierte.
Da halfen selbst schnell hergestellte Stöpsel aus einem (sauberen) Papiertaschentuch nicht mehr. Selber schuld. Oder? Muss eine Band an die Schmerzgrenze gehen, muss sie, obwohl sie auch wunderschöne ruhige Songs hat, die Besucher so sehr strapazieren? Der für diesen Job eigentlich bestens geeignete Sänger Carl Sentance übertrieb es halt mitunter. Gesang ging dank Übersteuerung fließend in Geschrei über.
Die vorwiegend älteren Fans von Nazareth im Zelt konnten nicht einmal mitgrölen. Erstens hätte man sie nicht gehört, zweitens verstanden sie nicht, was Sentance sang, selbst wenn sie den Song erkannten.
Aber es war nicht alles schlecht: Es war phasenweise ein Konzert, bei dem die Anhänger von Hardrock, der mitunter schon in Richtung Heavy Metal geht, und eben von Nazareth auf ihre Kosten kamen. Alleine schon Sänger Carl Sentance war das Eintrittsgeld wert. Seine Show, seine Mimik und Gestik, sein Sich-Völlig-Verausgaben und sein Kommunizieren mit dem Publikum zeigten, welche Power er hat und mit welcher Begeisterung er den Hardrock präsentiert.
Demgegenüber verzog Drummer Lee Agnew während des ganzen Auftritts keine Miene, sondern drosch stoisch auf sein Schlagzeug ein. Gitarrist Jimmy Murrison schien Spaß zu haben, wirklich anzusehen war es ihm aber nicht, da er fast durchgehend mit gesenktem Kopf spielte und sein Gesicht von den herabhängenden blonden Haaren verdeckt war.
Und Bassist Pete Agnew, das einzige verbliebene Gründungsmitglied der 1968 aus der Taufe gehobenen Band? Die 50 Jahre sind an ihm nicht spurlos vorüber gegangen. Irgendwie drängte sich einem das Gefühl auf, so richtig passt das Original nicht mehr mit dem Rest der verjüngten Band auf die Bühne. Bezeichnend ist, dass Nazareth seine größten Erfolge nicht mit Hardrocknummern, sondern mit dem melodiösen „This Flight Tonight“und den ebenso unvergessenen Balladen, die Stammgäste auf den Kuschel-Rock CDs waren, hatten. Hits wie „Love Hurts“und „Dream On“waren allesamt im Programm.
Trotzdem beschlossen die Bandmitglieder seinerzeit, zur harten Rockmusik zurückzukehren. Was ihr nicht die ganz großen Erfolge brachte, denn nun unterschieden sie sich von anderen Gruppen, die diesen Musikstil pflegen, kaum noch. Und doch: Das Ulmer Zelt war am Freitagabend knackig voll, selbst die älteren gesetzten Herren und schick gekleideten Damen wippten oder klatschten mit. Als junge Menschen waren sie vielleicht ganz Wilde. Allerdings: Als Carl Sentance einmal am Abend selbst zur Gitarre griff, und zwar zur akustischen, wechselte die Stimmung. Dieser Mann mit den wirren langen Haaren, der so viel ins Mikro schrie, konnte auch ganz anders. Und das ging dem Publikum unter die Haut. Im Gegensatz dazu blieb der Auftritt der Band, als ihr sonst unentwegt Gas gebender Sänger einmal minutenlang Pause machte, recht unaufgeregt. Die Soli zündeten nicht wirklich, Schlagzeuger Lee Agnew war zu dominant, da konnten die anderen beiden Musiker nicht richtig zur Geltung kommen.
Nach dann wieder ohrenbetäubendem Lärm und nur 80 Minuten war der offizielle Teil des Konzerts beendet.
Nazareth kam für eine kurze Zugabe auf die Bühne zurück, als Sentance und die Instrumente nach knapp eineinhalb Stunden endgültig schwiegen, waren die Besucher zufrieden, aber offensichtlich nicht selig und verließen ohne Forderung nach weiteren Zugaben das Zelt.