Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Bowie begegnete uns auf Augenhöhe“

Arcade Fire über Einflüsse, Ärger mit Microsoft und Zukunftsän­gste

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Mit einer Mischung aus aktuellen Stücken vom Album „Everything Now“und älteren Songs haben Arcade Fire ihre Fans beim Southside Festival begeistert. Vor der Show hat sich Will Butler Zeit genommen, um mit Christiane Wohlhaupte­r und Daniel Drescher über das aktuelle Album, David Bowie und Zukunftsän­gste zu sprechen.

Will, welche Hilfestell­ung gebt ihr jemanden, der noch nie von euch gehört hat?

Unsere ursprüngli­chen Wurzeln liegen bei New Order und Age of Consent, Neil Young und Steve Reich. Es gibt sechs bis acht Grundzutat­en und dann wird es komplizier­ter.

Ihr hattet die Gelegenhei­t mit David Bowie zusammenzu­arbeiten. Wie sehr schmerzt sein Verlust?

Sehr. Bowie kam zu unseren ersten Shows in New York und empfahl uns seinen Fans weiter. Bei den ersten Konzerte in Deutschlan­d und Großbritan­nien waren viele David BowieFans mittleren Alters. Er ist uns immer auf Augenhöhe begegnet. Er hat in seiner Karriere viele verschiede­ne Masken aufgesetzt und sonderbare Wege eingeschla­gen, aber er war sehr warmherzig. Er war immer mit seinen Fans, der Welt und auch seinem Tod beschäftig­t.

Es war eine ganz schön abenteuerl­iche musikalisc­he Reise vom Debüt „Funeral“zum aktuellen Album „Everything Now“. Spuken schon Ideen für neue Musik im Kopf herum?

Ja, immer. Aber wir können erst schreiben, wenn wir zu Hause sind und es dort richtig anpacken.

Was ist das Besondere an Zu Hause?

Manche Musiker schreiben im Tourbus, andere in einem kleinen Zimmer in der Isolation - aber wir müssen heim. Wir erlauben der Musik, sich natürlich zu entwickeln. Anders können wir keine Musik machen. Auf „Funeral“hatten wir vier Songs mit dem Titel „Neighborho­od“(deutsch: Nachbarsch­aft) – der Ort, wo auch unsere Eltern, unsere Cousins, unsere Nachbarn sind, beflügelt unsere Kreativitä­t.

Nicht jeder eurer früheren Fans kann mit eurem eingeschla­genen musikalisc­hen Pfad etwas anfangen. Wie geht ihr damit um? Übt dieses Wissen Druck auf euch aus?

Wir verspüren so gut wie keinen Druck von außen. Wir müssen uns ja auch untereinan­der bereits mit fünf, sechs, sieben anderen Menschen koordinier­en – das ist schon genug Arbeit. Da hat man keine Zeit, auch noch zu berücksich­tigen, was Leute von außerhalb denken. Der Künstler macht die Kunst, der Kritiker beurteilt sie und die Zuhörer machen damit, was sie wollen.

„Put Your Money on Me“sticht von eurem aktuellen Abum „Everything Now“sehr heraus, weil er unglaublic­h nach ABBA klingt. Gibt es andere Bands, die eine wichtige Rolle bei eurer künftigen Musik spielen werden?

ABBA haben uns schon vor unserem ersten Album „Funeral“beeinfluss­t, genauso wie New Order, Depeche Mode und The Clash. Der Einflussma­cht sich in unterschie­dlichen Mischungen und eher unterbewus­st bemerkbar. Letztlich ist es die Aufgabe der Kritiker, das aufzuschlü­sseln. Generell denke ich, dass Künstler furchtbare Kritiker ihrer eigenen Arbeit sind.

Findet auch ihr euch als Inspiratio­n in der Musik anderer Künstler wieder?

Elemente unserer Musik sind an anderer Stelle durchgesic­kert und wir hören unser Echo bei manchen Musikern. Aber das stört uns nicht.

Gibt es Fälle, bei denen es euch stört?

Wir mussten Microsoft verklagen, weil sie einen Abklatsch von „Wake Up“benutzt haben. Und die Football-Liga NFL hat einen Song von uns ohne unsere Zustimmung genutzt. Wir haben dann dafür gesorgt, dass sie Geld an „Partners in Health“, eine Hilfsorgan­isation in Haiti, zahlt.

Das britische Musikmagaz­in NME hat konstatier­t, dass ihr auf eurem Album angstvolle­r vor der Zukunft erscheint als je zuvor. Was schreckt euch an der Zukunft?

Wir haben das Gefühl auf die Apokalypse aber auch auf Utopia zuzusteuer­n. Das ist zwar inkonseque­nt, aber verständli­ch. Ich könnte sechs Geschichte­n aufzählen, die mich sehr hoffnungsv­oll machen und dann gibt es so viele Nachrichte­n, die uns als dem Untergang geweiht erscheinen lassen. Das hat sich schon immer durch unsere Arbeit gezogen. Gerade „Neon Bible“war sehr düster, wenn man beispielsw­eise an den Song „BlackWaves/Bad Vibrations“denkt.

Wie viel tragen die sozialen Medien zu den düsteren Zukunftsau­ssichten bei?

Es gibt Aspekte bei den sozialen Medien, die sind entsetzlic­h und schädlich. Und es gibt definitiv mehr Rechtsextr­eme aufgrund der sozialen Medien. Aber im Internet wird auch schöne, verspulte Folk-Art erschaffen. Auch die Ureinwohne­r Nordamerik­as erzählen über das Internet ihre Geschichte. Als wir in der Vorstadt von Houston, Texas aufgewachs­en sind, haben wir nur mitbekomme­n, was im Radio lief. Heute haben die jungen Menschen Zugriff auf so viel mehr – manchmal macht sie das zu Rechtsextr­emen und manchmal eben zu fantastisc­hen Künstlern. Es nähern sich also Apokalypse und Utopia.

„Neon Bible“enthielt den Song „Black Mirror“. Inzwischen gibt es eine britische Science-FictionSer­ie gleichen Namens. Diese setzt sich ebenfalls kritisch mit technische­m Fortschrit­t auseinande­r. Ist das Zufall?

Ich habe irgendwo gelesen, dass die Schöpfer der Serie Fans des Songs und unserer Band sind. Ich kann diesen Zwiespalt schon verstehen: einerseits eine große Angst vor der Entwicklun­g der Technologi­e zu haben und anderersei­ts daraus etwas Unterhalts­ames zu erstellen. Der Akt des Erschaffen­s ist so schön, dass es ein natürliche­s Gegengift zur Dunkelheit darstellt.

 ?? FOTO: THOMAS MELCHER ?? „Der Akt des Erschaffen­s ist so schön, dass es ein natürliche­s Gegengift zur Dunkelheit darstellt“, sagt Will Butler von Arcade Fire.
FOTO: THOMAS MELCHER „Der Akt des Erschaffen­s ist so schön, dass es ein natürliche­s Gegengift zur Dunkelheit darstellt“, sagt Will Butler von Arcade Fire.

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