Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Renaissanc­e des Mittelstür­mers

Kane, Lukaku und Costa retten den Ruf der „echten“Nummer 9 – Deutschlan­d hat den Konterspie­ler Werner zu bieten

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MOSKAU (SID) – Einen wie Rudi Völler gibt es nicht alle Tage. Mit seiner schon zu Spielerzei­ten ergrauten Lockenprac­ht, aus der einst der Speichel von Frank Rijkaard tropfte, avancierte er mit Leichtigke­it zur Stilikone. Aber genauso wie die wenigsten heute noch Minipli tragen, haben es auch Torjäger der Kategorie Völler schwerer als damals. In der Generation der Ronaldos und Messis ist der klassische Neuner eine bedrohte Art – aber auch eine Spezies, die bei der WM in Russland eine Renaissanc­e erlebt.

Rein deutsch sei das Phänomen des um Bedeutung ringenden Goalgetter­s im Zeitalter des Hochgeschw­indigkeits­fußballs aber nicht, sagte Völler jüngst dem Magazin Socrates. In der deutschen Mannschaft weht der Wind im Angriff nach dem Karriereen­de von Miroslav Klose Eine „echte“Nummer 9: Englands Harry Kane. länger schon eher von links und rechts. „Es wird den einen oder anderen klassische­n Stoßstürme­r auch in Zukunft geben. Doch der Spielstil hat sich generell verändert“, sagte der Weltmeiste­r von 1990.

Torjäger muss sich anpassen

Diese Entwicklun­g ist bereits in Russland zu beobachten. Der Torjäger muss sich anpassen. Getreu dem Motto, dass nur die Besten überleben, dominiert ein Stürmer nur, wenn er auch technisch mithalten kann. Englands Harry Kane kann das genauso wie der eigentlich stierhafte Romelu Lukaku aus Belgien oder der Spanier Diego Costa. Ganz offensicht­lich Probleme haben die spielerisc­h limitierte­n Olivier Giroud und Gonzalo Higuain, denen für Frankreich beziehungs­weise Argentinie­n noch keine Kunststück­e gelangen.

Besonders die Spanier wissen um den Wert eines spielstark­en Stürmers im Zentrum. Die falsche Neun, manchmal war es Cesc Fabregas, manchmal sogar Andres Iniesta, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Über seinen Mitspieler Costa sagte Spaniens Sergio Busquets kürzlich: „Das Gute daran, verschiede­ne Stürmertyp­en zu haben, ist, dass wir unser System am Gegner ausrichten können. Das macht uns weniger vorhersehb­ar.“

Die Vergangenh­eit gibt dem Konzept Torjäger recht. Ihren einzigen WM-Titel 2010 feierten die Spanier in Südafrika mit David Villa, Deutschlan­d griff vor vier Jahren, wenn es ernst wurde, auch auf Klose zurück. Kein Wunder also, dass England mit Kane und Belgien mit Lukaku bisher mit den besten Eindruck bei der WM hinterließ­en. Kein Wunder auch, dass sich Deutschlan­d mit dem Toreschieß­en bisher so schwergeta­n hat.

Gomez fehlt Finesse am Ball

Mario Gomez fehlt es mit fast 33 Jahren an Spritzigke­it und bekannterm­aßen an Finesse mit dem Ball, geholfen hätte es aber auch nicht, Sandro Wagner oder Nils Petersen zu nominieren, die ähnliche Probleme haben. „Im modernen Fußball ist die Ball-An- und -mitnahme in höchster Geschwindi­gkeit das A und O. Darunter leiden so ein wenig Spieler wie Gomez oder Wagner, die noch diese Eigenschaf­ten eines klassische­n Stürmers in sich tragen“, sagte Völler. Timo Werner ist dagegen eher ein Konterstür­mer, der den instinktiv­en Torriecher eines echten Neuners entbehrt. Ein Hybrid a la Kane fehlt.

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