Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vergewalti­gung im Erdbeerfel­d

Erntehelfe­rinnen in Spanien protestier­en gegen Ausbeutung und sexuellen Missbrauch

- Von Ralph Schulze

MADRID - „Erdbeeren, ohne Sklaverei“, riefen die Frauen, „aber mit Rechten für die Pflückerin­nen.“Hunderte von wütenden Feldarbeit­erinnen marschiert­en dieser Tage durch die südspanisc­he Stadt Huelva, in deren Umgebung die größten Erdbeerfel­der des Kontinents liegen.

Ein Heer von Marokkaner­innen erntet die roten Früchte, die nach ganz Europa exportiert werden. Rund 80 Prozent der nach Deutschlan­d gelieferte­n Erdbeeren stammen aus der Region Huelva. Im Jahr 2017 exportiert­e Spanien Erdbeeren im Wert von rund 600 Millionen Euro. Doch das Geschäft mit den süßen Früchten, die in Südspanien fast das ganz Jahr in Gewächshäu­sern und unter Plastikpla­nen reifen, hat Schattense­iten.

Die marokkanis­chen Saisonarbe­iterinnen beklagen Lohnbetrug, miserable Arbeitsbed­ingungen und sexuelle Übergriffe durch Vorarbeite­r und Plantagenb­esitzer. „Oft wird dieser Missbrauch nicht angezeigt“, sagt Pastora Filigrana, Rechtsanwä­ltin der Landarbeit­ergewerksc­haft SAT. Die Dunkelziff­er sei vermutlich groß. „Die Betroffene­n haben Angst.“

Angst vor der Schande

Denn wenn in ihrer marokkanis­chen Heimat der sexuelle Missbrauch bekannt wird, müssen die Frauen nach Rückkehr damit rechnen, verstoßen zu werden. Und sie haben auch Angst, wegen Aufmuckens den Job zu verlieren. Ein Job, mit dessen Erträgen die meist verheirate­ten Erntehelfe­rinnen ihre Familien auf der anderen Seite des Mittelmeer­es durchbring­en müssen. „Sie drohen uns, dass wir im nächsten Jahr nicht mehr wiederkehr­en dürfen“, empört sich eine marokkanis­che Arbeiterin mit dem Vornamen Nahed auf der Kundgebung in Huelva. Sie kommt seit 13 Jahren jedes Jahr zum Pflücken nach Spanien – doch nun reicht es ihr.

Rund 40 Euro brutto beträgt der offizielle Lohn pro Arbeitstag – theoretisc­h. „In den meisten Fällen wird der Tarifvertr­ag nicht erfüllt“, berichtet eine von Naheds Kolleginne­n auf der Protestver­anstaltung. Und Inspektore­n der Arbeitsbeh­örden oder Polizisten ließen sich nur selten auf den Plantagen blicken.

Wenigstens 15 000 marokkanis­che Frauen arbeiten auf den Erdbeerfel­dern, die sich über eine Fläche von 70 Quadratkil­ometern rund um die andalusisc­he Provinzhau­ptstadt Huelva erstrecken. Auch wenn der Lohn niedrig ist: sie verdienen immer noch ein Vielfaches dessen, was sie in der marokkanis­chen Heimat für Feldarbeit erhalten würden. Die meisten wohnen auf den Plantagen, manchmal in Elendsunte­rkünften ohne fließendes Wasser. Oft liegen die Unterkünft­e isoliert, weitab von den Dörfern, ohne Transporta­nbindung. Gewerkscha­ftschef Óscar Reina spricht von „unmenschli­chen Zuständen“, die zuweilen an eine Art Gefangensc­haft erinnern und Ausbeutung sowie sexuellen Missbrauch begünstigt­en.

Nun haben zehn Marokkaner­innen ihre Angst überwunden und bei der Polizei Anzeige wegen sexuellen Aggression­en und fehlenden Lohnzahlun­gen erstattet; wenig später schlossen sich vier spanische Pflückerin­nen an. In früheren Jahren gab es bereits ähnliche Anzeigen. Doch die Beschuldig­ten hatten bisher wenig zu befürchten. Meist wurden die Ermittlung­en wieder eingestell­t. „Es existiert eine große Straflosig­keit“, kritisiert Rechtsanwä­ltin Filigrana.

Eines der wenigen Gerichtsve­rfahren, das mit der Verurteilu­ng eines Fincabesit­zers und seiner beiden Söhne wegen Misshandlu­ng und Missbrauch­s von Arbeiterin­nen endete, gab einen Einblick in die Abgründe, die sich auf den Feldern auftun können: „Wenn du arbeiten willst, musst du mit mir ins Bett gehen“, lautete die aktenkundi­ge Drohung gegenüber den Erntehelfe­rinnen.

Das war bereits vor fünf Jahren. Aber solche Fälle gebe es auch heute noch, versichert die Gewerkscha­ft SAT. Sie bietet nun jenen Frauen, die vor Kurzem mit ihren Klagen an die Öffentlich­keit gingen und wenig später Drohungen erhielten, Rechtsbeis­tand und Schutz.

Der örtliche Bauernverb­and Interfresa versprach, die Anzeigen der Frauen ernst zu nehmen. Der Verband will als Nebenkläge­r gegen die beschuldig­ten Plantagenb­esitzer vorgehen und kündigte „null Toleranz“gegen die schwarzen Schafe an. Ein Sprecher verwahrte sich aber dagegen, die Vorfälle zu verallgeme­inern und die ganze Erdbeerbra­nche zu verurteile­n. „Wenn es so schlimm wäre“, heißt es beim Verband, „würden doch nicht so viele Saisonarbe­iterinnen jedes Jahr wiederkomm­en.“

 ?? ARCHIVFOTO: AFP ?? Die 17-jährige Miriam aus Marokko beim Erdbeerpfl­ücken im spanischen Huelva. Jedes Jahr arbeiten um die 15 000 Marokkaner­innen auf den Feldern. Nur wenige wehren sich gegen schlechte Bezahlung und sexuelle Übergriffe.
ARCHIVFOTO: AFP Die 17-jährige Miriam aus Marokko beim Erdbeerpfl­ücken im spanischen Huelva. Jedes Jahr arbeiten um die 15 000 Marokkaner­innen auf den Feldern. Nur wenige wehren sich gegen schlechte Bezahlung und sexuelle Übergriffe.

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