Schwäbisches Dornröschen mit Witz
Die Waldbühne Sigmaringendorf spielt das Märchen auf ihre eigene Art
● SIGMARINGENDORF - Die Inszenierung von Dornröschen auf der Waldbühne Sigmaringendorf überrascht in zweierlei Hinsicht: Ein vierköpfiger Ministerrat samt seinen Sekretären lässt das Publikum immer wieder herzhaft lachen. Fünf zauberhafte Elfen sprechen die Seele der Zuschauer an und entführen sie in eine magische Feenwelt. Eine der Feen, Pyromania, die Aufmüpfige, verzaubert Röschen in den 100-jährigen Schlaf. Gekonnt hat Regisseur Alex Speh das Märchen der Brüder Grimm auf die Bedürfnisse der Waldbühne zugeschrieben. Er hat Dornröschen seinen Stempel aufgedrückt.
Unweit vom Märchenschloss entfernt erhebt sich das Ministerium. An Rednerpulten bauen sich die Minister auf. Vier an der Zahl. Ein Roter (Leo Wirth), ein Schwarzer, ein Grüner und ein Blauer (Adrian Pfäffle). Die Farben sind bewusst gewählt. Der Autor Alex Speh scheut nicht vor politischen Aussagen zurück: Den blauen Minister, der für eine kürzlich in den Bundestag eingezogene Partei steht, stellt er als ziemlich beschränkt dar. Doch auch die anderen drei Minister bekommen ihr Fett weg: Der von Hannah Fanslau wegen der überzogenen Wortwahl überragend gespielte grüne Minister trägt zu seinem edlen Zwirn grüne Socken, Birkenstock und gebärdet sich als Vegetarier. Ihm hält der schwarze Minister, der dem Grünen schauspielerisch in nichts nachsteht, entgegen: Zur Taufe gebe es endlich mal wieder „a sauguats Floisch wie sonst nur im Star Kebap“.
Star Kebap? Ist das weit über das Dorf bekannte Döner-Lokal. Ach ja, deswegen hatte der Vorsitzende Walter Kordovan in seiner Begrüßung von „Lokalkolorit“gesprochen, den das Publikum erwarte. Mit diesen und anderen Aussagen hat Annika Holderried als schwarzer Minister die Lacher während der gesamten Aufführung auf ihrer Seite. Das liegt an ihren schwäbischen Temperamentsausbrüchen. Noch eine Kostprobe: Als die Minister erfahren, dass sich der sehnliche Kinderwunsch der Königin erfüllte, feiert der schwarze Politiker die Geburt von Röschen mit einem zünftigen „Zickezacke“. Nicht zu vergessen die vier putzigen Sekretäre, die die Minister auf Schritt und Tritt begleiten.
Wie im Original bekommt Dornröschen durch die eingebettete Feenwelt eine zauberhafte Note. Der Regisseur baute diese Märchenpassage aus. Den fünf Elfen sind ihre Rollen wie auf den Leib geschnitten: die Vornehme (Janina Fanslau), die Hippelige (Lea Speh), die Kleinste (Sofia Speh), die Attraktive (Eva Stebich) und die Aufmüpfige (Sarah Stebich). Letztere kündigt den Fluch über Röschen an und sie tut dies mit einer unglaublichen Aussagekraft.
Spinnrad muss gelöscht werden
Als „Pyromania“, so ihr Name, Röschen an ihrem 15. Geburtstag in einen Nebenraum des Schlosses lockt, und sich Röschen mit der Spindel verletzt, explodiert ein Feuerwerk. Dabei entzündet sich das Spinnrad, was so nicht im Drehbuch steht. Pyromania spielt unaufgeregt weiter, bis ein Techniker auf die Bühne kommt und den Kleinbrand mit einem Eimer Wasser löscht. Das schon in den Schlaf gefallene Dornröschen bekommt dabei mehr als einen Tropfen Löschwasser ab.
Dabei hatten die Requisiteure monatelang überlegt, wie sie die Dornenhecke wachsen und später wieder schrumpfen lassen könnten. Sie hatten einen nicht brennbaren Bühnenstoff mit einer undurchdringbaren Hecke bedrucken lassen, doch der „Heckenvorhang“war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Einsatz.
Prinz Alexander (Manuel Holl) erlöst das Dornröschen (Charlotte Fanslau) mit einem zarten Kuss auf dessen Stirn schließlich von seinem Dauerschlaf. Die Feen wecken den Hofstaat nach und nach, unter ihnen König Franz I. (Julius Maichle) und Königin Elisabeth I. (Teresa Krämer). Die anderen Prinzen, die an der Hecke gescheitert waren, werden mit Spott überschüttet und als „Trottel“beschimpft. Als auf dem barocken Cembalo die Hochzeitsmelodie erklingt – durch sich wiederholende Musikthemen gelingt der Zeitsprung in die verschiedenen Handlungsebenen des Stücks perfekt – läuft einem ein Schauer über den Rücken.
Wie im Märchen, gibt es auch auf der Waldbühne ein Happy End. Blacky, der schwarze Minister, kauft einen fünften Goldteller. Damit sind alle Feen zur Hochzeit eingeladen und sie versöhnen sich. „Das Brautpaar lebe hoch“, rufen die Schauspieler zum Schluss.
Wir rufen ihnen nach: Die Waldbühne lebe hoch. Das Jugendstück überzeugt durch Witz und Ausdruckskraft. Dank seines genialen Einfalls mit den Ministern setzt Autor Alex Speh einen unverwechselbaren Akzent.
Weitere Fotos von der Premiere gibt es im Internet unter www.schwäbische.de/ waldbuehne-dornroeschen