Drogen gegen Stress in der Küche
Prozess: Rauschgift in Edelrestaurant – Verhandlung endet mit einer Überraschung
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ULM - Weil ein minderjähriger Kochlehrling seinen Ausbilder beschuldigt hatte, er habe Drogen an Schüler verteilt, stand ein ehemaliger Spitzenkoch vor dem Ulmer Schöffengericht. Überraschend wurde der Mann nach kurzer Verhandlung freigesprochen, weil der Hauptbelastungszeuge eine faustdicke Überraschung lieferte.
Die Staatsanwaltschaft hatte den bisher unbescholtenen Mann in mehreren Fällen angeklagt. So soll er 2016 mehrfach Marihuana und rezeptpflichtige Beruhigungsmittel an seinem Arbeitsplatz in einem Heim für Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in der Region konsumiert und in einem Fall an einen der Schüler weitergegeben haben. Was den Drogenkonsum betrifft, wäre der Fall wohl beim Amtsgericht gelandet und mit einer Geldstrafe abgegolten worden. Doch bei der Abgabe von Drogen an Minderjährige drohen bis zu fünf Jahren Haft. Deswegen beschäftigte sich das Schöffengericht mit dem Fall. Der Angeklagte bestätigte alle Vorwürfe des Eigenkonsums, aber nicht die Abgabe oder den Verkauf von Drogen an seine Schüler.
„So etwas mache nicht“, betonte der bedrückt wirkende Angeklagte und erzählte aus seinem Leben. Nach abgeschlossener Hauptschulreife ging er bei einem renommierten Restaurant in die Lehre. Nach erfolgreichem Abschluss zog es ihn in die Welt der Spitzengastronomie BadenWürttembergs – mit sehr guten Abschlüssen und besten Aussichten auf eine große Karriere. Der Mann träumte davon, selbst ein Spitzenrestaurant zu eröffnen.
Die 18-Stunden-Schinderei in den Sterne-Lokalen hinterließ Spuren bei dem Mann. Um körperlich, seelisch und geistig fit zu sein, nahm er am Abend Beruhigungs- und für die Bewältigung des Tagesstresses Aufputschmittel. Die Dosis steigerte sich, als er sich mit einem gehobenen Restaurant selbstständig machte. „Erst kamen 14 Leute, dann täglich über hundert und ich stand allein in der Küche“, schilderte der Angeklagte. Vergebens suchte er qualifizierte Arbeitskräfte. Er brach zusammen, wurde ins Krankenhaus eingewiesen und anschließend wegen seiner Sucht ambulant weiterbehandelt. Der hoch qualifizierte Koch stand auf der Straße, als sich das gemeinnützige Erziehungs- und Ausbildungsheim auf seine Anzeige meldete. Der Mann hatte ja die besten Referenzen und schien ein Glücksfall für die Küchenausbildung dort zu sein. Vor zwei Jahren bekamen die Betreuer davon Wind, dass im Heim Rauschgift konsumiert wurde.
Wie ein Betreuer erzählte, mussten sich mehrere Bewohner des Heims Laboruntersuchungen unterziehen und man suchte nach dem Dealer. Der Angeklagte hatte einem Bediensteten des Heimes vertraulich gestanden, dass er Rauschgift konsumiere. Der Bedienstete hielt nicht dicht. So kursierte schnell das Gerücht, er sei der gesuchte Dealer. Daraufhin durchsuchte die Polizei die Wohnung des Mannes. Die Beamten fanden Marihuana und verschreibungspflichtige Tabletten. Der Verdächtigte gestand sofort, Konsument, aber nicht Verteiler gewesen zu sein. Inzwischen war die Polizei auf einen 18-jährigen Lehrling aufmerksam geworden. War er der Verteiler von Drogen im Heim? Bei der ersten Vernehmung beschuldigte der junge Mann den Angeklagten, ihm, als er noch 17 Jahre alt war, Drogen gegeben zu haben. Der einstige Starkoch kam in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft stützte sich ausschließlich auf den jetzt 18Jährigen. Dieser wurde in Handschellen und Fußfesseln hereingeführt. Der Mann verbüßt zur Zeit eine Jugendhaftstrafe wegen Drogenhandels und gab im Zeugenstand zum Erstaunen des Gerichts zu, dass er gelogen und den Angeklagten zu Unrecht belastet habe.
„Warum?“wollte der Vorsitzende Richter wissen. Die Antwort: ein Achselzucken. Das Gericht machte im Einvernehmen mit der Staatsanwältin kurzen Prozess. Der Vorwurf der Abgabe von Drogen an Minderjährige wurde zurückgezogen. Auch die Anklage wegen Drogenkonsums wurde gegen eine Auflage von 800 Euro an die Ulmer Drogenhilfe fallen gelassen. Der Koch verließ das Gericht als freier und nicht vorbestrafter Mann. Den Hauptzeugen dagegen erwartet ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung.