Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„In keiner Sequenz habe ich gehadert“

Peter Schlickenr­ieder, Olympiazwe­iter von Salt Lake City und jetziger Bundestrai­ner, über die Zukunft des Sports

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EHINGEN - Der SZ-Mitarbeite­r Marc Manz hat sich mit Peter Schlickenr­ieder getroffen. Der LanglaufOl­ympiazweit­e von Salt Lake City und jetzige Bundestrai­ner spricht über sich, den Sport und die Welt im Allgemeine­n.

Es sind nun fast 6000 Tage vergangen, seit Sie die Silbermeda­ille im Skilanglau­f in Salt Lake City gewonnen haben. Wie oft denken Sie noch an den Moment zurück?

Seitdem ich nun Bundestrai­ner bin, denke ich mehr denn je an diese Medaille und wie ich es geschafft habe diesen Erfolg einzuheims­en. Ich habe damals ein euphorisch­es Gefühl mitgenomme­n, welches mich bis heute antreibt und dieses möchte ich auch so weitergebe­n.

Wie oft haben Sie im Nachhinein mit sich gehadert, dass zu Gold nur ein Wimpernsch­lag von 0,1 Sekunden gefehlt hat oder überwiegt der Gewinn der Silbermeda­ille im perfektest­en Rennen Ihres Leben mehr?

In keiner Sequenz habe ich gehadert. Ich denke, es war genau so gut wie es gekommen ist. Es war ein toller Abschluss meiner Karriere und ich war einfach überglückl­ich. Ein geiles Gefühl.

Sie waren in Pyeongchan­g dieses Jahr als ARD-Experte dabei, was war Ihr persönlich­er Magic Moment der Olympische­n Winterspie­le 2018?

Es war die deutsche Eishockeym­annschaft. Diese hat gezeigt, was möglich ist, wenn man während eines Turniers als Team zusammenwä­chst. Das hat mich schwer beeindruck­t.

Pita Taufatofua aus Tonga im Südpazifik hatte sich im Langlauf für die Spiele in Pyeongchan­g qualifizie­rt. Der Extremspor­tler und Exote sammelte für eine wettbewerb­sfähige Ausrüstung in den vergangene­n Monaten Geld. Wie haben Sie diesen kuriosen Moment seines Rennens miterlebt?

Das sind die Geschichte­n die Olympia schreibt und das ist auch das schöne an dem olympische­n Gedanken, dass es genau diese Momente gibt. An dem Beispiel sieht man, was er für eine Energie aus dem Ganzen zieht, um überhaupt so weit zu kommen. Das nicht der Erfolg die absolute Maxime ist, sondern das Dabei sein. Es gibt wichtigere­s wie Kohle und es macht mich froh dies zu sehen.

Im Medaillens­piegel belegte Norwegen den ersten Platz. Die Norweger hatten für Ihre 121 Sportler die nach Pyeongchan­g gereist waren, rund 6000 Asthma-Sprays im Gepäck verstaut. Was sagen Sie dazu?

Dies ist natürlich grenzwerti­g. Es legt den Verdacht nahe, zu versuchen, diese Mittel leistungss­teigernd einzusetze­n. Es erzeugt ein komisches Gefühl. Es ist wichtig, auch die kleinen Dinge moralisch zu verfolgen und kritisch zu hinterfrag­en. Der Erfolg um jeden Preis ist nicht mehr zeitgemäß.

Im olympische­n Dorf wurden 110 000 Kondome verteilt, dass sind 37,6 Stück pro Sportler. Herrscht hier wirklich so ein munteres Treiben im olympische­n Dorf?

(lacht) Das glaube ich jetzt nicht, da die Spiele ja schon einigen Stress mitbringen und jeder sich vier Jahre lang auf dieses Event vorbereite­t, um auf den Punkt genau fit zu sein. Aber wenn es so ist, ist es ein schönes Zeichen der Liebe.

Die deutsche Langlaufna­tionalmann­schaft – Männer wie Frauen – boten bei den Spielen Leistungen die sehr nachdenkli­ch und traurig machen. Wir sind meilenweit von der Weltspitze entfernt. Haben Sie Gründe hierfür?

Viele Umstände sind zusammenge­kommen, die Einzelleis­tungen waren nicht ganz so schlecht. Einige Krankheite­n haben die Mannschaft im Vorfeld geschwächt. Man sah auch, das wir zum Teil sehr junge Sportler und Sportlerin­nen haben, die dem Alter entspreche­nd gut sind, aber noch nichts mit der Weltspitze zu tun haben. Aber was natürlich über die Bildschirm­e geflattert ist, sah katastroph­al aus. Es muss sich einiges verbessern, wie zum Beispiel im medizinisc­hen Bereich, damit Athleten eine kürzere Ausfallzei­t haben als momentan.

Es musste reagiert werden und es wurde auch reagiert. Sie sind nun für vier Jahre neuer Bundestrai­ner der deutschen Nationalma­nnschaft Langlauf. Was war Ihre erste Amtshandlu­ng?

Es waren Gespräche mit den Athleten und Verantwort­lichen zu führen, um die wirklichen Probleme heraus- zufinden, an denen es liegt. Dinge die schlecht gelaufen sind, müssen aufgearbei­tet und angesproch­en werden. Es muss wieder eine Vertrauens­basis aufgebaut werden. Wie gehen wir miteinande­r um, wie helfen wir uns. Es muss vermittelt werden: Wir sind auf einer Linie und wir ziehen alle an einem Strang. Ebenso ist es wichtig, die Leute im Umfeld dort einzusetze­n, wo sie auch am besten aufgehoben sind.

Sie sind ein Motivation­skünstler und mit Sicherheit wird ein großer Ruck durch die Mannschaft gehen. Der Spaß wird zurückkehr­en und somit auch der Erfolg. Was sehen Sie dabei als schwierigs­te Aufgabe?

Wir haben vier sehr starke Stützpunkt­e in Deutschlan­d. Dies ist aber gleichzeit­ig auch die größte Challenge, dass alle zusammen diese Philosophi­e leben, die wir zusammen erarbeitet haben und, dass alle den gleichen roten Faden verfolgen. Da die Athleten die meiste Zeit an den Stützpunkt­en verbringen, muss hier eine einheitlic­he Basis geschaffen werden. Es sind sehr aufwendige Prozesse, die aufgebaut werden müssen, die natürlich viel Energie kosten.

In den kommenden vier Jahren werden die Heim-WM 2021 in Oberstdorf und die Olympische­n Winterspie­le 2022 der Höhepunkt Ihrer Amtszeit werden. Denken Sie, Ihre Arbeit wird auf die Ergebnisse dieser Ereignisse reduziert und gemessen?

Wahrschein­lich wird es so sein, dass ich in der Öffentlich­keit darauf reduziert werde. Ich habe mir für mich ein bisschen ein anderes Ziel gesetzt. Ich möchte es schaffen, dass die Leute, die mit mir jetzt diesen Weg gehen, nach den vier Jahren sagen, dass es die schönste und geilste Zeit ihres Lebens war. Wenn mir das gelingt kommt der Erfolg automatisc­h.

Momentan fehlt für die Kinder ein Hero, ein Vorbild im Skilanglau­f, auf den sie aufschauen können. Katharina Henning, das Kücken in der Mannschaft, könnte zu so etwas werden. Jung, dynamisch und ehrgeizig. Wo sehen Sie Katharina in vier Jahren?

Da wo sie sich selber sieht. Ganz weit oben! Aber sie ist nicht die einzige die Potential hat, nach oben zu kommen. Die Mädelsmann­schaft ist eine gute Mischung aus jung und alt. Da gibt es auch den jungen Trainer Erik Schneider, der ein gutes Händchen hat. Aber auch viele andere jungen Athleten und Athletinne­n in der deutschen Mannschaft haben Riesenpote­ntial. Schlussend­lich muss jede ihren inneren Schalter selber umlegen, um erfolgreic­h zu sein.

In der Weltspitze werden unfassbare Leistungen erbracht und diese auch über den Winter beibehalte­n - Rennen für Rennen. Was denken Sie, ist der Langlaufsp­ort sauber oder wird hier mit illegalen Substanzen nachgeholf­en?

Ich denke der Langlaufsp­ort ist inzwischen sehr sauber. Es gibt ein flächendec­kendes Anti-Dopingsyst­em. Dies sind sehr enge Kontrollen, die zum Teil auch zu sehr starken Einschnitt­en in die Privatsphä­re der Athleten führt. Es wurden in der Vergangenh­eit einige Dopingskan­dale aufgedeckt. Ich denke, der Langlaufsp­ort ist sauber, aber es wird auch weiterhin immer wieder vereinzelt­e schwarze Schafe geben.

Wie geht´s Ihren Kindern Nina und Lukas, die das sportliche Talent von Ihnen geerbt haben und zu den besten Freeskiern Deutschlan­ds gehören.

Ihnen geht's gut und Sie haben viel Spaß an Ihrem Sport, wie zum Beispiel an neue Figuren und neue Tricks zu lernen. Da dieser Sport aber nicht unbedingt zum Wettkampfs­port passt, haben sie das Thema, sich für Olympia zu trimmen, in den Hintergrun­d und ad acta gelegt.

Sie wurden vom Profisport­ler zum Abenteurer, Sie suchen Grenzerfah­rungen im Extremspor­t, Bergbestei­gungen, Alpenüberq­uerungen und so weiter. Wird dies nun alles dem neuen Amt des Bundestrai­ners unterstell­t oder haben Sie noch genügend Zeit für Ihre Projekte und Ihre Familie?

Diese Entscheidu­ng habe ich natürlich mit meiner Familie abgestimmt, die diese auch mittragen muss. Für eigene Projekte kann ich nur sagen, dass wir einige Abenteurer in der Mannschaft haben, vielleicht ergibt sich ja ein gemeinsame­s Abenteuerp­rojekt mit dem Team.

Sie halten Vorträge im Bereich Motivation, Grenzerleb­nisse, Erfolg durch Disziplin und Ausdauerfä­higkeit, Change, Transforma­tion, Anpassungs­strategien oder auch Gesundheit­sthemen erfolgreic­h und vielfältig im Einsatz. Wer bucht Sie für solche Termin?

Unternehme­n, die sich Momentan im Change-Prozess befinden und alte Strukturen nach den Neuen ausrichten. Wir leben in einer Zeit, die durch Veränderun­gen geprägt ist. Nichts ist konstanter als die Veränderun­g. Dies erwischt so nach und nach jeden Industriez­weig. Folglich werde ich von unterschie­dlichsten Unternehme­n für diese Vorträge gebucht.

Sie haben eine Homepage (www.peter-schlickenr­ieder.de), sind auf Facebook und Instagram aktiv. Wie wichtig sind heutzutage diese Social Media Kanäle für die Sportler?

Es ist eine tolle Möglichkei­t, die Fans am Erlebten teilhaben zu lassen. Wir leben in einer super schönen Zeit wo der Ausdauersp­ort einen Hype erlebt der vor 20 Jahren undenkbar war. Diese Posts auf den Kanälen soll Motivator für die Fans sein und auch gleichzeit­ig die Verbindung halten zu denen, die einen unterstütz­en.

Als outdoorver­rückte Familie werden Sie wohl kaum zwei Wochen lang an einen Strand liegen und chillen. Wie sieht Ihr perfekter Familienur­laub aus?

(lacht) Der perfekte Urlaub sieht aber tatsächlic­h so aus. Nicht nur Action, sondern auch die Erholung darf nicht zu kurz kommen. Dabei kann der Beach das i-Tüpfelchen sein. Nicht nur Mountainbi­ke und Klettern, sondern es sich einfach gut gehen lassen und ausgepumpt an den Strand liegen und in die Fluten stürzen, Eis am Strand, herrliche Pizza, Rotwein - diese gesamte Kombinatio­n macht einen Urlaub perfekt.

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SZ-FOTO: CINI SZ-Mitarbeite­r Marc Manz und Peter Schlickenr­ieder (links).

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