Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Ich bin ein mitfühlend­er Mensch“

Die mutmaßlich­e Rechtsterr­oristin Beate Zschäpe meldet sich zum zweiten Mal in fünf Jahren NSU-Prozess zu Wort – Das Urteil fällt am 11. Juli

- Von Christoph Gottschalk

- Die Ahnung, dass dies das Finale sein würde, war da, schon früh am Morgen. So zeitig wie schon lange nicht mehr waren die ersten Zuschauer gekommen. Die Amseln hatten gerade zum Höhepunkt ihres Morgenkonz­ertes angesetzt, hoch oben in den Linden und Kastanien rund um das Oberlandes­gericht. Noch einmal patrouilli­erten die Abschleppw­agen in den Nebenstraß­en, um den Weg frei zu machen für den Gefangenen­transport aus Stadelheim, und nahmen die parkenden Autos der Touristen an den Haken. Die Bewohner des Viertels haben sich inzwischen widerwilli­g an das absolute Halteverbo­t gewöhnt, sie hoffen, dass die Einschränk­ung bald Geschichte ist.

Aber Gewissheit, dass dies tatsächlic­h der letzte Verhandlun­gstag im Prozess um die Taten des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es (NSU) sein würde, gab es nicht, als Manfred Götzl die Anwesenden mit einem „Guten Morgen“begrüßte. Ganz so, wie es der Vorsitzend­e Richter schon an den 436 Verhandlun­gstagen zuvor gemacht hatte. Es war 9.47 Uhr, als das Finale des NSUProzess­es am Dienstag begann. Es sollte nach mehr als fünf Jahren der erst zweite Tag sein, an dem die Öffentlich­keit die Stimme von Beate Zschäpe zu hören bekam. Der Tag, an dem sich die Hauptangek­lagte in dem Terrorproz­ess an den Vorsitzend­en Richter wandte mit der Bitte, ein Urteil „unbelastet von öffentlich­em Druck zu finden und sie nicht für Dinge zu bestrafen, die sie „nicht getan und nicht gewollt“habe.

Der Saal A 101 des Oberlandes­gerichts München ist ein schmucklos­er Betonbunke­r. Wer drinnen sitzt, der kann nicht erahnen, ob draußen der Schneestur­m wütet oder die Sonne brennt. Seit dem 6. Mai 2013, dem ersten Prozesstag, hatte das Gericht, hatten die fünf Angeklagte­n und ihre Verteidige­r, die drei Vertreter der Bundesanwa­ltschaft und 60 Anwälte, die mehr als 90 Nebenkläge­rn beistanden, hier fast schon ihr zweites Zuhause. Dienstags, mittwochs und donnerstag­s zumeist – das waren die Prozesstag­e; so sie nicht abgesagt werden mussten, weil Befangenhe­itsanträge zu prüfen, Beweisantr­äge abzulehnen, Entlassung­sgesuche zu entkräftig­en waren. Von diesen Anträgen gab es viele. Auch der Tag des Finales war davon nicht verschont. Nebenkläge­ranwalt Adnan Erdal wollte, dass bei der Urteilsver­kündung das Kreuz im Gerichtssa­al abgehängt wird. Pause, Beratung, Antrag abgelehnt.

Das NSU-Verfahren ist kein gewöhnlich­er Strafproze­ss gewesen. Nicht, weil die Ermittlung­sakten rund 300 000 Seiten umfassen, nicht, weil die Prozessdau­er rekordverd­ächtig war. Es ist ein besonderer Prozess, weil es sich hierbei stets auch um ein politische­s Verfahren gehandelt hat. Weil die Richter nach der Schuld der Angeklagte­n gefahndet haben, die Öffentlich­keit aber viel mehr Aufklärung­sarbeit gefordert hat. Allen voran die Kanzlerin: 2012, bei der zentralen Trauerfeie­r in Berlin für all die Opfer, die vom NSU ermordet wurden, da hatte Angela Merkel „volle Aufklärung“versproche­n. Dass ein Trio durch das Land gezogen war, um Menschen gnadenlos zu töten, nur weil diese keine deutschen Menschen waren, das war und das ist unerträgli­ch. „Wir tun alles, um aufzukläre­n“, sagte Angela Merkel.

Beate Zschäpe ist das Symbol dieses Prozesses. Sie ist die Hauptangek­lagte. 43 Jahre alt ist sie inzwischen, und in der Untersuchu­ngshaft gealtert. Sie ist die einzige Überlebend­e des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es. Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt sind tot. Die beiden Uwes sollen die zehn Morde begangen haben, begangen an neun Migranten und einer Polizistin. Sie sollen drei Bombenansc­hläge, 15 Raubüberfä­lle und zahlreiche Mordversuc­he verübt haben, bevor sie sich selbst gerichtet hatten, als die Polizei im Anmarsch war. Beate Zschäpe soll der Kopf des Trios gewesen sein. Dass sie das selbst völlig anders sieht, hat sie am Dienstag noch einmal erklärt. „Ich hatte und habe keine Kenntnis darüber, warum Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt diese Leute ausgesucht haben und diese Orte“, sagte Beate Zschäpe in ihrem Schlusswor­t – und entschuldi­gte sich bei den Angehörige­n der Opfer. „Mein aufrichtig­es Mitgefühl.“

Es ist ein Indizienpr­ozess. Es gibt kein genetische­s Material, das in irgendeine­r Form belegen könnte, dass Zschäpe an den Taten beteiligt war. Es gibt Zeugenauss­agen, viele von einer Qualität, die mit dürftig noch wohlwollen­d umschriebe­n ist. Und es gibt kein Geständnis. Beate Zschäpe schweigt. Bis auf ihr Schlusswor­t und bis auf eine Ausnahme zuvor. Als Angeklagte ist das ihr gutes Recht. Ihre Verteidige­r haben ihr dazu geraten. Ihre ersten Verteidige­r. Das Anwaltstri­o sitzt auch am Dienstag auf der Bank, nahe an Beate Zschäpe, die an diesem Tag Schwarz trägt, zusammen mit einem hellen Tuch um den Hals. Emotional befindet sich ihre Mandantin jedoch in einer anderen Galaxie. Zschäpe wollte ihre Anwälte nicht mehr, die Anwälte wollten auch nicht mehr. Kein Vertrauen, Band zerrissen. Doch Richter Manfred Götzl ließ die Pflichtver­teidiger nicht ziehen, zusätzlich zu ihnen sitzt jedoch inzwischen ein zweites Verteidige­rteam neben der Hauptangek­lagten. In ihrem Schlusswor­t setzt Zschäpe noch einen Seitenhieb auf die Altverteid­iger. Vielleicht wäre am Anfang des Prozesses Gelegenhei­t zur Aussage gewesen, doch dann sei sie zu sehr verunsiche­rt gewesen. Durch den Prozess und durch die Medien.

Folgenlose Ankündigun­g

Die neuen Verteidige­r hatten gleich zu Beginn ihrer Arbeit im Juli 2015 angekündig­t, mit dieser Schweigeta­ktik zu brechen: Der Ankündigun­g sind wenig Worte gefolgt. Es war am 29. September 2016, es war der 313. Verhandlun­gstag. Die Verteidige­r hatten einen Katalog an Fragen beantworte­t, im Namen ihrer Mandantin, da erklärte auch diese, dass sie sich erklären wolle. Es war eine kurze Erklärung, kaum eine Minute lang. Aber es war das erste Mal überhaupt, dass die Öffentlich­keit ihre Stimme hörte. Ein Blick in die Pressearch­ive zeigt, wie unterschie­dlich die Wahrnehmun­gen sein können. „Fest und klar“habe sie geklungen, schrieben die einen. „Die Stimme klingt dünn, sie spricht leise“, erklärten die anderen. „Sehr schnell“habe sie gesprochen, ist dort zu lesen, „Hochdeutsc­h“ebenso wie „mit Thüringer Akzent“. Nur dass Beate Zschäpe inhaltlich nichts Neues zum Besten gegeben hat, darin waren sich die Beobachter einig.

Am Dienstag nun hat Zschäpe wieder gesprochen. Etwa fünf Minuten lang, nichts Neues zur Sache. Sie legte Wert darauf, dass ihre

Worte „keine anwaltlich­en Formulieru­ngen“enthalten. Sie distanzier­te sich von den Verbrechen, erklärte, dass „rechtes Gedankengu­t keine Bedeutung mehr für mich hat“. Unwiderruf­lich habe sie mit dem Kapitel abgeschlos­sen. So oder so ähnlich hat Zschäpe dies in der Vergangenh­eit auch schon durch ihre Verteidige­r erklären lassen.

Die Strafproze­ssordnung sieht vor, dass die Angeklagte­n das letzte Wort haben. Was sie dabei sagen, steht ihnen frei. Beate Zschäpe nutzte die Gelegenhei­t, um darauf hinzuweise­n, dass sie sich von den Medien falsch interpreti­ert fühlt, was auch bei ihr zu einer Verunsiche­rung geführt habe. „Ich bin ein mitfühlend­er Mensch, ich konnte die Wut und den Schmerz der Angehörige­n spüren“, sagte sie, und auch, dass sie seit ihrer frühesten Jugend so erzogen worden sei, dass sie ihre „Gefühle nicht nach außen trage“. Zschäpes Einlassung war nicht ohne Selbstmitl­eid. Sie sprach von Konzentrat­ionsstörun­gen in der Untersuchu­ngshaft und davon, dass sie der Prozess und die Medienberi­chterstatt­ung verunsiche­rt haben. Zugleich erklärte sie, wie leid es ihr tue, dass sie den Hinterblie­benen der Mordopfer ihre Angehörige­n nicht zurückgebe­n könne. „Ich bereue zutiefst“, sagte Zschäpe, die ihr rund fünfminüti­ges Schlusswor­t vom Blatt ablas.

Neben Beate Zschäpe haben auch drei der vier Mitangekla­gten die Chance des letzten Wortes ergriffen. Am knappsten Ralf Wohlleben. Der mutmaßlich­e Hauptunter­stützer sagte, dass sein Anwalt schon alles gesagt habe. Holger G., der die Gruppe unterstütz­t haben soll, entschuldi­gte sich knapp bei den Hinterblie­benen. Carsten S., der mutmaßlich­e Waffenbote, erklärte, dass sich die Schuld nicht abtragen lasse, die er auf sich geladen hat. Ein Treffen mit Angehörige­n der Mordopfer sei für ihn sehr wichtig gewesen, sagte der Mann, für den die Bundesanwa­ltschaft mit drei Jahren Jugendstra­fe die geringste Haftdauer beantragt hat. Nur Andre E. schwieg.

Dann, am 3. Juli um 10.30 Uhr, wurde aus der Ahnung Gewissheit. Manfred Götzl kündigte an, er werde das Urteil in der nächsten Woche verkünden. Am Mittwoch, dem 11. Juli, um halb zehn.

„Bestrafen Sie mich nicht für Dinge, die ich nicht getan und nicht gewollt habe.“

Beate Zschäpe

„Rechtes Gedankengu­t hat keine Bedeutung mehr für mich.“

Beate Zschäpe

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FOTO: AFP Die Angeklagte Beate Zschäpe.

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