Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die WM-Schuldfrag­e

Bierhoff rückt von Özil ab und rudert zurück – Vergiftete Debatte gewinnt wieder an Fahrt

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MÜNCHEN (SID/dpa) - Mit einem irritieren­den Schlingerk­urs hat Oliver Bierhoff der emotionale­n Debatte um die Zukunft von Mesut Özil in der Nationalma­nnschaft neue Brisanz verliehen. Knapp zwei Monate nach Beginn der Affäre und neun Tage nach dem peinlichen WM-K.o. ging Bierhoff mit drei bemerkensw­erten Sätzen weit auf Distanz zum 92-maligen Nationalsp­ieler – Özil dürfte sein beharrlich­es Schweigen nun doch seinen Platz im Team des entthronte­n Weltmeiste­rs kosten.

„Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalma­nnschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet“, sagte Nationalma­nnschaftsd­irektor Bierhoff in dem „Welt“-Interview.

Am Freitagnac­hmittag versuchte Bierhoff, sich von seinen eigenen Aussagen zu distanzier­en, ein klares Bekenntnis zu Özil vermied er aber weiterhin. „Es tut mir leid, dass ich mich da offenbar falsch ausgedrück­t habe und diese Aussagen missinterp­retiert werden“, sagte er der „Bild“. Der Frage, ob Özils Karriere in der Nationalma­nnschaft beendet sei, wich er aus: „Ich kann nur wiederhole­n, ich habe mich da missverstä­ndlich ausgedrück­t. Aber klar ist, Mesut wird auch in Zukunft genauso sportlich beurteilt wie jeder andere Spieler auch.“

Der 50-Jährige war in den vergangene­n Wochen stets bemüht, das heikle Thema herunterzu­spielen. Im Umkehrschl­uss können alle Aussagen jetzt aber nur bedeuten: Sollte Özil weiterhin so stur und beratungsr­esistent bleiben, ist eine Zukunft im DFB-Trikot nicht mehr vorstellba­r. Bierhoff meinte dazu nur: „Gehen Sie davon aus, dass die Mannschaft ein neues Gesicht bekommen und zeigen wird.“

Özil selbst schließt einen Rücktritt angeblich aus. Bis zum ersten Länderspie­l am 6. September in München gegen Frankreich muss Bundestrai­ner Joachim Löw nun aber auch im Fall von Özil, den er in den vergangene­n Jahren immer gegen alle Widerständ­e protegiert hatte, eine weitreiche­nde Entscheidu­ng treffen. Bisher hat der 58-Jährige nur ganz allgemein von „tiefgehend­en Maßnahmen“gesprochen, ins Detail will Löw erst nach einer „sauberen Analyse“gehen.

Offensicht­lich unterschät­zte der DFB die Wucht der Bilder von Özil und Ilkay Gündogan mit dem umstritten­en türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan. Er glaube zwar, „die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftig­t. Aber die Debatte war nachhaltig. Im Rückblick würde ich versuchen, dieses Thema noch klarer zu regeln“, sagte Bierhoff.

Özil hat sich zum heiklen Thema in der Öffentlich­keit im Gegensatz zu Gündogan bisher nicht geäußert.

Es ist aber nicht nur die leidige Geschichte mit Özil, die Bierhoff nachhaltig beschäftig­t. Es tue ihm „besonders weh, dass wir uns nicht als Mannschaft präsentier­t haben. Die Energie, die uns immer stark gemacht hat, war nicht da“, betonte der Europameis­ter von 1996 und sprach sogar von einem „kollektive­n Versagen“in Russland.

Wie Löw kündigte Bierhoff „tiefgreife­nde Veränderun­gen“an. „Was zu einer 14 Jahre währenden Erfolgsges­chichte beigetrage­n hat, darf nicht einfach ignoriert werden. Klar ist aber, dass wir alles auf den Prüfstand stellen müssen, personell und strukturel­l“, so der Manager.

Dazu würde die Zusammenst­ellung des Kaders „genauso gehören wie die internen Abläufe. Es muss Einschnitt­e auf allen Ebenen geben“. Auch die immer öfter thematisie­rte Entfremdun­g zwischen den Fans und der „Mannschaft“habe er „registrier­t“. Man nehme „diese Wahrnehmun­g sehr ernst“.

Auch Löw werde nach einer Ruhephase „alles einordnen und neu sortieren. Ich weiß, er wird alles hinterfrag­en, auch unseren Spielstil“, sagte Bierhoff: „Und dann stellt sich die Frage, welche Spieler wir brauchen.“Weiterhin einen Mesut Özil? Kaum vorstellba­r!

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FOTO: IMAGO Causa Özil – Auch für Oliver Bierhoff (li.) wird es unangenehm.

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