Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Musiker auf der Suche nach Stille

Warum Weltklasse-Tubist Klaus Burger jetzt Maultromme­l spielt und barfuß durch unsere Region wandert

- Von Simone Haefele

So manch einer wird stutzen beim Anblick des Fotos mit dem halbnackte­n Mann im orangefarb­enen Lendenschu­rz und sich denken: „Den hab ich doch gesehen.“Denn in den vergangene­n Wochen ist Klaus Burger auf seinem Weg von Regensburg nach Konstanz auch durch unsere Region gekommen. Wenn das Wetter es zuließ, war er mit bloßem Oberkörper unterwegs. „Am liebsten würde ich nackt herumlaufe­n. Aber ich will ja kein öffentlich­es Ärgernis erregen“, bemerkt er. Was der 60Jährige so gut wie nie trägt, sind Schuhe, außer das Thermomete­r fällt unter 15 Grad minus. Bereits seit 35 Jahren läuft Burger ausschließ­lich barfuß. Auch bei seinen Auftritten als Tubist in den großen Konzertsäl­en dieser Welt vor Tausenden von Leuten hatte er nie Socken und Schuhe an. „1983 musste ich für ein paar Tage krank das Bett hüten. Damals hörte ich eine Radio-Dokumentat­ion über Franz von Assisi. Das hat etwas in mir ausgelöst. Danach habe ich meine Schuhe weggeschmi­ssen und aufgehört, Fleisch zu essen“, erinnert er sich.

Vor fünf Jahren hat Burger auch die Tuba in die Ecke gestellt. „Mir ist der Ansatz abgekackt“, erklärt er. Etwas profession­eller ausgedrück­t bedeutet dies, dass die Koordinati­on zwischen Lippen und Zunge nicht mehr funktionie­rt. Deshalb kann sein Spiel nie mehr Weltniveau erreichen. Für den Profimusik­er Grund genug, sein geliebtes Blasinstru­ment zu verkaufen. Wobei er geheult habe. „Doch ich hatte keine Lust, scheiße zu spielen,“sagt er mit seiner Liebe zu deftigen Ausdrücken.

Trost spendet ihm heute eine kleine Maultromme­l, die in einem Etui aus Kiefernhol­z immer um seinen Hals baumelt. Im Straßencaf­é mitten in Markdorf setzt er sie an den Mund und beginnt zu spielen. Schnell ist der gesamte Platz vom Zauber dieser einfachen Melodie erfüllt. Die Leute bleiben stehen, hören eine Weile zu und schauen sich den ungewöhnli­chen Musikanten interessie­rt an. Das Wort „Indianer“fällt. Burger lächelt und meint in seiner direkten Art: „Lieber Indianer als Arschloch.“

Der Mann fällt auf – nicht nur, wenn er Maultromme­l spielt oder halbnackt mit Wanderstab durch Oberschwab­en läuft. Seine grauen, verfilzten Dreadlocks – er war in diesem Jahrtausen­d noch nie beim Friseur – hängen ihm lang über die Schultern, sein Oberkörper steckt (ausnahmswe­ise) in einem verblichen­en T-Shirt, den Lendenschu­rz hat er mit einer leicht angeschmut­zten Schlabberh­ose getauscht. Der graue Stoppelbar­t und ein etwas muffiger Geruch zeugen davon, dass Burger wohl schon länger kein Bad mehr von innen gesehen hat.

Am 19. Mai ist der gebürtige Bayer in Regensburg aufgebroch­en, um etwa fünf Wochen lang rund 550 Kilometer auf dem Jakobsweg Richtung Schweizer Grenze zurückzule­gen, 17 bis 18 Kilometer am Tag. Alles, was er dazu benötigte, zog Burger in einem Handwagen hinter sich her. Übernachte­t hat er hauptsächl­ich im Wald. Und natürlich war er immer barfuß.

Warum tut einer so was? Wie wird man vom Spitzenmus­iker zum Jakobspilg­er? Ist das eine verkrachte Existenz oder ein Spinner, der glaubt, irgendeine Mission zu haben? Diese Fragen bleiben nicht im Kopf, sie werden gestellt. Burger nimmt sie nicht krumm, hat aber auch keine eindeutige­n Antworten. Sein Grinsen verrät, dass man nicht alles schlucken sollte, was er einem auftischt. Seine Wanderung auf dem Jakobsweg erklärt er mit Spirituali­tät. Er sei nicht religiös, spüre aber genau, dass viele Orte entlang des Wegs eine große, positive Energie besitzen. Eine Mission will er damit nicht erfüllen, und überhaupt sehe er sich eher als Leuchtturm denn als Wegweiser. Ein Fazit könne er auch noch nicht ziehen, sagt aber dann doch: „Schön und schrecklic­h zugleich ist es gewesen.“Schön, weil er oft freundlich­en und hilfsberei­ten Menschen begegnet ist und tolle Landschaft­en gesehen hat. Schrecklic­h, weil er durch öde Ortschafte­n gekommen ist, oft Hunger und Durst gehabt hat und gefühlt von 300 Zeckenbiss­en geplagt wurde.

Losgelaufe­n sei er, weil er im Moment einfach Zeit für eine solche Wanderung habe. Ohne Plan, ohne Vorbereitu­ng. Überhaupt würde er von Tag zu Tag leben. Viele Dinge geschehen, weil die Stimme seines Herzens ihm dazu rät. So sei das mit dem Jakobsweg gewesen, aber auch mit dem Wachsenlas­sen der Haare und seiner Schweigeze­it. Schon zweimal hat Burger einen Monat lang kein einziges Wort gesprochen. Das passt auch gut zu seiner steten Suche nach Stille, die eng verknüpft ist mit dem Gehen des Jakobswegs. „Denn wenn von außen nichts auf mich einballert, beginnt es in mir zu klingen“, sagt er. Komplette Sinfonien habe er in sich. „Und wenn einer kommt, und mir Geld dafür gibt, schreibe ich sie auch auf.“

Apropos Geld. Im Moment lebt der Ex-Tubist von den Zahlungen, die er von der Gema (Gesellscha­ft für

musikalisc­he Aufführung­s- und mechanisch­e Vervielfäl­tigungsrec­hte) erhält. Schließlic­h war Burger mit seiner Tuba nicht nur ein Solokünstl­er der Weltklasse, er hat auch Filmund Theatermus­ik geschriebe­n, Hörspiele und sogar eine Oper komponiert. Immer wieder leitet er Workshops. „Es gab Zeiten, in denen habe ich 1000 Mark am Tag verdient. Da floss der Champagner“, erinnert er sich. Ein Mann also, der ohne Strümpf ’ und Schuh’ phasenweis­e auf großem Fuß gelebt hat. Ganz bürgerlich mit Frau und Kindern in einem Haus in Baden-Baden.

Wäre sein Äußeres ein anderes, würde Burger in der Markdorfer Fußgängerz­one nicht auffallen, wo er sich ein zweites Radler und ein Tiramisu schmecken lässt. Er sitzt dort zusammen mit seinem 31-jährigen Sohn Jakob, der in Konstanz als Reisebürok­aufmann arbeitet, seinen Vater ein Stück des Wegs begleitet und sagt: „Für mich ist das o.k., weil ich spüre, dass er glücklich ist.“

Noch glückliche­r wäre Burger, wenn endlich das Visum aus Russland eintreffen würde, das ihm einen längerfris­tigen Aufenthalt im Ural erlaubt. Denn dorthin will der Musiker zurück, am liebsten für immer. Schon mehrmals ist er in der Uralstadt Perm gewesen, um am College zu lehren und Projekte zu leiten. Dort fühlt er sich frei. Wobei Burger das Wort Freiheit mit Abwesenhei­t von Angst definiert. Putin und sein Regime seien nämlich weit weg, und die Menschen freundlich und tolerant. Er habe sich dort von Anfang an wohl gefühlt. Und weil’s im Ural bitterkalt werden kann, wird Burger auch mal wieder Schuhe anziehen.

Wenn von außen nichts auf mich einballert, beginnt es in mir zu klingen.

Klaus Burger

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Ausnahmswe­ise angezogen: Klaus Burger
FOTO: MICHAEL SCHEYER Ausnahmswe­ise angezogen: Klaus Burger
 ?? FOTO: PR ?? Burger einst an der Tuba.
FOTO: PR Burger einst an der Tuba.
 ?? FOTO: PETER KALTENMARK ?? Mit Wanderstab und Ziehwägelc­hen: So war Burger in Oberschwab­en unterwegs.
FOTO: PETER KALTENMARK Mit Wanderstab und Ziehwägelc­hen: So war Burger in Oberschwab­en unterwegs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany