"IRRE, WIE DIESE REGIERUNG AGIERT "
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kritisiert den Asylkompromiss und fordert eine engagiertere Klimapolitik
Grünen-Fraktionschef Hofreiter im Interview
BERLIN - Fassungslos ist GrünenFraktionschef Anton Hofreiter über das „Schauerspiel“der Unionsparteien. Hendrik Groth und Sabine Lennartz sprachen mit ihm. Hofreiter fordert die Regierung auf, sich endlich um Wohnungsnot und Klimapolitik zu kümmern.
Herr Hofreiter, macht Opposition momentan besonders viel Spaß?
Im Moment mache ich mir vor allem große Sorgen und bin fassungslos über das Agieren der Unionsparteien. Die Regierung handelt nicht mehr verantwortungsvoll und rational, sondern lässt sich treiben von den Ängsten der Regionalpartei CSU, die um ihre absolute Mehrheit in Bayern bangt. Die Union nimmt dafür billigend in Kauf, die Gesellschaft zu spalten und dem europäischen Zusammenhalt schweren Schaden zuzufügen – und das in einer Zeit, in der wir die EU so dringend brauchen. Gerade wenn Donald Trump mit Zöllen für die Autoindustrie droht, muss die Europäische Union zusammenhalten. Nur das garantiert uns wirtschaftliche Stabilität und den Schutz des Produktionsstandortes Deutschland – und übrigens mit BMW und Audi auch in Bayern. Sich in so heiklen Zeiten so irrational zu verhalten wie die CSU, das ist fahrlässig. Zumal das ganze Schmierentheater am Ende nichts gelöst, sondern nur neue Probleme geschaffen hat.
Wie weit trauen Sie Angela Merkel über den Weg, dass sie ihren proeuropäischen Kurs hält?
Frau Merkel ist ja sehr flexibel, so wie sie Positionen findet oder auch wechselt. 2005 stand sie für Neoliberalismus, 2015 für die große humane Geste, die sie dann aber wieder abräumte. Und jetzt ist sie endgültig zur Abschottungskanzlerin geworden. In Europa weiß niemand mehr, wofür sie eigentlich steht.
Union und SPD haben sich auf einen Asylkompromiss geeinigt. Ist damit die Welt wieder in Ordnung?
Leider nicht, ganz im Gegenteil: Die Probleme wurden nur vertagt und auf andere Staaten verschoben. Dass damit schon die nächste Krise vorprogrammiert ist, sieht man ja allein an den ersten ablehnenden Reaktionen aus Ungarn, Österreich und Italien. Was aber aus meinen Augen noch problematischer ist: Merkel, Söder und Seehofer haben mit ihrem Schauerspiel viel Vertrauen verspielt. Die Regierung hat vorgemacht, dass sie nicht die Probleme der Menschen löst, sondern selber zum Problem geworden ist.
Hat der Druck der CSU genutzt, wird sie jetzt als Held in der Asylfrage dastehen?
Das Agieren der CSU war einfach nur peinlich. Am Ende haben alle verloren: Herr Seehofer und die CSU, Frau Merkel, die SPD, das Ansehen Deutschlands, die EU und vor allem die Flüchtlinge, auf deren Rücken das alles ausgetragen wurde.
Haben Sie denn Hoffnung, dass noch eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage erreicht werden kann?
Dazu braucht es ein Verständnis auf die gemeinsamen Werte. Und daran wird gerade von vielen gesägt. Europa muss für sichere Fluchtwege sorgen und eine faire Verteilung der Geflüchteten schaffen. Es braucht eine Rückkehr zu Humanität und Rechtsstaatlichkeit und gemeinsamer Soli- darität. Ein einheitliches europäisches Asylsystem mit einer EUAsylbehörde, die gemeinsam mit den Mitgliedstaaten für eine schnelle Registrierung, eine humane Erstunterbringung und eine anschließende, schnelle und faire Verteilung sorgt und die die gemeinsamen europäischen Asylregeln gegenüber allen Mitgliedstaaten durchsetzt, ist überfällig. Die EU sollte Kommunen und Regionen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten direkt mit einem kommunalen Integrationsfonds unterstützen.
Was ist mit der Fluchtursachenbekämpfung?
Die ist ganz entscheidend. Es ist wichtig, dass man sich endlich darum kümmert. Während von der Bekämpfung von Fluchtursachen geredet wird, werden Flüchtlinge bekämpft. Dadurch gibt es aber keinen einzigen Flüchtling weniger auf der Welt, sie werden nur fern gehalten. Währenddessen schafft die Bundesregierung Tag für Tag neue Fluchtursachen: Weiterhin exportieren wir Waffen in Länder wie Saudi-Arabien. Unsere hochsubventionierten Hühnchenreste überschwemmen die afrikanischen Märkte und zerstören den afrikanischen Kleinbauern die Lebensgrundlage. Die große Fluchtbewegung 2015 wurde dadurch verstärkt, weil dem World Food Programm das Geld ausging und man Flüchtlinge auf halbe Ration setzen musste. Und schon wieder droht dem UNHCR das Geld auszugehen, da geht es um eine halbe Milliarde Euro. Selbst Volker Kauder hat darauf hingewiesen: Die reichen europäischen Staaten müssen jetzt zahlen. Doch die Bundesregierung tut nichts dagegen, stattdessen verlieren sie sich in unsäglichen Debatten über Grenzschließungen.
Die USA haben ein Zuwanderungsrecht und trotzdem die hohen Zäune nach Mexiko.
Und zeigen damit ein unmenschliches Gesicht. Neben einem vernünftigen Einwanderungsgesetz, das es schon längst geben könnte, muss Europa endlich eine Antwort auf das Sterben im Mittelmeer finden. Europa sollte für sichere Fluchtwege sorgen. Damit Menschen nicht den Tod im Mittelmeer riskieren müssen, braucht es verlässliche Aufnahmekontingente, etwa über das sogenannte Resettlement-Programm des UNHCR oder über humanitäre Visa.
Halten Sie es für richtig, dass die Flüchtlingsfrage seit Wochen höchste Priorität hat?
Die CSU macht Politik an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei. Die Menschen treiben ganz andere Themen um. Das zeigen die aktuellen Umfragen glasklar.
Welche Probleme werden denn am meisten vernachlässigt?
Ganz dick auf die Tagesordnung müsste die Wohnungsnot in größeren und kleineren Städten stehen. Das Baugeld hilft maximal Leuten mit gutem Einkommen, Leute die sich kein Eigentum leisten können, lässt diese Regierung im Regen stehen. Die Pflege gehört ganz oben auf die politische Agenda. Auch die Frage der Klimakrise. Wenn man sich derzeit die Ernteschäden anschaut, dann entspricht das doch genau den Prognosen. Die Böden werden trockener, es gibt einzelne Starkregen. Das Risiko für die Landwirtschaft steigt. Wir müssen unsere Anbausysteme an diese Entwicklung anpassen. Der Ökolandbau muss Vorbild sein. Humusaufbau, gerade auf leichten Böden steigert die Wasserhaltefähigkeit und verbessert die Bodenstruktur und kann bei Trockenheit Reserven schaffen. Und natürlich sollte sich die Bundesregierung um die Stabilität der Eurozone kümmern. Ich habe aber Zweifel, dass sie dazu Willens und in der Lage ist.
Haben Sie den Eindruck, dass jetzt in der Sommerpause etwas geschieht?
Man fragt sich doch, was die Regierung bislang gemacht hat. Ich erwarte von der Regierung, dass sie spätestens nach der Sommerpause die Probleme angeht. Wir haben eine Bundesregierung, die immer nur Geschichten erzählt. Sie erzählen uns seit Jahren, sie machen was für Breitbandausbau. Dann haben wir nachgefragt, und von den 3,5 Milliarden sind bis jetzt nur 3 Millionen in Bauprojekte umgesetzt worden. Von dem Dieselfonds für Bus und Bahnen, der helfen soll, Städte sauberer zu machen, ist noch gar nichts abgeflossen. Es ist irre, wie diese Regierung agiert.