VW muss Bänder tageweise stoppen
Probleme auch bei anderen Autobauern durch neuen Abgastest-Standard
● WOLFSBURG/BERLIN (dpa) - Bei Volkswagen wird wegen der neuen Regeln für Abgastests die Durststrecke durch tausendfache Nachprüfungen wohl deutlich länger dauern als zunächst gedacht. Über 200 Modellvarianten müssen bei VW geprüft und zugelassen werden, tageweise stoppen die Bänder. Auch andere Autobauer ringen mit der komplexen Umstellung.
„Dieses Thema wird uns einige Monate beschäftigen, bis wir in den Werken wieder zu einer normalen Fahrweise kommen“, kündigte Vorstandschef Herbert Diess in einem Brief an die Mitarbeiter an. Auch bei anderen Autobauern müssen ganze Modellreihen vorübergehend aus dem Programm genommen werden.
Am VW-Stammsitz Wolfsburg hält der weltgrößte Autokonzern nach den am Montag beginnenden Werksferien tageweise die Bänder an. Grund: Er kommt mit der Zertifizierung verschiedener Varianten nicht hinterher. Im September greift der für Neuwagen verbindliche Abgastest-Standard WLTP. „Die Kolleginnen und Kollegen in der Technischen Entwicklung und der Produktion arbeiten mit Hochdruck daran, die Auswirkungen im Rahmen zu halten“, hieß es in dem Schreiben von Diess.
Auch Betriebsratschef Bernd Osterloh wandte sich an die Belegschaft: „Nach dem Sommer gehen wir in eine Zeit der Ungewissheit.“Bei den geplanten Schließtagen in der Produktion habe man die Lasten der Mitarbeiter gegen den Widerstand der Firmenleitung fair verteilen können. „Aber absehbar ist leider auch, dass uns die WLTP-Probleme über das dritte Quartal hinaus begleiten werden“, schrieb Osterloh.
Eine Ursache für die benötigte lange Zeitspanne sei auch, dass der Abgasskandal nach wie vor viele Kräfte binde. Der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“sagte Osterloh: „Durch die Dieselaffäre haben wir die Kapazitäten der Kolleginnen und Kollegen zunächst natürlich sehr stark auf die Bewältigung der Software-Updates ausgerichtet.“
Auch Auswirkungen bei BMW
Auch bei BMW hat die Einführung von WLTP Folgen. Der Rivale aus München hatte bereits im März angekündigt, die Fertigung mehrerer Benzinermodelle für den europäischen Markt zu stoppen, um sie für die neuen Verbrauchsmessungen fit zu machen. Der 7er werde als Benziner in Europa sogar ein Jahr lang eingestellt. Ab September 2019 werden dann zudem realitätsnahe StraßenAbgastests (RDE) Pflicht. Sorgen bereitet der Branche auch der Zollstreit zwischen den USA und der EU. „Allein die diskutierten amerikanischen Schutzzölle könnten für die deutschen Hersteller Milliardeneinbußen zur Folge haben“, warnte Diess.
Osterloh verwies zudem auf vermutlich noch härtere Regeln für den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2). Die EU will die CO2-Emissionen von Autos in der Zeit nach 2021 weiter reduzieren. „Nicht wenige der führenden Politiker dringen dabei auf schärfere Bestimmungen, die die Automobilindustrie und ihre Arbeitsplätze gefährden“, schrieb er. Arbeitnehmer seien zwar für Klimaschutz. „Aber wir verlieren dabei die Arbeitsplätze nicht aus den Augen und werden uns klar zu unverantwortlichen Forderungen positionieren.“Die Autobauer haben bereits Probleme, bis 2021 den dann geltenden Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer im Schnitt der verkauften Neuwagen zu schaffen. Reißen sie die Vorgaben, drohen hohe Strafen. Die Vorschläge der EU-Kommission sehen vor, dass der CO2-Ausstoß von neuen Pkw 2030 noch einmal 30 Prozent niedriger liegen soll als 2021.
Eine Absenkung auf 50 oder 75 Prozent sei unmöglich, warnte Osterloh: „Wenn das im Europäischen Parlament so beschlossen wird, dann können wir das Autobauen in Deutschland vergessen. Das würde den Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen bedeuten.“Sein Porsche-Kollege Uwe Hück sagte der „Automobilwoche“: „Jetzt noch eine Schippe drauf zu legen, ist frei von jeglichem Sinn für die Realität.“
Politiker fordern Fonds
Die Debatte um Nachrüstungen an der Abgas-Hardware alter Dieselautos wird derweil weiter befeuert. Nachdem sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und mehrere Landesminister dafür ausgesprochen hatten, bringt nun die FDP einen Fonds ins Gespräch. „Wo betrogen wurde, muss die Industrie zu 100 Prozent die Kosten einer HardwareNachrüstung tragen“, heißt es in einem Positionspapier der Bundestagsfraktion der Liberalen. Für die Finanzierung bei anderen Dieseln könnte – ähnlich wie bei der Förderung von Rußpartikelfiltern – ein Fonds kommen, an dem sich dann auch die Industrie beteiligen sollte.