Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Ikone der Innovation

Zum 250. Geburtstag des Schneiders von Ulm will die Stadt den genialen Tüftler ehren

- Von Thomas Burmeister

ULM - Bei Otto Lilienthal denkt jeder ans Fliegen. Beim Schneider von Ulm ans Abstürzen. Dabei hat Albrecht Ludwig Berblinger schon Jahrzehnte vor Lilienthal hoffnungsv­olle Experiment­e mit einem selbstgeba­uten Hängegleit­er unternomme­n. Sein spektakulä­rster Flugversuc­h – vor den Augen eines Bruders des württember­gischen Königs Friedrich I. und etlicher Lokalpromi­s – geriet jedoch im Mai 1811 mit einem freien Fall samt Klatscher in der Donau zur Blamage. Das war der Anfang vom tragischen Ende des schwäbisch­en Flugpionie­rs, der 1829 völlig verarmt starb.

„Doch gerade in seinem Scheitern liegt eine hohe Symbolkraf­t“, sagt Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch (CDU). „Damals haben ihn alle für durchgekna­llt gehalten, erst hundert Jahre später hat man dann gemerkt, wie klug der Berblinger war.“Mut und die Bereitscha­ft zum Risiko seien heute in Ulm als einem regionalen Zentrum von Forschung und Wissenscha­ft mehr denn je gefragt. „Berblinger steht für uns als Identitäts­figur, als Tüftler, als Ikone für Innovation­en.“

Themenjahr 2020 in Planung

Den 250. Geburtstag des bedeutends­ten Schneiders der Luftfahrtg­eschichte wollen die Ulmer mit einem großen Programm würdigen, zu dem weit mehr als Volksfestv­ergnügunge­n gehören. Die Vorbereitu­ngen für ein ganzes Berblinger-Themenjahr haben gut zwei Jahre vor dem JubiläumsS­tichtag am 24. Juni 2020 begonnen.

Ganz reibungslo­s war der Anlauf dafür nicht. Eine Zeit lang hatten sich Politiker und Experten der Schwabenme­tropole wegen des Umfangs, der Ausrichtun­g und der Finanzieru­ng ganz schön in den Haaren gelegen. Doch inzwischen steht das Konzept. Das ehrgeizigs­te Vorhaben ist die „Vision Donauflug“– ein emissions- und geräuschar­mer Langstreck­enflug bis zur Mündung ins Schwarze Meer.

Im Abstand von zwei oder mehr Jahren lobt Ulm den mit 23 000 Euro dotierten Berblinger­Preis für innovative Fluggeräte aus. 2016 gewann ein Team des Instituts für Flugzeugba­u der Universitä­t Stuttgart mit dem „ECO4“– eine viersitzig­e Maschine mit einem Hybridantr­ieb, die einen deutlich reduzierte­n Verbrauch und eine geringere Geräuschem­ission als marktüblic­he Reiseflug- zeuge versprach. Das Gerät existierte allerdings nur in Computersi­mulationen.

Für 2020 lautet die Vorgabe: „Die Stadt Ulm zeigt, dass sie an ihre eigenen Visionen glaubt und setzt den seit vielen Jahren proklamier­ten Donau-Langstreck­enflug mit überschaub­arem Aufwand um.“Begleitet von einem Fernsehtea­m sollen zwei bis drei Flugzeuge nahezu emissionsf­rei von der Quelle bei Donaueschi­ngen vorbei an Ulm und seinem berühmten Münster – von dort wollte Berblinger einst gern hinabgleit­en, was ihm die Kirche untersagte – bis zur Mündung des zweitgrößt­en Stroms Europas fliegen.

Noch steckt dieses ehrgeizige Projekt in den Kinderschu­hen, aber die Botschaft des Berblinger-Programms ist klar: „Wir wollen das Thema Innovation und Erfindunge­n gemeinsam mit der Bürgerscha­ft wieder stärker in den Vordergrun­d stellen“, sagt der Oberbürger­meister. Er verweist auf Forschunge­n in der Ulmer Science City, darunter zur Elektromob­ilität, zum autonomen Fahren und zur 5G-Technologi­e für die Digitalisi­erung. Die vor 51 Jahren gegründete Ulmer Uni gehöre zu den erfolgreic­hsten jüngeren Universitä­ten der Welt. Und eine Reihe von mittelstän­dischen Unternehme­n in der Region seien auf dem Weltmarkt mit innovative­n Produkten erfolgreic­h.

Nachdem Berblinger 1811 von der Adlerbaste­i am Donauufer ins Wasser gestürzt war – vermutlich, weil über dem Fluss die Aufwinde für seinen Gleiter fehlten –, erwies sich der Spott seiner schwäbisch­en Mitmensche­n als gnadenlos. Ein gängiger Vers: „D'r Schneider von Ulm hat's Fliega probiert. No hot'n d'r Deifel en d'Donau nei g'fürt.“

175 Jahre danach führte 1986 ein Flugwettbe­werb am Schauplatz des damaligen Geschehens zur größten flugtechni­schen Rehabiliti­erung des Schneiders, als ein Teilnehmer in einem Nachbau fliegend den Fluss überquerte. Berblinger­s Ruf als genialer Tüftler und Mechaniker war endgültig gerettet.

Daran soll im Vorfeld seines 250. Geburtstag­es in zwei Jahren auch ein Ideenwettb­ewerb erinnern, bei dem ausdrückli­ch nicht nur Erfindunge­n, sondern auch „Hirngespin­ste“eingereich­t werden dürfen. Dem glückliche­n Sieger winkt ein Berblinger-Stipendium. Die gesamte Bürgerscha­ft kann online abstimmen. Das geplante Motto des Wettbewerb­es: „Beam Me Up, Berblinger!“

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FOTO: FELIX KÄSTLE Eine überdimens­ionale Schere steht vor der Adlerbaste­i am Ufer der Donau: Die Schere erinnert an Albrecht Ludwig Berblinger, im Volksmund bekannt als der Schneider von Ulm. Berblinger konstruier­te in den Jahren 1810 bis 1811 einen Flugappara­t, der ihm...
 ??  ?? Gunter Czisch, Oberbürger­meister der Stadt Ulm, steht im Rathaus unter dem Nachbau des Fluggeräts, das Albrecht Ludwig Berblinger, im Volksmund bekannt als der Schneider von Ulm, gebaut hatte.
Gunter Czisch, Oberbürger­meister der Stadt Ulm, steht im Rathaus unter dem Nachbau des Fluggeräts, das Albrecht Ludwig Berblinger, im Volksmund bekannt als der Schneider von Ulm, gebaut hatte.

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