Eine Ikone der Innovation
Zum 250. Geburtstag des Schneiders von Ulm will die Stadt den genialen Tüftler ehren
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ULM - Bei Otto Lilienthal denkt jeder ans Fliegen. Beim Schneider von Ulm ans Abstürzen. Dabei hat Albrecht Ludwig Berblinger schon Jahrzehnte vor Lilienthal hoffnungsvolle Experimente mit einem selbstgebauten Hängegleiter unternommen. Sein spektakulärster Flugversuch – vor den Augen eines Bruders des württembergischen Königs Friedrich I. und etlicher Lokalpromis – geriet jedoch im Mai 1811 mit einem freien Fall samt Klatscher in der Donau zur Blamage. Das war der Anfang vom tragischen Ende des schwäbischen Flugpioniers, der 1829 völlig verarmt starb.
„Doch gerade in seinem Scheitern liegt eine hohe Symbolkraft“, sagt Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU). „Damals haben ihn alle für durchgeknallt gehalten, erst hundert Jahre später hat man dann gemerkt, wie klug der Berblinger war.“Mut und die Bereitschaft zum Risiko seien heute in Ulm als einem regionalen Zentrum von Forschung und Wissenschaft mehr denn je gefragt. „Berblinger steht für uns als Identitätsfigur, als Tüftler, als Ikone für Innovationen.“
Themenjahr 2020 in Planung
Den 250. Geburtstag des bedeutendsten Schneiders der Luftfahrtgeschichte wollen die Ulmer mit einem großen Programm würdigen, zu dem weit mehr als Volksfestvergnügungen gehören. Die Vorbereitungen für ein ganzes Berblinger-Themenjahr haben gut zwei Jahre vor dem JubiläumsStichtag am 24. Juni 2020 begonnen.
Ganz reibungslos war der Anlauf dafür nicht. Eine Zeit lang hatten sich Politiker und Experten der Schwabenmetropole wegen des Umfangs, der Ausrichtung und der Finanzierung ganz schön in den Haaren gelegen. Doch inzwischen steht das Konzept. Das ehrgeizigste Vorhaben ist die „Vision Donauflug“– ein emissions- und geräuscharmer Langstreckenflug bis zur Mündung ins Schwarze Meer.
Im Abstand von zwei oder mehr Jahren lobt Ulm den mit 23 000 Euro dotierten BerblingerPreis für innovative Fluggeräte aus. 2016 gewann ein Team des Instituts für Flugzeugbau der Universität Stuttgart mit dem „ECO4“– eine viersitzige Maschine mit einem Hybridantrieb, die einen deutlich reduzierten Verbrauch und eine geringere Geräuschemission als marktübliche Reiseflug- zeuge versprach. Das Gerät existierte allerdings nur in Computersimulationen.
Für 2020 lautet die Vorgabe: „Die Stadt Ulm zeigt, dass sie an ihre eigenen Visionen glaubt und setzt den seit vielen Jahren proklamierten Donau-Langstreckenflug mit überschaubarem Aufwand um.“Begleitet von einem Fernsehteam sollen zwei bis drei Flugzeuge nahezu emissionsfrei von der Quelle bei Donaueschingen vorbei an Ulm und seinem berühmten Münster – von dort wollte Berblinger einst gern hinabgleiten, was ihm die Kirche untersagte – bis zur Mündung des zweitgrößten Stroms Europas fliegen.
Noch steckt dieses ehrgeizige Projekt in den Kinderschuhen, aber die Botschaft des Berblinger-Programms ist klar: „Wir wollen das Thema Innovation und Erfindungen gemeinsam mit der Bürgerschaft wieder stärker in den Vordergrund stellen“, sagt der Oberbürgermeister. Er verweist auf Forschungen in der Ulmer Science City, darunter zur Elektromobilität, zum autonomen Fahren und zur 5G-Technologie für die Digitalisierung. Die vor 51 Jahren gegründete Ulmer Uni gehöre zu den erfolgreichsten jüngeren Universitäten der Welt. Und eine Reihe von mittelständischen Unternehmen in der Region seien auf dem Weltmarkt mit innovativen Produkten erfolgreich.
Nachdem Berblinger 1811 von der Adlerbastei am Donauufer ins Wasser gestürzt war – vermutlich, weil über dem Fluss die Aufwinde für seinen Gleiter fehlten –, erwies sich der Spott seiner schwäbischen Mitmenschen als gnadenlos. Ein gängiger Vers: „D'r Schneider von Ulm hat's Fliega probiert. No hot'n d'r Deifel en d'Donau nei g'fürt.“
175 Jahre danach führte 1986 ein Flugwettbewerb am Schauplatz des damaligen Geschehens zur größten flugtechnischen Rehabilitierung des Schneiders, als ein Teilnehmer in einem Nachbau fliegend den Fluss überquerte. Berblingers Ruf als genialer Tüftler und Mechaniker war endgültig gerettet.
Daran soll im Vorfeld seines 250. Geburtstages in zwei Jahren auch ein Ideenwettbewerb erinnern, bei dem ausdrücklich nicht nur Erfindungen, sondern auch „Hirngespinste“eingereicht werden dürfen. Dem glücklichen Sieger winkt ein Berblinger-Stipendium. Die gesamte Bürgerschaft kann online abstimmen. Das geplante Motto des Wettbewerbes: „Beam Me Up, Berblinger!“