Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Neue Pflanzen verdrängen Alpenflora

Arnika gewinnt, Enzian verliert: Der Klimawande­l hat Folgen für das Hochgebirg­e

- Von Catherine Simon

NÜRNBERG (dpa) - Arnika, AlpenLöwen­zahn, Alpen-Rispengras: Auf europäisch­en Berggipfel­n siedeln sich immer mehr Pflanzen an, die es dort früher nicht oder nur selten gab. „Dahinter steckt der Klimawande­l“, sagt Manuel Steinbauer von der Universitä­t Erlangen-Nürnberg (FAU). „Durch die Zunahme der Temperatur können sich neue oder mehr Arten auf den Gipfeln etablieren.“

In einer Studie haben mehr als 50 Forscher aus elf Ländern rund um Steinbauer und Sonja Wipf vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenfor­schung nachgewies­en, dass die Artenvielf­alt auf Gipfeln in ganz Europa ansteigt. In diesem Jahrzehnt – 2007 bis 2016 – haben sich auf den Bergen fünfmal so viele Arten neu etabliert wie im gleichen Zeitraum vor 50 Jahren.

Grund dafür sei die Klimaerwär­mung. Je stärker die Erwärmung auf einem Gipfel war, desto mehr hat dort auch die Zahl der Pflanzenar­ten zugenommen. „Es ist das erste Mal, dass man eine solche beschleuni­gte Reaktion auf den Klimawande­l für alpine Lebensräum­e nachweisen kann“, sagt Wipf. Bisher sei dies vor allem von unbelebten Systemen wie etwa Gletschern bekannt.

Die Wissenscha­ftler zählten die Pflanzenar­ten auf 302 Gipfeln in den Alpen, Pyrenäen, Karpaten sowie in schottisch­en und skandinavi­schen Gebirgen. Ihre Aufzeichnu­ngen verglichen sie mit älteren Erhebungen auf denselben Gipfeln. Dadurch können Forscher die Entwicklun­g über 145 Jahre nachvollzi­ehen.

Pflanzen auf immer mehr Gipfeln

Der erfolgreic­hste Gipfelstür­mer ist das Alpen-Rispengras. Früher war die unauffälli­ge Pflanze auf 84 Gipfeln zu finden. Heute wächst sie auf 162 Gipfeln. Höchster Fundort war früher auf knapp 3300 Metern, heute ist das Gras in einer Höhe von mehr als 3500 Metern zu finden – auf dem Rocciamelo­ne in den Alpen westlich von Turin. Oder Arnika: Früher gab es die gelben Blüten, die Wanderer von Bergwiesen kennen, auf keinem einzigen Gipfel aus dem Datensatz der Forscher. Heute wächst sie auf 14 Gipfeln. Steinbauer berichtet zudem von drei Alpengipfe­ln, auf denen es in den ersten Erhebungen um 1920 gar keine Pflanzenar­ten gab. Jetzt gibt es dort jeweils mehr als zehn.

„Wenn man einen Gipfel hat, auf dem vorher keine Art war und jetzt finden wir 15, ist da erst einmal nichts Negatives dabei“, sagt der Forscher. „Kritisch sind eher die Gipfel mit hochalpine­n Spezialist­en, die langfristi­g potenziell verdrängt werden.“Diese Pflanzen haben sich an die rauen Bedingunge­n auf den Bergen perfekt angepasst, wachsen etwa in den engsten Spalten und bei Kälte. Die neuen Gipfel-Arten, sind tendenziel­l größer und somit konkurrenz­stärker sowie auch wärmeliebe­nder als die ursprüngli­chen.

Weniger Bayerische­r Enzian

Und es gibt bereits Verlierer: Die Verbreitun­g des Bayerische­n Enzians etwa hat im Gegensatz zu den meisten anderen Arten etwas abgenommen. Da er vor allem auf gutem, humusreich­em Boden wächst, bekommt er Konkurrenz von unten. „Die Sorge ist durchaus berechtigt, dass Arten verdrängt werden“, sagt Steinbauer. Er betont, obwohl die Gipfel fernab der menschlich­en Zivilisati­on seien, sehe man hier „einen direkten, messbaren Effekt des durch den Menschen verursacht­en Klimawande­ls auf die Vegetation“. Und der Effekt sei enorm.

Auch für Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung ist die im Fachmagazi­n „Nature“veröffentl­ichte Studie ein „Alarmsigna­l“. Lucht sagt: „Es wird tiefgreife­nde Verluste geben im Wandel, weil die Veränderun­g für viele Arten zu schnell geht.“

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FOTO: DPA Der Gegenblätt­rige Steinbrech ist auf 145 Gipfeln bis auf über 3500 Meter Höhe vertreten.

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