Schwäbische Zeitung (Ehingen)

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Karina Canellakis dirigiert Sinfonien von Larcher und Beethoven bei den Bregenzer Festspiele­n

- Von Werner M. Grimmel

BREGENZ - Klingt Ludwig van Beethovens „Schicksals­sinfonie“anders, wenn eine Frau dirigiert? Die Frage erübrigte sich beim umjubelten dritten Orchesterk­onzert der Bregenzer Festspiele mit den Wiener Symphonike­rn unter der Leitung der jungen amerikanis­chen Dirigentin Karina Canellakis. Die „Handschrif­t“einer musikalisc­hen Interpreta­tion fällt nicht prinzipiel­l geschlechs­tsspezifis­ch konträr aus, sondern hängt von individuel­len Vorstellun­gen und zu Gebote stehender Profession­alität bei ihrer Umsetzung ab.

Der Abend begann mit Thomas Larchers großformat­iger Kompositio­n „Alle Tage“, einer „Symphonie für Bariton und Orchester“mit Texten von Ingeborg Bachmann. Larcher wurde 1963 in Innsbruck geboren, studierte in Wien und hat sich zunächst als Pianist einen Namen gemacht. 1994 gründete er das Tiroler Festival „Klangspure­n“. In der Folgezeit trat er zunehmend auch als Komponist in Erscheinun­g. Vor wenigen Tagen erhielt er den Ernst-KrenekPrei­s der Stadt Wien. Als „Composer in Residence“der Bregenzer Festspiele sieht er der Uraufführu­ng seiner ersten Oper „Das Jagdgewehr“entgegen.

Flankieren­d bieten weitere Werke Larchers ein kleines Komponiste­nporträt. Die Aufführung seines „Padmore Cycle“entfiel leider, da der renommiert­e britische Tenor Mark Padmore absagte. Erfreulich­erweise war die österreich­ische Erstauffüh­rung der Bachmann-Vertonung „Alle Tage“davon nicht betroffen. In Bregenz meisterte nun der junge Bariton Benjamin Appl die anspruchsv­olle Partie mit klangvolle­r Stimme und vorbildlic­her verständli­cher Deklamatio­n.

Farbig und transparen­t

Auf eine Orchestere­inleitung folgen drei Vertonunge­n von Gedichten aus Bachmanns Zyklus „Anrufung des großen Bären“, die formal die Abfolge der drei ersten Sätze einer klassisch-romantisch­en Sinfonie bedienen. Als langsames Finale schließen sich zwei ausladende Instrument­alsätze an. Der Epilog basiert auf Bachmanns Gedicht „Alle Tage“(1953), das Krieg als Dauerzusta­nd beklagt. Canellakis brachte Larchers farbig instrument­ierte Partitur, die auch den Einsatz von Akkordeon, Celesta, präpariert­em Klavier, Harfe, Zymbal, Vibraphon und Steel Drums vorsieht, eindrucksv­oll zur Geltung.

Klang bei diesem neu einstudier­ten Werk manches noch in der Koordinati­on unsicher, so bot sich nach der Pause bei Beethoven ein brillantes Hörbild. Canellakis’ ebenso feurige wie makellos transparen­te, kontrastre­iche Interpreta­tion konnte auch von der Vorarbeit profitiere­n, die Philippe Jordan als Chefdirige­nt des Bregenzer Hausorches­ters in letzter Zeit mit seinem Zyklus der neun Beethoven-Sinfonien geleistet hat. Gleichwohl gewann die in New York geborene, am Curtis Institute und an der Julliard School ausgebilde­te Dirigentin der Fünften eine ganz eigene Seite ab.

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