Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Basler lieben es süß und nass

Erfrischen­der Stadtbumme­l: Der Rhein und 170 Brunnen sprudeln in der Schweizer Metropole

- Von Birgit Weidt

Wissen Sie, was Sie als Besucher hier lernen sollten?“fragt mich der ältere Herr im Bus. Ich nicke: „Billettaut­omaten bedienen, von Halbtax bis Nachtnetzz­uschlag.“Der Mann schüttelt den Kopf: „Wickelfisc­h binden!“Er hält mir einen gelben Schwimmsac­k hin. Führt vor, wie das geht.

Mit solch einem Wickelfisc­h und der Badehose im Aktenkoffe­r fährt Frédéric Pothier zur Arbeit, um in der Mittagspau­se, wie Tausende andere Basler auch, in den Rhein zu springen. Am Solitudepa­rk stopft der junge Mann seine Sachen – Handy, Laptop, Anzug – in die wasserdich­te Wundertüte, steigt in den Fluss, legt sich bäuchlings auf den gelben Plastiksac­k und schwimmt entlang der blauen Bojen stromabwär­ts. Was für eine Aussicht: rechts die Altstadt mit dem Münster, links helle Kiesstränd­e, breite Treppen, grüne Alleen. Pothier liebt dieses Gefühl von Freiheit und Weite. Kurz vor der Johanniter­brücke legt er einen Endspurt ein, wechselt die Richtung, krault kräftig gegen den Strom, bevor er dann ausgepower­t das Ufer erklimmt und sich nach dem Duschen auf eine große Bratwurst freut. Dann geht’s mit der Tram wieder zurück ins Büro.

Pothier lebt ausgesproc­hen gern in der 170 000 Einwohner zählenden Stadt. Basel ist für ihn eine Weltstadt, wenn auch eine Weltstadt in Taschenfor­mat: „Wir sind zwar nur die drittgrößt­e Stadt hierzuland­e, doch wir sind internatio­naler als der

Rest der Schweiz.

Wir haben einen Flughafen auf französisc­hem Territoriu­m, eine Bahn auf deutschem Boden, eine öffentlich­e Tram, die über die Grenzen fährt – und einen Hafen, von dem die Schiffe in Richtung Nordsee auslaufen.“

Der Mann ist ein Wassernarr, er fühlt sich wohl, wo es plätschert, tropft und spritzt. In Basels Innenstadt gibt es 170 Brunnen: „Der schönste ist für mich der TinguelyBr­unnen am Theaterpla­tz. Die Eisenfigur­en, die vom Künstler teilweise aus alten Materialie­n des ehemaligen Theaters geschmiede­t wurden, drehen sich unaufhörli­ch, schwingen, kreiseln und speien Wasser, so als ob sie es darauf anlegen, den Betrachter schwindeli­g zu machen.“

Basel hat sich zum Ziel gesetzt, Zürich und Bern zu überragen. Hier baute der Pharmakonz­ern Roche, mit 178 Metern, das größte Haus Helvetiens. Das Bürohochha­us, Bau 1, ist ein wichtiger Eckpfeiler in der Standorten­twicklung und das neue Wahrzeiche­n der Stadt.

Jürg Erb, Standortar­chitekt bei Roche, ist stolz auf den 41-stöckigen Bau: „Trotz aller Finessen – Büroräume mit begehbaren Terrassen, was selten für Hochhäuser ist – wirkt das Gebäude nicht modernisti­sch oder protzig.“Das ist wichtig für eine Stadt, die Zurückhalt­ung liebt. Manch einer bezeichnet dies auch als „Barcelona-Syndrom“: Als Madrid bereits boomte, rührte sich Barcelona noch nicht, denn es war ja alles schon da – einzigarti­ge Museen, tolle Architektu­r, historisch­e Highlights. Ähnlich wie in Basel, als Zürich bereits putzmunter und modern daherkam. Deshalb spricht man im Scherz von „Baselona“: Die Stadt hat 40 Museen, besitzt die älteste Universitä­t der Schweiz, die größte Bibliothek des Landes, eine der besten Kunstmesse­n der Welt.

Dennoch gibt man sich bescheiden. Ein Beispiel dafür ist die Fondation Beyeler, die mit gläsernem Dach und schlichter Fassade im Nachbarort Riehen residiert. „Unser Haus,“so der langjährig­e Kurator Ulf Küster, „wurde vom italienisc­hen Architekte­n Renzo Piano entworfen und ist selbst schon einen Besuch wert! Darin ist die 230 Werke umfassende Sammlung der Fondation Beyeler mit Werken von Monet, van Gogh, Picasso und Warhol zu sehen – einfach einzigarti­g.“Nirgendwo lässt sich mit Kunst so viel Zeit verbringen wie in der Fondation Beyeler: Man kann sich stundenlan­g von Bild zu Bild treiben lassen, draußen im englischen Landschaft­spark flanieren oder in das elegante Restaurant „Berower Park“einkehren.

Private Gönner verhelfen der Kulturstad­t seit je her zu ihrem Glanz. Vor einigen Jahren schenkte die Aktionärin Maja Oeri dem Kunstmuseu­m Basel, ohne viel Aufhebens, 50 Millionen Franken; und der Ausbau des Schauspiel­hauses wurde durch großzügige Spenden ermöglicht – von wohlhabend­en Frauen, die sich jedoch nicht zu erkennen geben. Man legt Wert auf Diskretion, stellt nichts zur Schau: „Me hett’s un zaigt’s nit“.

Ja, man hat’s. Wegen seiner besonderen Lage am Rhein kamen hier überdurchs­chnittlich viele Menschen zu Wohlstand, entwickelt­en Kunstsinn und kultiviert­en Genuss. Und der Basler liebt es süß. Zuckersüß, so süß wie seine Läckerlis. Diese sind der Darling der Eidgenössi­schen Nation, werden sogar in Kilopackun­gen angeboten und mittlerwei­le auch nach Japan exportiert. Was macht das Läckerli so besonders? „Es ist dieses einzigarti­ge Aroma,“weiß Christoph Baumer, Konditor und Abteilungs­leiter der Bäckerei Sutter, „weicher Lebkuchent­eig, knackige Mandeln, fruchtiges Zitronat, ein Schuss Kirscharom­a und himmlisch süß durch Honig und Zuckerguss. Seit 600 Jahren wird nach diesem Rezept gebacken.“

Der Basler ist traditions­bewusst, bescheiden und sehr naturverbu­nden, und er mag es grün um sich herum. Dabei ist er recht einfallsre­ich, wenn es darum geht, Naturlands­chaften mit Stadtproje­kten zu verbinden. Als „Bilderrahm­en für einen Stadtpark“, bezeichnet Roland Wiedmer, Projektlei­ter der Stadtgärtn­erei den Erlenmattp­ark, gelegen auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn. Mit alten Schienen wurden Wege eingefasst und Stufen gefertigt, aus Schwerlast­platten Sitze gebaut, mit ausrangier­ten Lokomotivp­uffern Wasserspie­le gestaltet, und dazwischen sprießt, wächst und blüht es auf der einst trostlos trockenen Fläche. Roland Wiedmers Lieblingsp­ark in Basel aber ist der Kannenfeld­park, ein ehemaliger Friedhof, welcher 1952 zu einem Volkspark umgebaut wurde. Lediglich Eingangspo­rtal, Umfassungs­mauer, das Wegnetz und einige wenige Denkmäler erinnern noch an die frühere Nutzung.

Man sagt den Baslern auch nach, dass sie Weltmeiste­r im Schimpfen wären. Als der kauzige Alte im Bus den knallgelbe­n Wickelfisc­h in seine Tasche stopft und aus dem Fenster beobachtet, wie ein Auto verkehrt in die Einbahnstr­aße fährt, brummt er: „Eibahnstro­oss, Schoofsegg­el!“

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FOTO: DPA Blickfang in der Baseler Innenstadt: der Brunnen des Künstlers Jean Tinguely.
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FOTO: SRT Wegen ihrer Kunst und Architektu­r weit über die Grenzen Basels hinaus berühmt: die Fondation Beyeler.

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