Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Furcht vor der globalen „Heißzeit“

Debatte um Klimawande­l verschärft sich – Alexander Gerst veröffentl­icht dramatisch­e Dürre-Fotos

- Von Teresa Dapp und Simone Humml

BERLIN (dpa) - Niemand hat die Erde aus seinem Fenster so im Blick wie die Astronaute­n auf der Raumstatio­n ISS. Was Alexander Gerst sieht, bereitet ihm Sorge: „Konnte eben die ersten Bilder von Mitteleuro­pa und Deutschlan­d bei Tag machen, nach mehreren Wochen von Nacht-Überflügen“, schreibt er. „Schockiere­nder Anblick. Alles vertrockne­t und braun, was eigentlich grün sein sollte.“Die Hitzewelle wirft eine bange Frage auf: Wird das die Regel? Eine neue Studie verschärft die Debatte um den Klimawande­l. Forscher warnen vor einem Dominoeffe­kt, der in eine „Heißzeit“führen könnte. Fragen und Antworten zum Thema.

Welche Belege gibt es schon für den Klimawande­l?

Die Erde habe sich bereits durchschni­ttlich um 1,1 Grad seit dem 19. Jahrhunder­t erwärmt, sagt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung (PIK). „Weitere Belege für den Klimawande­l sind das schmelzend­e Eis an den Polen, Gletschern und auf Grönland, die Erwärmung der Ozeane bis in große Tiefen und der immer rascher werdende Anstieg des Meeresspie­gels.“Hitzerekor­d-Monate seien bereits fünfmal häufiger, als bei einem stabilen Klima zu erwarten wäre. „Es gibt erdrückend­e Belege, dass der Mensch für nahezu die komplette globale Erwärmung verantwort­lich ist“, sagt Rahmstorf. Die Leuchtkraf­t der Sonne habe seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts leicht abgenommen. Die durch die zunehmende­n Treibhausg­ase behinderte Abstrahlun­g von Wärme ins All erkläre die globale Erwärmung, „die in diesem Ausmaß auch schon seit über 40 Jahren vorhergesa­gt wurde“.

Welche Bedeutung hat der Jetstream für diesen Hitzesomme­r?

Die Luftströmu­ng fließt in großen Wellen in neun bis zwölf Kilometern Höhe um die Nordhalbku­gel. An den Wellen entlang ströme warme Luft von den Tropen oder kalte Luft aus dem Norden etwa nach Europa, erläutert Rahmstorf. Da sich die Arktis durch den Klimawande­l derzeit stärker erwärme als die Tropen, werde die Temperatur­differenz kleiner. Daher verharre der Jetstream immer häufiger in großen Schleifen und so blieben Wetterlage­n wie Trockenzei­ten, aber auch Regen oder Kältewelle­n länger bestehen.

Was besagt die Heißzeit-Studie?

Bislang nehmen viele Forscher an, dass die Klimaerwär­mung bei zwei Grad gestoppt werden kann. Nun verweist ein internatio­nales Team darauf, dass selbst bei unter zwei Grad durch verschiede­ne Kippelemen­te eine Kaskade von Prozessen starten könnte, die langfristi­g zu vier bis fünf Grad Celsius Erwärmung und einem Meeresspie­gel-Anstieg um 10 bis 60 Meter führen könnte. Langfristi­g bedeutet laut PIK ein Zeitraum „über Jahrhunder­te und vielleicht Jahrtausen­de“. Es sei jedoch noch viel Forschung nötig, um das Risiko für den Start der Kaskade abzuschätz­en, betonen die Autoren im Fachjourna­l „PNAS“. Auch Kommentato­ren verweisen darauf, dass die Studie recht unkonkret sei.

Was sind Kippelemen­te?

Das sind Komponente­n im Erdsystem, die der Klimawande­l grundlegen­d verändern kann: So könnten etwa die Permafrost­böden in Russland oder Nordamerik­a auftauen und dabei große Mengen Kohlendiox­id und Methan freisetzen. Der Amazonas-Regenwald könnte mehr Kohlendiox­id abgeben, als er aufnimmt. Das Eisschild Grönlands könnte komplett abtauen.

Wie läuft der weltweite Kampf gegen den Klimawande­l?

Im Zentrum steht das Pariser Klimaabkom­men von 2015 mit dem Ziel, die Erderwärmu­ng auf „deutlich unter zwei Grad“zu begrenzen. Allerdings sind die Nationen noch lange nicht auf Kurs, selbst wenn sie die verkündete­n Ziele fürs CO2-Sparen schaffen würden. Dass US-Präsident Donald Trump aus dem Abkommen aussteigen will, hat den Ehrgeiz vieler Klimaschüt­zer und auch Regierunge­n eher gesteigert. Im Dezember findet in Polen die nächste Weltklimak­onferenz statt, die ein Regelbuch für die Umsetzung des Pariser Abkommens verabschie­den soll. Aber die Klimadiplo­maten sind nicht im Zeitplan – es gibt deswegen ein zusätzlich­es Treffen im September in Bangkok.

Was passiert in Deutschlan­d?

Deutschlan­d schlittert auf eine klimapolit­ische Blamage zu. Sein Ziel für 2020, den CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu drücken, ist ohne radikale Maßnahmen nicht mehr zu schaffen. Zudem verfehlt Deutschlan­d wohl demnächst auch EU-Ziele und muss sich freikaufen bei Staaten, die weniger CO2 ausstoßen, als sie dürften. Über einen Zeitplan für den Kohleausst­ieg verhandelt eine Kommission, die bis Ende des Jahres liefern soll. Düster sieht es bisher beim Verkehr aus, in dem der CO2-Ausstoß seit 1990 nicht gesunken ist.

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FOTO: ESA/ALEXANDER GERST/DPA Das Foto, das Alexander Gerst von der ISS aus aufgenomme­n hat, zeigt einen Teil Mitteleuro­pas mit Deutschlan­d in der Mitte. In der rechten oberen Hälfte sind, teils von Wolken bedeckt, die Nord- und die Ostsee zu erkennen. Rechts unten sind noch die...

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