Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Rückkehr des Musterknab­en

In Slowenien ist die tiefe Krise überwunden, doch das Misstrauen gegen die Politik bleibt

- Von Rudolf Gruber www.schwäbisch­e.de/sommerseri­e-europa

WIEN - Slowenen reagieren beleidigt, wenn Westeuropä­er sie dem Balkan zuordnen. Sie fühlen sich dem mitteleuro­päischen Kulturkrei­s zugehörig, die deutschspr­achigen und italienisc­hen Nachbarn sind ihnen viel näher als die südslawisc­hen. Die Hauptstadt Ljubljana verströmt venezianis­chen und habsburgis­chen Charme. Die Friedensor­dnungen nach 1918 und 1945 haben die Slowenen wider Willen zu Jugoslawen, also Südslawen, „gemacht“. Erst als der Tito-Staat 1991 im Erbfolgekr­ieg unterging, bekamen sie ihren ersten, eigenen Nationalst­aat.

Slowenien war die jugoslawis­che Teilrepubl­ik mit dem höchsten Lebensstan­dard: Zehn Prozent der Bevölkerun­g erwirtscha­fteten 20 Prozent des Gesamtexpo­rts. Das mitteleuro­päische Leistungse­thos, das ausgeprägt­e nationale Selbstbewu­sstsein, die Neigung zu Ordnung und Disziplin rief bei Südslawen viel Neid und Spott hervor: „Preußen Jugoslawie­ns“nannte man die Slowenen und verübelte ihnen, dass sie bereits Mitte der 1980er-Jahre mit dem Gedanken spielten, Jugoslawie­n zu verlassen. Jahre später übertrafen sie mit ihrer Europa-Euphorie alle Kandidaten­länder der EU-Osterweite­rung: Fast 90 Prozent stimmten bei einem Referendum für den EU-Beitritt, der 2004 mit dem Nato-Beitritt erfolgte. 2007 stieß Slowenien auch zur Eurozone.

Die Folgen der Finanzkris­e 2008 trafen das Land unerwartet und hart. Der Wirtschaft­sboom, den der EUBeitritt ausgelöst hatte, brach jäh ein, die Arbeitslos­igkeit stieg auf 14 Prozent, der gesamte Bankensekt­or ging unter der Last fauler Kredite beinahe pleite. Der einstige Musterknab­e Slowenien hatte sich leichtsinn­ig hoch verschulde­t und galt nach Griechenla­nd als weiterer Kandidat für den EU-Rettungssc­hirm. Doch da regte sich das sprichwört­liche Selbstbewu­sstsein: „Wir brauchen keine Hilfe, wir brauchen mehr Zeit“, meldete die damalige Regierungs­chefin Alenka Bratušek standhaft nach Brüssel.

Die Slowenen verpassten sich ein hartes Sanierungs­paket, allein die Bankenkris­e kostete den Kleinstaat fast sechs Milliarden Euro, rund 13 Prozent der Gesamtwirt­schaftslei­stung. Mittlerwei­le boomt die Ökonomie wieder: Laut dem Wiener Institut für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e werden heuer nahezu fünf Prozent Wachstum erwartet, die Arbeitslos­enquote wird auf knapp sechs Prozent sinken. Rückgrat der Wirtschaft sind die vielen Klein- und Mittelbetr­iebe, die bekannt sind für ihre Flexibilit­ät und Innovation­skraft.

Auch die Europa-Skepsis hält sich weiterhin in Grenzen: Laut einer Umfrage glauben 70 Prozent der Slowenen, dass die Vorteile der EU-Mitgliedsc­haft bei Weitem die Nachteile überwiegen. Das Vertrauen gründet nicht zuletzt auf der Gewissheit, dass 75 Prozent des Handelsver­kehrs in beide Richtungen mit dem EU-Raum abgewickel­t werden, mit Deutschlan­d als dem überlegen stärksten Wirtschaft­spartner.

Ex-Komödiant an der Spitze

Doch die innenpolit­ische Lage bleibt labil, Politikern schlägt massives Misstrauen entgegen. Besonders wütend reagierten die Slowenen auf die sich häufenden Korruption­sfälle, während ihnen Kürzungen im Sozialetat zugemutet wurden. Nach der Juni-Wahl gehört die Macht einem populistis­chen Abenteurer: Dieser Tage wurde der 40-jährige Ex-Komödiant und Quereinste­iger Marjan Šarec zum Ministerpr­äsidenten ernannt. Er führt eine fragile Fünf-Parteien-Koalition ohne eigene Mehrheit an und verlässt sich darauf, dass ihn eine launenhaft­e opposition­elle Linke im Parlament unterstütz­t.

Im Internet finden Sie alle Teile der Europa-Serie:

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