Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Behörden räumen Fehler im Missbrauch­sfall Staufen ein

Jugendamt und Gerichte präsentier­en Ergebnis interner Untersuchu­ngen – Land setzt Kommission zum Kinderschu­tz ein

- Von Katja Korf und dpa

FREIBURG/ STUTTGART - Zu wenig Absprachen und fehlende Kontrollen: Nach dem Missbrauch­sskandal von Staufen haben die zuständige­n Behörden erste Schlüsse aus dem Fall gezogen. Am Donnerstag stellte eine Arbeitsgru­ppe der beteiligte­n Gerichte und des Landratsam­ts Breisgau-Hochschwar­zwald Ergebnisse ihrer internen Untersuchu­ngen vor. Die Verantwort­lichen räumten Fehler ein. Die Landesregi­erung will nun eine „Kommission Kinderschu­tz“einberufen. Sie soll weitere Konsequenz­en aus dem Fall beraten.

Das Opfer – ein heute zehn Jahre alter Junge – war mehr als zwei Jahre lang von seiner Mutter und deren Lebensgefä­hrten vergewalti­gt und an andere Männer verkauft worden. Das Paar ist bereits zu langen Haftstrafe­n verurteilt worden.

Verbote nicht kontrollie­rt

Den Behörden werden in dem Fall schwere Fehler vorgeworfe­n. Die Familie stand zwar unter Beobachtun­g von Gericht und Jugendamt. Der Missbrauch blieb aber trotz Hinweisen verschiede­ner Stellen lange unentdeckt. So wurde beispielsw­eise ein Kontaktver­bot des einschlägi­g vorbestraf­ten Lebensgefä­hrten zu dem Kind von niemandem überwacht. Der Mann lebte viele Monate unter einem Dach mit dem Jungen.

Nicht alle Erkenntnis­möglichkei­ten seien ausgeschöp­ft worden, hieß es in einem am Donnerstag vorgestell­ten Abschlussb­ericht. Informatio­nen seien „nicht frühestmög­lich“weitergege­ben worden. Die Kommunikat­ion zwischen den einzelnen Stellen müsse verbessert, der Anhörung von Kindern vor Gericht noch größere Bedeutung beigemesse­n werden. Verbote, die Gerichte erließen, müssten kontrollie­rt werden – von wem, müsse besser abgestimmt werden.

Zu wenig Personal

Was wie eine Selbstvers­tändlichke­it klingt, ist in der Praxis offenbar oft schwierig. Das hat aus Sicht von Fachleuten mehrere Gründe. Sie bemängeln, dass sowohl Mitarbeite­r von Jugendämte­rn also auch Familienri­chter oft nicht qualifizie­rt für die Aufgaben im Kinderschu­tz seien.

Juristen können sich zwar fortbilden, müssen es aber nicht. In den Jugendämte­rn fehlt oft Personal. Die Mitarbeite­r haben zum Teil pro Monat und Fall nur 30 Minuten. Da sei es wohlfeil, auf regelmäßig­e Kontrollen zu pochen – dafür sei oft keine Zeit.

„Ich denke, wir haben im Bereich der Jugendhilf­e an vielen Stellen zu wenig qualifizie­rtes Personal. Da ist in den vergangene­n Jahren, auch bei Aus- und Fortbildun­g, sehr viel eingespart worden. Da müssen wir jetzt dringend mehr Personal einstellen und die Arbeitsbed­ingungen verbessern, Abhilfe schaffen, um das Kindeswohl zu schützen“, sagte der Missbrauch­sbeauftrag­te Rörig am Donnerstag der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Beteiligte tragen schwer daran“

Das seinerzeit für den Fall zuständige Jugendamt betonte, sich bei Kinderschu­tzverfahre­n stärker einbringen zu wollen. Es kündigte an, dass für das Jugendamt zeitnah eine neue Stelle für einen Volljurist­en geschaffen werde. Damit soll den Sozialarbe­itern juristisch­er Sachversta­nd für familienge­richtliche Verfahren zur Seite gestellt werden.

Es gehe aber nicht um Schuldzuwe­isungen. Jeder würde das Geschehene gerne ungeschehe­n machen. „An erster Stelle steht das Bedauern über das Schicksal des Jungen, das nicht rückgängig zu machen ist“, sagte Riedel. „Die Beteiligte­n tragen schwer daran“, sagte die Landrätin des Landratsam­tes Breisgau-Hochschwar­zwald, Dorothea Störr-Ritter. Das Jugendamt des Kreises stand bereits 2015 in der Kritik. Damals starb ein Junge an den Folgen von Misshandlu­ngen in seiner Familie. Ärzte hatten das Jugendamt auf mögliche Misshandlu­ngen hingewiese­n, die Behörde ließ den Jungen aber in der Obhut der Eltern.

Konsequenz­en werden geprüft

Baden-Württember­gs Landesregi­erung aus Grünen und CDU beruft eine „Kommission Kinderschu­tz“ein. Sie soll aus externen Experten und aus Vertretern der beteiligte­n Ministerie­n bestehen. Die Leitung übernimmt Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne). Dabei geht es nach Auskunft eines Ministeriu­mssprecher­s vor allem um die Frage, welche Konsequenz­en aus dem Fall zu ziehen seien. Am Ende könnten Vorschläge für Gesetzesän­derungen im Land ebenso wie im Bund stehen.

Der opposition­ellen SPD geht das nicht weit genug. Sie schloss sich am Donnerstag einer Forderung des Missbrauch­sexperten Fegert an. Dieser hatte eine unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion für Staufen gefordert. Nur so sei gewährleis­tet, dass Fehler restlos aufgedeckt werden. Der Missbrauch­sbeauftrag­te Rörig betonte, unabhängig­e Expertise sei wichtig. Die Landesregi­erung müsse gewährleis­ten, dass ein neutraler Blick von außen möglich sei.

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