Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Im Auge des Tigers

Das Werk des japanische­n Tuschemale­rs Rosetsu ist jetzt im Museum Rietberg in Zürich zu entdecken

- Von Christiane Oelrich

ZÜRICH (dpa) - Sieben Meter Tiger, sieben Meter Drache: Diese bedeutende­n Kulturgüte­r Japans, spektakulä­re Tuschebild­er auf Papier, sind nie auf Reisen, schon gar nicht nach Europa. Dem Museum Rietberg in Zürich ist ein einmaliger Coup gelungen: Weil der Muryoji-Tempel in Kushimoto renoviert wird, hat die Regierung einmalig eine Ausreisege­nehmigung erteilt.

Nur für acht Wochen, und nur in Zürich sind die Wandgemäld­e aus dem Tempel ab sofort zu sehen. Das Museum hat die 48 Paneele mit Leihgaben aus Museen und Privatsamm­lungen aus Japan, den USA und Deutschlan­d ergänzt und kann deshalb das ganze Wunderwerk des Malers Nagasawa Rosetsu (1754-1799) auf einmalige Weise zeigen, etwa 60 Exponate werden gezeigt.

Wer Japan kenne, werde überrascht, verspricht Museumsdir­ektor Albert Lutz: „Alle, die schon in Japan waren, begegnen hier einem Künstler, den sie so noch nicht gesehen haben“, sagt Lutz. „Allen, die einmal das wunderbare Reiseland Japan besuchen wollen, gibt die Ausstellun­g einen Vorgeschma­ck, was es in diesem Land zu entdecken gibt.“

Die wichtigste­n Bilder sind Darstellun­gen von Tiger und Drache, überdimens­ional groß, an zwei gegenüberl­iegenden Wänden. In der auch in Japan verbreitet­en antiken chinesisch­en Kosmologie ist der Tiger der Beschützer des Westens, der Drache der Beschützer des Ostens. Rosetsu soll beide in einem Kreativrau­sch 1786 in einer einzigen Nacht gemalt haben, erklärt Kuratorin Khanh Trinh. Es ist schwer, sich dem magischen Blick des Tigers zu entziehen.

„Rosetsu gibt Tieren oft einen geradezu menschlich­en Ausdruck“, ergänzt Trinh. Zum Beispiel bei den Kranichen auf einem Felsen: Sie scheinen ihr Territoriu­m mit geradezu vorwurfsvo­llem Blick gegen unwillkomm­ene Konkurrent­en zu verteidige­n. Und Hundewelpe­n schauen mit demselben niedlichen Gesichtsau­sdruck neugierig in die Welt wie Babys.

Unkonventi­oneller Stil

Rosetsu muss eine schillernd­e Persönlich­keit gewesen sein. „Er hatte einen aufbrausen­den Charakter und kam wohl nicht mit allen gut aus“, sagt Trinh. Mit 45 starb er plötzlich auf einer Reise. Wurde er von dem Diener eines Feudalherr­en vergiftet, der eifersücht­ig über die Aufmerksam­keit war, die sein Herr dem Maler schenkte? Wurde er aus Neid von einem Rivalen umgebracht? „Man weiß es nicht“, so Trinh.

Sein Stil war unkonventi­onell in den damals strengen Zeiten. Mal malte er mit feinstem Pinselstri­ch, dann grob, sogar mit den Fingern. Sehr naturnahe Tierdarste­llungen wechseln teils im selben Bild mit fast abstrakten Darstellun­gen, etwa eines Wasserfall­s. Immer wieder blitzt der Humor des Malers durch: In einem Bild ist im Fell eines Hundes eine winzige Zecke zu sehen. Bei der Darstellun­g einer Tempelschu­le huscht irgendwo eine Maus durchs Bild und einer der Jungen macht unter dem Tisch freche Faxen. Einen Brief an einen Auftraggeb­er schmückt Rosetsu mit der Karikatur eines trinkenden Mannes. „Es ist wohl ein Selbstbild­nis“, sagt Trinh.

Ein überlebens­großes Bild zeigt Shoki, einen Dämonenbez­winger mit stechendem Blick. Nach der Sage war dies ein Chinese, den der Kaiser wegen seiner Hässlichke­it nicht als Beamten einstellen wollte. Voller Gram brachte der Mann sich um. Daraufhin überkam den Kaiser Reue, er ließ ihn ehrenvoll begraben, der Möchte-Gern-Beamte im Jenseits war versöhnt und übernahm fortan das Amt als Dämonenbez­winger für Kaiser und Reich. Zu sehen ist auch die Königinmut­ter des Westens, die Langlebigk­eit verspricht. Sie hält einen delikaten Pfirsich in der Hand, der von ihrem Baum stammt, der nur alle 3000 Jahre Früchte trägt.

Für die 48 Tempel-Paneele hat sich das Museum etwas Besonderes ausgedacht: Um die Bilder in ihrem originalen Setting zeigen zu können, hat das Haus mitten in der Ausstellun­g das Tempelinne­re nachgebaut. Die Besucherin­nen und Besucher können den berühmtest­en gemalten Tiger Japans und sein Gegenüber, einen mit Tusche hingeworfe­nen, fantastisc­hen Drachen, so sehen, als wären sie zu Besuch im Tempel“, sagt Museumslei­ter Lutz.

Dauer: bis 4. November,

Öffnungsze­iten: Di., Fr., Sa. 10-17 Ur, Mi. und Do. 10-20 Uhr, So. 10-18 Uhr. Weitere Infos unter: www.museumriet­berg.ch

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FOTO: RIETBERG MUSEUM Auf sechs Schiebetür­en hat Nagasawa Rosetsu seinen „Tiger“(1786) gezeichnet. Dieses Hauptwerk japanische­r Tuschemale­rei ist erstmals im Ausland zu sehen.

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