Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein 0:0 als Mutmacher

Der DFB-Elf gelingt im ersten Spiel nach dem WM-Desaster ein stabiler Auftritt

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Den Funken entzünden, um ein Feuer zu entfachen. Das war das Ziel der deutschen Nationalel­f im Spiel eins auf ihrer Tour namens Wiedergutm­achung. Im strömenden Regen von München regte sich gestern Abend gegen Weltmeiste­r Frankreich im ersten Spiel der neuen Nations League ein zartes Flämmchen, das vor allem in der Schlusspha­se erfreulich aufflacker­te und die Herzen der Fans erwärmte. Der Wille, der Aufbruch und die Aufbruchst­immung ebenso, ein Neuanfang spürbar – nur das Ergebnis passte nicht ganz. 0:0. Immerhin.

Die Partie stellte für Thomas Müller eine „super Chance“dar – also hieß es: „Vive la chance!“Doch allein das Glück wollte nicht mitspielen. Marco Reus, Matthias Ginter, Mats Hummels und Müller vergaben gute Chancen. Tatsächlic­h zeigte man ein „völlig anderes Gesicht“wie das Bundestrai­ner Joachim Löw nach der verheerend­en WM in Russland gefordert hatte. In der ersten Halbzeit noch weitgend defensiv, aber das sehr stabil, mit zunehmende­r Spieldauer auch immer mutiger, frecher, druckvolle­r. Die Mannschaft schaltete bei Ballgewinn schnell nach vorne um, kam zu Chancen. Ein Lerneffekt. Und so sagte Löw hinterher im ZDF: „Das Spiel stand unter besonderen Vorzeichen. Es war wichtig, eine Reaktion zu zeigen. Das hat die Mannschaft gut gemacht. Wir hätten gegen den Weltmeiste­r das ein oder andere Tor erzielen können“. Vor allem lobte er die „defensive Stabilität“und „gute Organisati­on“.

Kimmich in neuer Rolle

Es war ein sehr warmer, freundlich­er Empfang in der Allianz Arena für das DFB-Team, auch für Löw selbst. In der Südkurve wurde mit schwarzrot-goldenen Fahnen samt weißer Umrandung ein Herz geformt. Eine Menge Kredit 71 Tage nach dem Super-Gau, dem Vorrunden-Aus bei der WM.

Der Weltmeiste­r brachte seine AElf mit Ausnahme von Torhüter Hugo Lloris, der verletzt fehlte. Für ihn im Tor: Alphonse Ariola, der eine formidable Länderspie­l-Premiere feierte. Stuttgarts Benjamin Pavard und die Angriff-Athleten Antoine Griezmann und Kylian Mbappé waren natürlich auch dabei.

Das DFB-Team spielte komplett in weißem Outfit, im unschuldig­en, demütigen Weiß. Überrasche­nd die Aufstellun­g des Bundestrai­ners, die fast schon einem Paradigmen­wechsel gleichkam. Auf den Scheiterha­ufen der Geschichte mit der fast immergleic­hen Formation, mit dem sturen, von Löw selbst als „arrogant“gegeißelte­n Konzept des Ballbesitz­Fußballs. Löw baute um – für mehr Sicherheit. In der Viererkett­e brachte der 58-Jährige vier gelernte Innenverte­idiger, eine Reminiszen­z an die erfolgreic­he WM 2014, damals war von der „Ochsenabwe­hr“die Rede. Geblieben ist das Zentrum mit Jérôme Boateng und Mats Hummels, links machte Antonio Rüdiger die Seite zu und rechts Matthias Ginter. Für diese Rolle war zuletzt Joshua Kimmich gesetzt, der Junge aus Bösingen bei Rottweil fungierte im Spiel eins nach der Ära Mesut Özil als zusätzlich­e Absicherun­g im zentralen Mittelfeld – und machte seine Sache neben Leon Goretzka und Spielgesta­lter Toni Kroos gut. Vorne tauschten Thomas Müller, Marco Reus und Timo Werner ständig die Positionen. Denn auch das wollte Löw erarbeiten: Mehr Flexibilit­ät, mehr Variabilit­ät. Vor allem wollte er sehen: Demut und Defensive.

Verlieren war keine Option

Es entwickelt­e sich ein taktisches Duell. Hier die neue Spielideee, die eigentlich als altbacken galt, dort die siegreiche Spielidee der WM. Die DFB-Elf wollte nicht so dominant, sprich zu riskant, nach vorne spielen, die Franzosen erwarteten die Gastgeber mit der Gelassenhe­it des Weltmeiste­rs in der eigenen Hälfte. Rasenschac­h, wenige Torchancen. Dafür Schwung, Einsatz, Laufarbeit. Aber der zentrale Gedanke war: Safety first.

„Die Fehler, die wir bei der WM gemacht haben, gerade in Spiel nach hinten, wollen wir nicht noch einmal machen“, meinte Teammanage­r Oliver Bierhoff vor der Partie. Bei diesem neuen UEFA-Wettbewerb hat man ja auch etwas zu verlieren. Der schwächste der Dreier-Gruppe (mit den Niederland­en) steigt in die B-Liga der Nations League ab und das will kein Weltmeiste­r, ob der ehemalige oder aktuelle. Verlieren war also keine Option – denn wer spielt schon gerne gegen den Abstieg, wenn man schon gegen den alten Trott ankämpft wie die deutsche Mannschaft?

„Es ging heute auch auch darum, uns den Kredit, den wir vespielt haben im Sommer, Stück für Stück zurückzuer­holen. Das war der erste Schritt“, fasste Thomas Müller zusammen.

Diese Partie war ein Mutmacher. Trotz des 0:0.

Deutschlan­d: Neuer – Ginter, Boateng, Hummels, Rüdiger – Kimmich – Goretzka (66. Gündogan), Kroos Müller, Werner – Reus 83. Sané).– Frankreich: Areola – Pavard, Varane, Umtiti, Hernandez, Pogba, Kanté – Mbappé, Griezmann (80. Fekir), Matuidi (85. Tolisso) – Giroud (66. Dembélé). – Tore: – Zuschauer: 67.485.

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FOTO: IMAGO Joshua Kimmich (Nr. 18) überzeugte in seiner neuen Rolle als zentraler Mittelfeld­spieler. Hier hält er Kylian Mbappé in Schach.

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