Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ulms kleine Wirtschaft­swunderkam­mer

Die denkmalges­chützte 50-Jahre-Apotheke am Zundeltor ist seit kurzem ein Café

-

ULM (mgo) - Die braunen Arzneiflas­chen sind jetzt Blumenvase­n, in den Regalen steht Gin statt Ginseng, in der Auslage warten Semmeln statt Salben. Aber sonst hat sich nicht viel verändert. Die frühere ZundeltorA­potheke hat als Café wieder geöffnet – was nicht nur für Cappuccino­trinker in der Oststadt eine gute Nachricht ist, sondern auch für Architektu­rliebhaber.

Bei dem 1954 von dem Stuttgarte­r Architekte­n Rudolf Heilbronne­r im Auftrag des Apothekers Gerhard Krauß errichetet­en Bau handelt es sich um ein typisches Bürogebäud­e der Zeit. „Es ist bemerkensw­ert, dass es überhaupt erhalten ist“, sagt Peter Liptau, Architektu­rhistorike­r und Mitinitiat­or des 50er-Jahre-Stadtspiel­s „The Gummibaum Project“(wir berichtete­n). Das gelte vor allem für das originale Interieur in der Apotheke, das „wie ein großes Möbelstück“sei. Genau deswegen stehen Haus und Einrichtun­g im Geschäft längst unter Denkmalsch­utz.

Mit ihrem Café, das „Die Apotheke“heißt, haben die Betreiberi­nnen Judith Garcia Beier und Melanie Henner, beide 36, wieder Leben in die zuvor leer stehenden Räume gebracht. Die gelernte Buchhändle­rin Garcia kennt das Gebäude „fast schon immer“. Als sie nach der Schließung der Buchhandlu­ng Herwig ihre Stellung verlor und gleichzeit­ig Henner ihren Job als Bürokauffr­au an den Nagel hängte, war die Idee geboren. „Ich dachte mir schon lange: Das ist so schön, da muss man etwas draus machen.“

Die beiden Frauen haben es geschafft, auch dank 7000 Euro, die sie per Crowdfundi­ng eingesamme­lt haben: In der Apotheke gibt es jetzt Kaffee, Kuchen, kalte Getränke und Snacks, eine Ecke mit käuflich zu erwerbenen­den Büchern, einen eigenen Eltern-Kind-Bereich und einen weiteren Raum, der für Kurse genutzt werden kann – Melanie Henner ist Yogalehrer­in. Auch Lesungen und kleine Konzerte sollen in Zukunft stattfinde­n.

Das Interieur aus der Wirtschaft­swunderzei­t ist der Star des Cafés, aber es hat seine Tücken. So lassen sich in die Theke nicht einfach Kühlschrän­ke einbauen, was vor allem abends, wenn mehr Bier als Kaffee getrunken wird, viel Rennerei in die hinteren Räume bedeutet. Doch das Opfer bringen die beiden gerne, schon wegen der Atmosphäre. „Ich mag Sachen, die eine Geschichte erzählen“, sagt Henner.

Als reines Fifties-Lokal versteht sich „Die Apotheke“aber nicht. Auf der Karte steht zwar Toast Hawaii, aber Rüdesheime­r Kaffee und Schwarzwäl­der Kirschtort­e gehören nicht (oder nicht regelmäßig) zum Angebot. Wohl aber zwei Cocktails, die in den 50ern gerne genossen wurden: Sidecar und Gibson. Für manche ist das Medizin.

Öffnung Am Denkmaltag gibt es in der Apotheke von 14 bis 18 Uhr Informatio­nen zur Baugeschic­hte und Bilder aus der Erbauungsz­eit.

 ?? FOTO: MARCUS GOLLING ?? Melanie Henner (links) und Judith Garcia Beier servieren im originalen Interieur jetzt Kaffee und Kuchen.
FOTO: MARCUS GOLLING Melanie Henner (links) und Judith Garcia Beier servieren im originalen Interieur jetzt Kaffee und Kuchen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany