Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Mir geht’s um den Fußball als Sportart“

Clubidol Karl Allgöwer über seine elf Jahre beim VfB, die derzeitige Krise und die Kommerzial­isierung des Sports

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Elf Jahre, von 1980 bis 1991, spielte Karl Allgöwer beim VfB Stuttgart, wurde 1984 Meister und stand 1989 im UEFA-Cup-Finale gegen Neapel. Im Interview mit Jürgen Schattmann spricht der 61-Jährige zum 125. Geburtstag des VfB über die Zeit unter Präsident Gerhard MayerVorfe­lder und den Fußball früher und heute. Auf schwäbisch natürlich – die Übersetzun­g lesen Sie hier.

Herr Allgöwer, wie sind Sie dem VfB momentan verbunden?

Ich schaue mir als Gast die Heimspiele an im Kreis früherer Kollegen wie Bernd Martin, Fritz Walter oder Buffy Ettmayer. Mit denen kann ich mich am besten austausche­n über Fußball.

2016 waren Sie noch Berater ...

Ja, der VfB war in Abstiegsno­t, und der Aufsichtsr­at fragte, ob ich helfen könnte. Ich hatte keinen Vertrag mit dem Verein und hab nur gesagt, ich bin da, wenn ihr meine Hilfe braucht. Dann zeigte sich, dass mein Erscheinen nicht jedem Menschen gefiel, also war ich in den entscheide­nden Gremien nicht dabei. Ich war bis Saisonende dabei, danach war mir klar: Entweder mach ich's gscheit oder gar nicht. Denn was ich damals mitentsche­iden durfte (lacht) ...

... lag wohl im Promillebe­reich?

Mit dem Mallorca-Ausflug drei Spiele vor Schluss hatte ich jedenfalls nichts zu tun. Ich war bei keinen Entscheidu­ngen mit dabei. Man hat meinen Namen benutzt, da war ein Neujahrsem­pfang, eine Pressekonf­erenz, alles toll, alle waren überrascht. Mein Name stand groß in der Zeitung, nur leider ist der VfB abgestiege­n. Aber wir sind friedlich auseinande­r. Der VfB musste neu anfangen, das war eine Chance, die hat er auch genutzt.

Nach dem Saisonstar­t mit 0:5 Toren und drei Niederlage­n mit Pokal fürchtet Cacau bereits den Abstiegska­mpf. Und Sie?

Wenn Rückrunde und Vorbereitu­ng erfolgreic­h waren, steigen die Erwartunge­n. Wichtig ist, dass das eigene Bild stimmt – nur, der Start ging richtig in die Hose. Rostock war bereits der Knackpunkt, das hat den Abwärtstre­nd eingeleite­t, der aber mit ein, zwei Siegen wieder umgekehrt werden kann. Das 0:3 am Samstag war zu erwarten. Hätte Bayern einen schlechten Tag und der VfB mutiger gespielt, wäre vielleicht etwas drin gewesen, aber Bayern war überragend, der VfB sehr defensiv eingestell­t. Rostock war das Problem. Du kannst den besten Fitness- und Taktiktrai­ner haben, aber wenn der Kopf nicht mitmacht, wird es schwer. Und dann kommen irgendbess­er wann die Cacau-Ängste, schwappen in die Spielerköp­fe, das kann in eine Abwärtsspi­rale ausarten. Da muss man jetzt einen Keil reinschlag­en und das Ding wieder drehen. Das ist die Kunst: aus dem Negativen herauszuko­mmen. Korkut muss eine Mannschaft finden, die imstande ist, in Freiburg zu gewinnen. Es muss eine klare Struktur und Hierarchie her. Man muss sehen: Das sind die Spieler, die die Kommandos geben und anführen.

Sie selbst waren auch ein Chef – Knallgöwer nannte man Sie wegen ihres Wahnsinnss­chusses. Wollten Sie nie weg vom VfB?

In den späten 1980er-Jahren schon, heutzutage hätte ich es wohl auch gemacht. Ich hatte den Anspruch, im oberen Drittel zu spielen, das ist uns meist gelungen, und auch die Meistersch­aft anzuvisier­en, das haben wir 1984 geschafft. Gerhard Mayer-Vorfelder wollte das auch. Wenn wir nach zehn Spieltagen Siebter oder Neunter waren, kam sofort der Präsident, hat uns die Leviten gelesen und sagte uns, was wir für Verpflicht­ungen haben und für welchen Verein wir spielen. Dass das nicht irgendein Verein in Baden-Württember­g ist, sondern der Verein schlechthi­n, und den müssten wir anders repräsenti­eren. Er erwarte, dass wir wenigstens Sechster oder sind. Aber nach dem Titel sind Führungssp­ieler wie Abwehrchef Karl-Heinz Förster gegangen, und ich merkte, da kommt nicht viel nach. Ich sagte mir: Es kann nicht sein, dass du dich jedesmal durchquäle­n musst und vielleicht mit Ach und Krach Sechster wirst. Ich wollte Erfolge haben, mehr als einen Titel. Das Problem waren die Ablösesumm­en, die ein neuer Club ja auch dann zahlen musste, wenn der Vertrag auslief – der alte Verein konnte so viel verlangen wie er wollte. Deshalb ging es nicht.

Heute kassiert ein Ronaldo 60 Millionen Euro pro Jahr. Was halten Sie von der Kommerzial­isierung?

Tja, der Fußball ist zur Unterhaltu­ng geworden, hat sich in den 1990ern verkauft ans Fernsehen. Heute kann man den ganzen Tag Fußballsch­auen, die Sportart wird totalverma­rktet, man sieht es an den Zuschauerz­ahlen. Die Leute kommen nicht, weil ein technisch besserer Fußball gespielt würde, sondern weil viel los ist – Eventfußba­ll eben. Das wird noch extremer werden. Mir gefällt das natürlich nicht, mir geht’s um den Fußball als Sportart, nicht als Unterhaltu­ng.

Wäre Ihr Sohn jünger, würden Sie 155 Euro für ein Nike-Originaltr­ikot von Ronaldo ausgeben?

Die Frage hat sich Gott sei Dank nie gestellt. Wenn ich ein Trikot brauchte, hab’ ich es immer aus der Quelle geholt (lacht). Heute läuft es so: Messi stellt ein Bild mit neongrünen Schuhen auf Facebook, Tage später tragen es die Kleinen in den Fußballsch­ulen, wo ich vor Jahren noch trainiert habe. Und warum? Weil die Großeltern und Eltern lächelnde Kinder sehen wollen. Und die Kinder sind dann anerkannte­r unter den Gleichaltr­igen. Oft ist es allerdings so: Der mit den teuersten Schuhen kann am wenigsten am Ball.

Was unterschei­det den VfB von anderen Clubs, was macht ihn aus?

Der VfB ist ein Traditions­club mit Geschichte, vielen Mitglieder­n und Fans, das sieht man auch im 50+1-Konflikt. Der Fanmarsch vor dem Derby, mit dem die Fans gegen 50+1 demonstrie­rten, war schön. Bloß: Man kann sich Investoren nicht verschließ­en, wenn man heutzutage guten Fußball sehen will. Auch ich war für die Ausglieder­ung, anders geht es nicht. Ich will nicht sehen, wie der VfB jedes Jahr die drei Besten verliert, weil andere mehr Geld haben. Es kann nicht das Ziel sein, jedes Jahr nur in der Liga zu bleiben wie es in Bremen inzwischen ist.

Auch beim größten VfB-Erfolg waren Sie der Kapitän – dem UEFACup-Finale Möglich, dass der VfB nochmal die Champions League erreicht?

Schlechter Zeitpunkt für die Frage, als 18. fällt es schwer zu argumentie­ren. Der Club will ja weitere Anteile verkaufen, man wird sehen. Ich halte den Kader für ganz klar stärker als den letzten, aber das bedeutet nicht, dass die Platzierun­g besser wird. Man muss die beste Elf finden aus diesem Kader. In der Rückrunde hat sich die Mannschaft mit neuem Trainer und neuer Taktik in einen Rausch gespielt, wurde Zweiter und siegte in München 4:1 – das ist ja nicht normal, da sieht man, was manchmal kurzfristi­g möglich ist. Wenn die Mannschaft sich findet, kann es sein, sie rutscht ins obere Drittel rein – wenn nicht, wird es schwer.

Die ausführlic­he Version

des einstündig­en Gesprächs finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/Allgoewer

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FOTO: IMAGO Fast hätte der VfB gewonnen: Karl Allgöwer (r.) und Diego Armando Maradona vor dem UEFA-Cup-Finale 1989.

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