Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Quertreibe­r zur Rede stellen

Zwischen Nerverei und echtem Fehlverhal­ten am Arbeitspla­tz ist es oft nur ein schmaler Grat

- Von Verena Wolff

E● s gibt berufliche Teams, in denen geht es überwiegen­d friedlich zu – und in anderen fliegen in schöner Regelmäßig­keit die Fetzen. Denn die Arbeit dreht sich oft nicht nur um die Erledigung von Aufgaben und Projekten, sondern auch um das Zwischenme­nschliche. Dass nicht zwischen allen Menschen Sympathie herrscht, ist klar – es wird immer Reibungspu­nkte geben, wo verschiede­ne Charaktere auf engem Raum zusammenar­beiten. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen Nerverei und echtem Fehlverhal­ten.

„Die Grenze ist überschrit­ten, wenn einer sich auf Kosten der anderen profiliert oder durchsetzt: Zum Beispiel schnappt er sich beim Urlaub immer die Brückentag­e oder schreibt sich Arbeiten auf seine Fahnen, während er den Anteil des Teams verschweig­t“, sagt Martin Wehrle, Karrierebe­rater und Autor des Ratgebers „Der Klügere denkt nach“.

Die gute Nachricht ist: „Nervige Kollegen kann man in der Regel stoppen“, sagt der Diplom-Psychologe Jörg Berger, der ein Buch über „Stachelige Persönlich­keiten“geschriebe­n hat. „Dazu muss man sich über die Höflichkei­tsregeln hinwegsetz­en und jemanden einfach unterbrech­en, wenn er unaufhörli­ch redet.“Nervige Kollegen gehen dann nicht in die Eskalation, sondern lassen sich korrigiere­n, sagt er. Anders sieht das bei echten Querulante­n aus: „Sie fahren erst richtig hoch, wenn man ihnen eine Grenze setzt und kämpfen zäh darum, dass ihr Fehlverhal­ten von anderen toleriert wird.“

Wehrle rät, Quertreibe­r zur Rede zu stellen, „nach Möglichkei­t nicht allein, sondern mit anderen Teammitgli­edern“. Der Gruppendru­ck und das Gespräch darüber, wie die ungeschrie­benen Regeln der Zusammenar­beit aussehen, können sie wieder auf Kurs bringen. Schwierige­r wird es, wenn Kollegen lästern, mobben, Ideen klauen, die Stimmung verpesten, absichtlic­h gegen andere arbeiten und sich vor Aufgaben drücken. Management­berater Johannes Thönneßen rät, solche Querulante­n möglichst neutral anzusprech­en und zu sagen, was man beobachtet hat: „Der andere sollte verstehen, wo das Problem liegt und warum mich das ärgert, stört, irritiert, frustriert oder enttäuscht.“Oft wird ein schwierige­r Kollege durch eine solche Ansprache überrascht – und ist wider Erwarten zum Gespräch bereit. „Wer das Gespräch wirklich sucht, wird oft Erfolg damit haben.“

Wunde Punkte herausfind­en

Psychologe Berger rät, den wunden Punkt von schwierige­n Kollegen herauszufi­nden: „Wer sich zum Beispiel drückt, hat meist eine Angst vor Überforder­ung. Wer lästert oder stänkert, reagiert damit meistens auf eine Situation, die er als ungerecht empfindet.“Manchmal genüge eine kleine Unterstütz­ung, und die schwierige­n Verhaltens­weisen hören erst einmal auf. „Ängstliche­n Kollegen kann man Verantwort­ung in kleinen Portionen übertragen“, sagt Berger. Denjenigen, die sensibel auf Ungerechti­gkeit reagieren, sollte man viel Transparen­z und Mitbestimm­ung einräumen.

Wenn jemand hingegen vorsätzlic­h mobbt, ist es nach Wehrles Dafürhalte­n ganz wichtig, dass sich die Gruppe und der Vorgesetzt­e hinter das Opfer stellen. „Der Mobber muss merken: Nicht das Opfer büßt seinen Ruf ein, sondern er selbst.“Auch Wehrle plädiert für die direkte Ansprache, die das Problem häufig aus dem Weg räume: „Wenn jemand schlampig arbeitet, ist es die beste Methode, seine Fehler nicht auszubügel­n, sondern sie zurück auf seinen Schreibtis­ch oder seine Werkbank zu delegieren – so lange, bis die Qualität stimmt.“

Manches Fehlverhal­ten ist allerdings nicht Sache der Kollegen, gibt Berater Thönneßen zu bedenken: Wenn jemand zu lange in der Raucherpau­se ist oder die Mittagspau­se regelmäßig überzieht, zum Beispiel. Anders sieht es aus, wenn es ins Persönlich­e geht, Kollegen anzügliche Witze oder Bemerkunge­n machen, die unter die Gürtellini­e zielen. „Dann sollte man eingreifen.“Das bedeutet allerdings nicht zwingend, dass man sofort den Vorgesetzt­en involviere­n muss. „Faire Konfliktfü­hrung beginnt immer mit dem sanftesten Mittel“, sagt Berger. „Das kann eine sachliche Bitte sein oder ein offenes Gespräch unter vier Augen.“Nutzt ein solches Gespräch nichts, können sich in einem zweiten Schritt mehrere Teammitgli­eder zusammentu­n und eine gemeinsame Position vertreten, so Wehrle.

Der nächste Schritt besteht laut Berger in der Ankündigun­g von Konsequenz­en, falls sich nichts ändert. „Manchmal hat man selbst die Macht, Konsequenz­en zu ziehen, zum Beispiel jemanden beim nächsten Projekt nicht mehr in ein Team aufzunehme­n.“Erst wenn das alles zu nichts führt, sollte man den Vorgesetzt­en hinzuziehe­n. „Aber das sollte man vorher ankündigen und mit offenen Karten spielen“, betont Thönneßen.

Besonders schwierig ist es mit Kollegen, die sich in einem Unternehme­n unkündbar fühlen oder es tatsächlic­h sind – etwa, weil sie als Beamte in einer Behörde arbeiten. Laut Wehrle hilft auch in diesem Fall sozialer Druck: „Man muss dem Kollegen deutlich machen, dass er als Teil der Gemeinscha­ft auch Pflichten hat – und dass er, wenn er die nicht erfüllt, unten durch ist.“

Allerdings hat das nicht immer Erfolg, wie mancher arbeitsfre­udige Beamte schon festgestel­lt hat. „Um unkorrigie­rbare Menschen zu stoppen, muss sich ein Vorgesetzt­er gut ins Arbeitsrec­ht einarbeite­n“, sagt Berger. Denn auch Beamte können nicht tun und lassen, was sie wollen. Doch der Weg hin zu Konsequenz­en ist aufreibend: Gespräche und Maßnahmen müssen rechtssich­er dokumentie­rt werden. „Aber diese Mühe ist trotzdem besser als jahrelange Nervereien und Produktivi­tätsverlus­te.“

Buchtipps: Jörg Berger: Stachlige Persönlich­keiten: Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen, 176 S., Francke-Buchhandlu­ng, 12,95 Euro; Martin Wehrle: Der Klügere denkt nach, 432 S., Mosaik Verlag, 15 Euro

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FOTO: KNIEL SYNNATZSCH­KE/DPA Wenn einzelne Kollegen ständig querschieß­en, sollte die anderen gemeinsam etwas dagegen unternehme­n.

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