Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Weg zur smarten Bodenseere­gion ist lang

Esten zeigen den Teilnehmer­n beim BBF, wie digitale Verwaltung funktionie­rt

- Von Ludger Möllers

FRIEDRICHS­HAFEN - Der Abbau rechtliche­r und technische­r Hürden, einheitlic­he Regelungen über Staatsgren­zen hinweg, der Aufbau leistungsf­ähiger IT-Infrastruk­tur: Der Weg zur smarten Bodenseere­gion ist lang. Aber es sei möglich, ihn zu gehen: Der Nachmittag des Bodensee Business Forums zeigt Möglichkei­ten auf, die Region deutlich in Richtung Digitalisi­erung zu entwickeln. Und das Panel bringt eine weitere klare Erkenntnis: Es geht nicht nur um Technik. Insbesonde­re der Weg in den Köpfen ist lang. Ein Beispiel. Der mentale Wandel muss zu einer neuen Fehlerkult­ur führen. Denn: „Derzeit werden gescheiter­te Unternehme­r als Verlierer abgestempe­lt“, sagt Karlheinz Rüdisser, Landesstat­thalter in Vorarlberg.

Dass es anders geht, beweisen seit 20 Jahren die Esten. In Europa gilt Estland als ein Vorreiter der digitalen Verwaltung. Der Botschafte­r Estlands, Mart Laanemäe, berichtet, dass sein Land in internatio­nalen Rankings zu den führenden Ländern im sogenannte­n E-Government gehöre. Die 1,3 Millionen Esten können vom eigenen Computer aus tun, wofür Bürger vieler anderer Länder bei Behörden, Banken oder Firmen Schlange stehen müssen: Ein Klick öf fnet das zentrale Internetpo­rtal eesti.ee mit geschützte­m Zugang zu Hunderten digitalen Bürgerdien­sten und Online-Dienstleis­tungen. Möglich macht das ein elektronis­cher Ausweis.

Nahezu alle Esten besitzen eine computerle­sbare ID-Karte, die als Personalau­sweis dient und im Internet die Feststellu­ng der Identität ermöglicht. Damit können auch digitale Signaturen geleistet werden, die in Estland rechtlich der normalen Unterschri­ft gleichgest­ellt sind. „Die Digitalisi­erung hat bereits viele Lebensbere­iche wie Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Recht durchdrung­en“, berichtet Laanemäe.

Technische Hürden statt schnelle Lösungen

Begleitet wird die Infrastruk­tur von der entspreche­nden Gesetzgebu­ng. Darin wurde festgelegt, dass der Staat die Daten von Bürgern nur einmal erfassen darf und die für digitale Behördengä­nge notwendige­n Informatio­nen aus den Datenbanke­n kommen sollen. Bei sämtlichen Digitallös­ungen behalten die Bürger die Hoheit über ihre Daten. Das System hält jede Abfrage fest und garantiert Transparen­z – unerlaubte Dateneinsi­cht wird juristisch geahndet.

Immer wieder staune er etwa über die technische­n Hürden beim Fahrkarten­kauf in Deutschlan­d: „Ich habe fünf Accounts, weil ich mich über Benutzerna­men und Passwörter einloggen muss“, berichtet Laanemäe, „bei uns reicht der Name.“

„In der erweiterte­n Bodenseere­gion ist das Potenzial für eine ähnliche Entwicklun­g wie in Estland vorhanden“, glaubt Malgorzata Wiklinska, Leiterin Ecosystem & Partnersch­aften beim Technologi­ekonzern ZF in Friedrichs­hafen. Aber: „Noch fehlen technische Voraussetz­ungen, die beispielsw­eise das autonome Fahren möglich machen.“Von der dazu notwendige­n 5G-Technologi­e könne man hier nur träumen. Wie hatte am Morgen ein Digitalisi­erungsexpe­rte aus Liechtenst­ein auf die sehr unterschie­dlichen Herangehen­sweisen in Europa gesagt: „Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat jüngst 1,5 Milliarden Euro für künstliche Intelligen­z bereitgest­ellt, während Bundesverk­ehrministe­r Andreas Scheuer eine App für Funklöcher ankündigt.“

Unterschie­dliches Tempo rund um den See

Ähnliche Erfahrunge­n hat jeder der Podiumstei­lnehmer gemacht: Für Thomas Scheitlin, den Stadtpräsi­denten von St. Gallen in der Schweiz wären schon nationale statt kommunale Vorgaben ein Fortschrit­t auf dem Weg zur vernetzten Region: „Noch besser wären internatio­nale Regelungen.“Denn Scheitlin bedauert, dass man in Baden-Württember­g nach Stuttgart, in Vorarlberg nach Wien und in der Schweiz nach Bern schaue: „Und regionale Lösungen nur selten angestrebt werden.“

Doch was ist zu tun? Der Moderator des Panels, Andreas Müller, drängt als stellvertr­etender Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“auf konkrete Antworten. Ulrike Hudelmaier, Geschäftsf­ührerin des Gründer- und Technologi­ezentrums (TFU) der Region Ulm/Neu-Ulm, sieht das wichtigste Potenzial in den Köpfen der Menschen: „Wir müssen die Leute so weit bringen, dass sie Digitalisi­erung können und wollen, unabhängig von ihrem Alter.“Die größte Gefahr lauere in Selbstzufr­iedenheit, „weil es uns so gut geht.“Mit Begeisteru­ng fürs Neue seien große Fortschrit­te zu erzielen. Der Vorarlberg­er Landesstat­thalter Rüdisser warnt vor unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten rund um den See und will unsinnige Regelungen wie die Datenschut­zgrundvero­rdnung am liebsten abschaffen. Dann werde die Region ihre Chancen nutzen. Und die ZF-Frau Wiklinska? „Einfach machen“, rät die Expertin, die derzeit im Silicon Valley arbeitet, „es muss nicht immer schwierig sein.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING BBF-Podiumstei­lnehmer tauschen in der Pause ihre Erfahrunge­n über eine leistungsf­ähige IT-Infrastruk­tur aus.

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