Andrang im Wald löst Debatten aus
Forstinhaber fordern Unterstützung von der Landesregierung
STUTTGART (tja) - Im Wald wird es voller: Pro Tag nutzen ihn zwei Millionen Baden-Württemberger zum Radeln, Joggen, Wandern oder Nordic Walken. Die 240 000 privaten Waldbesitzer klagen über die Arbeit und die Kosten, die der Andrang verursacht. Sie fordern vom Land in den kommenden Jahren mehr als 300 Millionen Euro bis 2028. Damit sollen unter anderem Kosten gedeckt werden, die durch die vielen Besucher entstehen. Wofür das Geld noch notwendig sein soll:
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STUTTGART - Zwei Millionen Menschen besuchen Baden-Württembergs Wälder pro Tag. Wo sich in den 1980er-Jahren vor allem Wanderer und ein paar Trimm-Dich-Pfad-Nutzer begegneten, sind heute Mountainbikes, E-Fahrräder und Segways unterwegs, es wird gewalkt, gejoggt und waldgebadet. Die Besitzer privater Wälder fordern wegen der steigenden Belastungen von der Landesregierung deutlich mehr Geld. „Es besteht dringend Handlungsbedarf“, sagt Roland Burger, Präsident der Landesforstkammer, die die Interessen der rund 240 000 privaten Waldbesitzer vertritt.
Der Wald boomt, darin sind sich alle einig. Die Landesregierung hat mit Forschern der Universität Freiburg und der Forstlichen Versuchsanstalt den Wald in Baden-Württemberg neu kartiert. Die Experten befragten dafür unter anderem Bürger und werteten Wander- und Radwegenetze aus. Sie simulierten mit Kartenmaterial am Computer, wie viele Besucher wohin strömen. 2004 wurde ein Viertel der Wälder als Erholungsraum eingestuft, heute sind es mehr als 70 Prozent.
Anders als in anderen Staaten darf in Deutschland jeder jeden Wald betreten. Das gilt auch für „Offene Landschaft“, also Feldwege, Wiesenraine oder Böschungen, nicht jedoch für bewirtschaftete Felder oder Weiden. Deshalb können sich Besitzer von privaten Wäldern nicht wehren, wenn Menschen ihren Besitz besuchen. Diese müssen sich nicht einmal an die Wege halten, nur Schonungen sind tabu. Das ist zum Beispiel in den Niederlanden anders. Dort darf jeder sein Eigentum einzäunen und den Durchgang verbieten.
Als Ausgleich für diese Auflagen galt in Baden-Württemberg jahrzehntelang ein Abkommen zwischen Land und privaten Waldbesitzern. Ihnen gehören rund 36 Prozent der Wälder im Südwesten, der Rest ist Eigentum von Kommunen und Land. Förster im Landesdienst betreuten auf Wunsch deren Wälder, unterstützten beim Holzverkauf. Im Gegenzug waren die Waldeigentümer zu Eingeständnissen bereit, wenn Wege durch ihre Wälder als Wanderrouten ausgewiesen wurden. Die ausgeschilderten Routen laufen zwar in den allermeisten Fällen auf Wirtschaftswegen, die bereits existieren. Doch wenn eine Kommune beschließt, neue Strecken auszuflaggen, muss ein Eigentümer auch das hinnehmen.
Aus Sicht der Waldbesitzer muss über diesen Deal mit dem Land aber neu verhandelt werden. Denn der Wald wird zum einen heute ganz anders genutzt als früher. „Heute kommen Menschen etwa dank E-Bikes an Stellen im Land, an die vor einigen Jahren nur wenige gelangten“, erläutert Andy Selter, Professor für Forstund Umweltpolitik von der Universität Freiburg.
Mehr Aufwand als früher
Die privaten Waldbesitzer machen wegen des geänderten Freizeitverhaltens deutlich mehr Aufwand geltend. „Freizeitformen wie die Anlage von Singletrails für Mountainbikes oder das Fahren mit Segways und anderen motorisierten Fortbewegungsmitteln gehen inzwischen deutlich über das waldgesetzlich legitimierte Betretungsrecht hinaus“, moniert Forstkammer-Chef Burger. Bei Arbeiten im Wald müsse etwa viel mehr Aufwand betrieben werden, um die Gebiete abzusperren.
Und noch etwas ärgert die Waldeigentümer. Nicht nur ihr Aufwand sei gestiegen, es sei auch unklar, was sie dafür künftig vom Land bekommen. Das Land darf die Dienste seiner Förster nämlich künftig nicht mehr vergünstigt anbieten. Grund ist ein Streit mit dem Kartellamt. Darum reformiert das Landwirtschaftsministerium die Forstverwaltung gerade. Während den Gemeinden bereits ein sogenannter Gemeinwohlausgleich für ihre Dienstleistungen in den Wäldern geboten wird, ist noch unklar, wie es mit der Förderung privater Wälder genau weitergeht. Deswegen will die Landesforstkammer mehr Geld vom Land: Sechs Millionen Euro pro Jahr nur für den Gemeinwohlausgleich, hundert Millionen Euro bis 2028, um Folgen der Forstreform zu kompensieren. Hinzu kommen sollen jährlich 24 Millionen Euro – etwa, um den Wald fit für Folgen des Klimawandels zu machen. Insgesamt fordert die Waldbesitzer bis 2028 mehr als 300 Millionen Euro.
Jürgen Wippel, Sprecher von Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), verweist auf zahlreiche bestehende Förderprogramme für Waldbesitzer. Weitere sollen im Rahmen der Forstreform beschlossen werden. „Die Forstwirtschaft wird auch künftig unabhängig nach Art des Waldbesitzes so gefördert, dass es für jeden ein Angebot gibt. Die Forderungen der Forstkammer sind ein Beitrag zur Debatte, die ja noch läuft“, versichert der Sprecher. „Die allermeisten Menschen nutzen in ihrer Freizeit den Wald in ihrer Nähe“, sagt Wippel. Und das sei nun mal in der Regel Wald, der den Städten und Gemeinden gehöre. Diese trügen daher auch die größte Last.
Die Debatte ist damit noch nicht zu Ende: In den kommenden Monaten können Verbände und Interessensgruppen ihre Meinung zu Hauks Forstreform äußern. Dabei dürfte auch die Forderung nach mehr Geld für den Privatwald eine Rolle spielen.